Die Schneeflocken tanzen vom Himmel, die Landschaft auf Gitschenen zeigt sich als herrliche Winterkulisse. Aus dem Stall hört man die Ziegen und Rinder, vor dem Haus stehen Schlitten und Schneebob bereit. Diese gehören, so lassen es die Geburtstafeln an der Stallwand vermuten, Lia, Nik, Fabio und Gian Imholz. Seit gut zwei Jahren leben die vier Kinder und ihre Eltern Erika und Walter Imholz auf dem Bergheimet «Untere Egg» auf Gitschenen. Der Weiler liegt auf rund 1500 Meter über Meer und gehört zur Gemeinde Isenthal. Familie Imholz konnte den Hof auf Anfang dieses Jahres käuflich erwerben.
Auf dem Haldi aufgewachsen
Bis Oktober 2022 wohnten sie noch im Elternhaus von Walter Imholz mitten im Dorf Isenthal. Für Erika, die auf der Sonnenterrasse Haldi auf einem Bauernhof aufwuchs, wurde es aber im Talgrund zu eng. Als langjähriges Älplerpaar sehnten sie sich nach mehr Weite und suchten längere Zeit aktiv nach einem Hof oder Alpbetrieb. Dann ging es plötzlich schnell. Im Oktober 2022 kam es zum Kontakt mit Vreni und Franz Walker und nur zwei Monate später zogen Erika und Walter Imholz mit ihren Kindern in deren Zweifamilienhaus auf dem Betrieb «Untere Egg» auf Gitschenen ein. Vreni und Franz Walker beabsichtigten, ihren knapp 20 Hektaren grossen Hof, welchen sie rund 25 Jahre führten, in absehbarer Zeit zu veräussern. Erika und Walter Imholz hatten somit die Zusage für die Betriebsübernahme, der konkrete Zeitpunkt stand aber noch offen. [IMG 3]
Zwei Wochen ohne Erinnerungen
Erika Imholz war zu diesem Zeitpunkt im fünften Monat schwanger. Die junge Familie war glücklich, ihre Weihnachtstage erstmals auf Gitschenen verbringen zu können. Doch nur einige Wochen danach nahm ihr Leben eine unerwartete Wendung. Wegen einer Autoimmunerkrankung, von der in der Schweiz nur eine Handvoll Fälle bekannt sind, kam es bei Walter Imholz zu einer Hirnentzündung. Diese führte zu zwei Hirninfarkten und breitete sich bis in das Rückenmark aus, was bei ihm zu einer Lähmung der Beine führte. Sieben Wochen verbrachte er im Spital. An die ersten beiden Wochen hat Walter Imholz, der vorher noch nie ernsthaft krank war, überhaupt keine Erinnerung mehr. «Dass mich Walter im Spital nicht mehr erkannte, war sehr schwer zu ertragen», blickt Erika Imholz zurück.
Das Lebensziel vor Augen gab viel Energie
Doch auch wenn die Ärzte lange Zeit gar keine genaue Diagnose stellen konnten, Walter kämpfte und sein Zustand verbesserte sich langsam. Dank intensiver Therapie konnte er bald wieder die ersten Schritte machen. Die Gedanken an seine junge Familie gaben ihm viel Kraft. «Ich hatte immer das Ziel vor Augen, auf den Geburtstermin von Gian wieder zu Hause zu sein», so Walter Imholz. Mit viel Willenskraft erreichte der 40-Jährige sein Ziel und konnte bei der Geburt Anfang April dabei sein. Es ging Walter Imholz zwar wieder besser, sein Körper aber war durch die Krankheit sehr geschwächt. Anfänglich war es nur schon ein Kraftakt, mit dem Kinderwagen einige Meter weit zu laufen. «Ich musste vieles wieder neu erlernen, die Krankheit hat mich gefühlt 20 Jahre älter gemacht.» Dass sie mit der absehbaren Betriebsübernahme ein grosses Lebensziel vor Augen hatten, gab dem Paar viel Kraft, diese schwierige Zeit zu bewältigen.[IMG 4]
Vor rund zwölf Monaten konnten sie dann den Hof kaufen. Das erste Jahr bewältigten Erika und Walter Imholz mit der wertvollen Unterstützung ihrer Vorgänger Vreni und Franz Walker. Aber auch auf die Mithilfe von Verwandten und weiteren Helfern konnten sie zählen.
