Die gelernte Landschaftsgärtnerin Sonja Steiner ist seit 13 Jahren mit ihren Freibergern als Rösslitram in Baar unterwegs. Das heisst, sie rückt viermal in der Woche mit zwei Pferden und der Kutsche aus, um an verschiedenen Sammelpunkten – wie im Recycling-Merkblatt der Stadt eingetragen – Recyclingmaterial einzusammeln.

«Wo es früher die körperliche Arbeit war, ist es heute das Soziale.»

Sonja Steiner, Fuhrhalterin und Landschaftsgärtnerin.

Eigentlich wollte Sonja Steiner das Rösslitram nicht übernehmen. Ihr Grossvater hatte bereits Pferde und später auch ihr Onkel, so sei sie zum «Rössele» gekommen. Den Vorgänger des Rösslitrams kannte sie gut, denn als junger Teenager hatte sie bereits bei ihm geholfen, den Stall zu reinigen und das Gespann bereit zu machen. So hätten sie und ihre Schwester gelernt, wo was hingehört, wie man ein Kummet anzieht und schliesslich auch, wie man Kutsche fährt. Der Vorgänger war 16 Jahre lang mit dem Rösslitram unterwegs, bis er es nicht mehr machen wollte. Dann kam die 37-Jährige zum Zug, wobei sie zuerst dachte, dass ihr das wohl bald zu langweilig würde. Es sei ihr aber bis heute, nach zwölf Jahren, noch nicht verleidet, meint sie schmunzelnd. Es sei etwas ganz anderes als die Arbeit als Landschaftsgärtnerin, man spreche viel mehr mit den Leuten. Wo es vorher die körperliche Arbeit war, sei es heute das Soziale.

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Im Auftrag der Gemeinde

Während Sonja Steiner, die bereits seit sechs Uhr im Stall ist, erzählt, malmen die beiden Pferde Soraya und Corina entspannt etwas Heu. Sie sind zwei der insgesamt fünf Freiberger. Man könne nie genug Pferde haben, witzelt Steiner mit einer Spur Ernst in der Stimme. Da müsse nur ein Hufeisen locker sein und schon sei man froh um Ersatz. Sie könne so auch abwechseln, denn die Pferde laufen jeweils nur einen halben Tag vor der Kutsche. Aktuell habe sie so den Stall voll.

Gehalten werden vier Braune und ein Fuchs. Der Fuchs sei nur bei ihr, weil sie schon dessen Grossmutter und Mutter gekannt habe, optisch passe er nämlich nicht ins Bild. Die Kutsche, ein Neuhauswagen mit Achsschenkellenkung, konnte Steiner damals übernehmen, die Pferde allerdings seien schon immer ihre eigenen gewesen. Die Mutter von zwei Kindern ist im Auftrag der Gemeinde unterwegs, als selbstständig Erwerbende. Sie selbst ist in Baar aufgewachsen und wohnt nun mit ihrem Mann auf dessen Hof in Hünenberg. Er mästet dort Rinder, verkauft Remonten und betreibt Ackerbau.

Gefahren wird immer

Sie fahre bei jedem Wetter, das ganze Jahr, jeweils am Dienstag und Mittwoch den ganzen, Donnerstag und Samstag den halben Tag. Ferien kenne sie nicht wirklich und auf die Frage, wie es denn sei, wenn sie einmal krank werde, kommt ein entschiedenes «Das gits nid!» zurück. Steiner relativiert etwas: Seit sie die Kinder, diese sind nun vier- und siebenjährig, habe, übernehme ihre Schwester die Nachmittagsdienste. Und auch während des Mutterschutzes sei sie eingesprungen. Ansonsten könne sie sich nur an einen einzigen Halbtag erinnern, an dem sie nicht gefahren sei, damals beim Sturm Burglind.

Die Pferde werden eingespannt, beide kennen das Prozedere und warten gelassen, bis alles angeschnallt ist und die Mitarbeiter da sind. Letztere werden von der Gemeinnützigen Gesellschaft Zug (GGZ) gestellt. Denn das Rösslitram entstand ursprünglich, um Sozialhilfebezügern oder Asylsuchenden eine Beschäftigung zu bieten. Das bedeutet, dass Steiner im Grunde nur für das Fuhrwerk zuständig ist, die Annahme der Recyclingartikel übernehmen die Mitarbeiter.