Arbeit auf dem Hof als Therapie
«Die Arbeit auf dem Hof in meinem eigenen Rhythmus zu bewältigen, war für mich die beste Therapie. Dass ich heute mit dem Motormäher wieder steile Wiesen mähen kann, bezeichnen die Ärzte als medizinischen Glücksfall», so Walter Imholz. Den Betrieb haben Erika und Walter Imholz mittels Zukauf zwar einerseits um sechs Hektaren erweitern können, anderseits durch die Umstellung von Milchkühen auf Aufzuchtrinder arbeitstechnisch vereinfacht. Da die ehemaligen Besitzer mittlerweile ins Tal gezügelt sind, können sie die frei stehende Wohnung nun an Feriengäste vermieten. Im Weiler Gitschenen gibt es total vier Ganzjahresbetriebe und noch drei weitere Haushaltungen. Dazu kommen rund zehn Ferienwohnungen. Dank zwei Restaurants und des Skilifts herrscht im Sommer und Winter reger Betrieb. Dass der Skilift heuer etwas häufiger in Betrieb sein wird als in den vergangenen Jahren, hoffen vor allem die vier Imholz-Kinder, denn Lia, Nik und Fabio sind schon zügig auf den zwei Latten unterwegs. «Darum wird ihnen das Christkind hoffentlich auch einen Rückenpanzer bringen», so Erika Imholz mit einem Schmunzeln. [IMG 2]
Keine Zufahrt mit dem Auto
Auch für die vier Kinder waren die vergangenen zwei Jahre intensiv. Vor allem die elfjährige Lia war bereits eine grosse Stütze, indem sie oft zu ihren kleineren Brüdern schaute. Trotz des Wegzugs aus dem Dorf gehen Lia, Nik und Fabio immer noch in die gleiche Schule und konnten ihre Klassengspänli somit behalten. Stark verändert hat sich aber ihr Schulweg. Waren sie vorher innerhalb von zwei Minuten im Schulzimmer, sind sie heute rund 45 Minuten unterwegs. Erst fahren sie mit der Seilbahn St. Jakob ins Tal und dann mit dem Bus nach Isenthal. «Dass wir nicht mehr mit dem Auto zum Haus fahren können, war die grösste Umstellung des Umzugs nach Gitschenen», erklärt Erika Imholz. Rund 45 Kinder gehen in Isenthal noch zur Schule und auch der Musikunterricht von Lia und Nik findet dort statt. Lia spielt Schwyzerörgeli, Nik bläst das Es-Horn. Dafür wünscht sich der Achtjährige vom Christkind einen Notenständer. Auch die weiteren Wünsche ans Christkind sind bescheiden: Ziegenzüchter Fabio hofft darauf, dass er unter dem Weihnachtsbaum ein Trycheli für seine Geiss finden wird, und Lia wünscht sich Ohrringe.
Pläne für die Zukunft
Und was findet sich auf dem Wunschzettel von Erika und Walter Imholz? Dass darauf wenig Materielles steht, ist nachvollziehbar. Die Aussage «einfach gesund zu bleiben» hat bei ihnen in den letzten beiden Jahren eine ganz neue Bedeutung erhalten. Denn obwohl es Walter heute wieder viel besser geht, muss er vorsichtig sein. Sein Körper verfügt momentan kaum über Antikörper, schon ein kleiner Infekt könnte schwerwiegende Folgen haben. Doch daran will Walter Imholz nicht herumstudieren, viel lieber macht sich der gelernte Maurer über den geplanten Stallumbau Gedanken: «In meinem Kopf sind die Pläne dazu bereits vorhanden.» Und auch Erika Imholz blickt positiv in die Zukunft: «Wir wünschen uns für das kommende Jahr einfach, dass wieder Normalität in unseren Alltag einkehrt und wir alle gesund bleiben.»