Andere Verkehrsteilnehmer

Kaum losgefahren, befindet man sich bereits auf der Hauptstrasse, bevor es zur ersten Haltestelle ins Quartier geht. Da wird auch die Herausforderung ersichtlich: Die Autofahrer überholen, teils mit Vernunft, teils ohne. Einmal habe ein Auto sie so nahe überholt, dass dieses die Waage des Wagens touchierte und damit das Auto zerkratzt habe. Ein andermal sei ihr ein grosser Traktor mit Kipper entgegengefahren, ohne abzubremsen. «Seither mag die Stute Corina grosse Gefährte nicht mehr.»

Die erste der fünf am Mittwochmorgen angefahrenen Haltestellen ist sichtbar, und zwar nicht, weil sie markiert wäre, sondern weil bereits Leute – vom Baby bis zu Senior(innen) ist alles dabei – bepackt mit Tüten und Säcken warten. Die Wartezeiten an den Stationen seien jeweils zehn bis zwanzig Minuten. Verhältnismässig sei aktuell nicht viel los, viele seien in den Ferien, weiss Sonja Steiner. Das könne an Weihnachten und Neujahr ganz anders aussehen. Zum einen seien viele zu Hause, zum anderen häuften sich Karton und Glasflaschen. Die Pferde würden bereits mit der Kutsche, welcher man die über 60 Jahre kaum ansieht, ungefähr eine Tonne ziehen. Mit der Zuladung kämen vermutlich noch mal etwa 500 kg dazu. Im Notfall könne sie die GGZ anrufen, damit diese mit einem Fahrzeug einen Teil des Recyclinggutes abhole, um Platz für die nächsten Stationen zu schaffen. [IMG 6]

Von jung bis alt

Wer an welcher Station wartet, kann Sonja Steiner öfters voraussagen. An einer Station warte immer eine ältere Dame mit Hundekeksen für Steiners aufgeweckten Schipperke-Rüden Herry. Der musste allerdings diesmal zu Hause bleiben, die BauernZeitungs-Redaktorin hat seinen Platz besetzt. Oder es warte ein gesprächiger Herr oder ein kleiner Bub, der gerne auf den Kutschbock klettere – die Kund(innen) seien vielseitig. Man könne den Kindern beim Wachsen zuschauen, habe aber auch traurige Erlebnisse, wenn ältere Menschen nach Jahren plötzlich nicht mehr wie gewohnt an der Sammelstelle stehen. Auch erhalte sie ab und zu ein kaltes oder warmes Getränk, ein kleines Trinkgeld oder Schokolade, das freue sie. Ein Herr, dem sie eine Geburtskarte von ihrem ersten Kind abgab, ist ihr in besonderer Erinnerung. Denn er habe ihr dann zum ersten Geburtstag ihres Sohnes ein Gratulationskärtchen mitgegeben.

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Sehr entspannte Pferde

Ist die Zeit um, erhalten die Pferde eine Belohnung in Form einer kleinen Handvoll Heu. Die Kisten und Säcke werden auf die Kutsche und das an der Kutsche angehängte Postwägeli geladen und es geht weiter. Die Pferde lassen sich weder durch die Grünabfuhr noch durch Glockenläuten aus der Ruhe bringen. Als im Dreissiger-Quartier das Schild mit «5 km/h – Danke» aufblinkt, erzählt Steiner, es habe sie mit der Kutsche auch schon geblitzt. Allerdings nicht, weil sie in vollem Galopp durch die Strassen gerast wäre, sondern weil just in dem Moment ein Auto überholt habe. Vermutlich hatten die Polizisten etwas zu lachen. [IMG 3-4]

Die letzte Station ist der Ökihof in Baar; dort darf sich Steiner, nachdem sie über die Bodenwellen geschaukelt ist, in die Ausfahrt stellen, um das Recyclingmaterial abzuladen. Auch Soraya und Corina sind sehr entspannt, es scheppert von den eingeworfenen Glasflaschen, Plastiksäcke flattern oder Dosen klappern in die dafür vorgesehenen Behälter. Die beiden Stuten nehmen es gelassen. Am Ökihof ist Feierabend für die Mitarbeitenden und auch für die Fuhrhalterin geht es mit dem Gespann nach Hause. Eine Tour mit angenehmem Wetter, netten Gesprächen mit den Kund(innen) und dem Gefühl, etwas für die Menschen und die Umwelt getan zu haben, ist erledigt.

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