Wer kann sich noch an den Bäri erinnern, der mit einem Leiterwägeli die Milch in die Käserei brachte? Was früher gang und gäbe war, gibt es heute leider nicht mehr. – Doch halt, in Niederbipp im Kanton Solothurn trifft man regelmässig auf Hundegespanne. Da wohnt nämlich Anita Niesink. Sie ist Hundetrainerin und bildet unter anderem Zughunde aus.

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Hunde werden mit Liebe und Konsequenz erzogen

Auf Anita Niesinks Hofplatz herrscht reges Treiben: Sie zieht gerade ein Holzwägeli aus dem Schopf, da fahren zwei Autos mit Zürcher Nummernschildern vor. Angereist sind Bäuerin Susanne Spaltenstein mit Schweizer Sennenhündin Nala und ihre Kollegin Ursi Montinaro mit den Berner Sennenhündinnen Kyra und Ruwani. Die Frauen und ihre Vierbeinerinnen sind zum Zughundetraining verabredet. Begrüsst werden sie von Luna mit lautem und freudigem Gebell. Sie ist Anita Niesinks sechsjährige Pekinese-Mischlingshündin. Vor Luna hielt die passionierte Hundehalterin über dreissig Jahre lang Bernhardiner. Ihr Leitspruch für die Arbeit mit den Hunden war, und ist es bis heute geblieben: «Hunde brauchen bei der Erziehung zwei Dinge: Liebe und Konsequenz.»[IMG 5]

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Haben auch Sie einen Zughund?

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Letztes Jahr zeigten uns die Leserinnen und Leser ihre Hofhunde.

 

«Susannes Nala ist ein wahres Zughunde-Naturtalent», schwärmt Anita Niesink. Susanne Spaltenstein entdeckte die Zugfreudigkeit ihrer Hündin per Zufall, als sie sie an einem Kindertraktor festband, weil sie beide Hände freihaben musste. «Wir beide machen das spasseshalber, aber auch als sinnvolle Beschäftigung für Nala.» Bei Ursi Montinaro ist es die Leidenschaft für Alpabzüge, die sie ins Zughundetraining bringt: «Ich habe schon an einigen Alpabzügen teilgenommen, die Atmosphäre ist einfach grossartig», schwärmt sie. Der Grund für das heutige Training ist ihre junge Hündin Ruwani. «Sobald sie eingespannt ist, macht sie zwar mit. Ich habe jedoch das Gefühl, sie fragt sich manchmal, was das Ganze soll», meint die begeisterte Hundesportlerin scherzend.

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Ein paar Einsteigertipps fürs Zughundetraining

Die richtige Hunderasse: Besonders geeignet als Zughunde sind Bernhardiner sowie Schweizer und Berner Sennenhunde. Laut Anita Niesink haben diese Rassen das«Wägele im Blut».

Es eignen sich jedoch alle Hunde, die über 50 cm Widerristhöhe haben, mindestens zwei Jahre alt und gesund sind. Tragende Hündinnen wie auch Hunde mit Hüftproblemen sollten nicht eingespannt werden.

Hunde, die gut ausgebildet sind und gehorchen, machen die Arbeit einfacher.

Der Trainingsaufbau: Zuerst muss sich der Hund an das Hundegeschirr und die Zugvorrichtung gewöhnen, dann spannt man ihn vor den Wagen. Zu Beginn absolviert man kurze Trainingseinheiten von fünf bis zehn Minuten und nur gerade geradeaus. Mit der Zeit kann die Streckenlänge gesteigert werden und es können Kurven oder bergauf Fahren geübt werden. Nach zirka fünf Stunden Training können die Hunde ein Wägeli ziehen.

Die Tiere müssen sich zuerst an das Gewicht des Wagens gewöhnen. Zughunde können bis zu 250 Kilogramm Gewicht ziehen.

Die Freude des Hundes muss immer im Vordergrund stehen. Will ein Hund partout keinen Wagen ziehen, muss nach dem Grund gesucht werden. Es kann sein, dass gesundheitliche Gründe vorliegen.

Das Wägelchen: Die Schreinerei und Wagnerei Schneggenburger in Sommeri TG stellt Hundewägeli «Made in Switzerland» her. Je grösser die Räder desto einfacher lässt sich das Gefährt vom Hund ziehen. Ein Wägelchen kostet zirka 2200 Franken.

Das Hundegeschirr: Es kann zusammen mit einem Wägelchen bei der Wagnerei Schneggenburger bezogen werden oder man kann sich Hundegeschirr beim einem Sattler nähen lassen. Die Kosten liegen im Rahmen von 300 bis 400 Franken.

Das Verhalten im Strassenverkehr: Ein Zughundegespann gilt auf der Strasse als Gefährt. Folglich fährt es auf der rechten Strassenseite. In der Regel gehen Hund und Wagen am Strassenrand, der Hundehalter läuft links davon und schirmt gegen den Verkehr ab.

Ein Hundegespann braucht kein Strassenzulassungsschild, muss aber mit Bremse und Rückstrahler ausgestattet sein. 

Mehr Infos: www.zughunde.ch

 

Sobald das Wägelchen mit Speis und Trank für Hündinnen und ihre Besitzerinnen bepackt ist, geht es los. Nala darf als Erste ziehen. Susanne Spaltenstein zieht ihr das Hundegeschirr aus rotem Leder und schwarzer Einfassung über. Es passt zu Nalas Halsband, dieses ist ebenfalls rot und in Schweizerkreuz-Design, wie die Leine übrigens auch. «Ich habe alles bei einer Sattlerin in der Region anfertigen lassen», erzählt sie, «Es war ihr erster Auftrag für einen Hund.»

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Als Zughundegespann ist man als Gefährt unterwegs

Im Gegensatz zum Bäri von früher darf Nala nicht alleine unterwegs sein. «Das wäre zu gefährlich, wegen der Autos», meint ihre Besitzerin. Nala reckt keck ihren Schwanz in die Höhe und trabt leichtfüssig am Strassenrand entlang. Das ist ein Zeichen, dass ihr gefällt, was sie macht. Susanne Spaltenstein läuft links von ihr, sozusagen als Puffer zum Verkehr. Ausserdem hat sie die Leine an der Lande (Zugvorrichtung am Wagen) festgemacht. «Sie kann auf diese Weise das Gespann korrigieren, indem sie den Wagen führt, ohne am Hund herumzuziehen», erklärt Anita Niesink die Konstruktion.

Beim Übungsplatz angekommen, dreht Nala ein paar Kurven und macht auf Kommando Stopp. Nur mit dem Abliegen in der Zugvorrichtung will es noch nicht so recht klappen. Dies soll nun Kyra, die Erfahrenste der Hundedamen, vorzeigen. Geduldig lässt sie sich einspannen, zieht das Wägelchen ein paar Runden im Kreis und legt sich am Ende brav nieder. Zur Belohnung gibt es von ihrer Besitzerin ein Leckerli.

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Wägeli ziehen ist Knochenarbeit für die Hunde

Jetzt ist Pause angesagt. «Das Wägeli zu ziehen ist Knochenarbeit für die Hunde», sagt Anita Niesink. «Es kann sein, dass der Hund am nächsten Tag humpelt, weil er Muskelkater hat», fährt sie fort. Die Ausbildnerin achtet ebenfalls darauf, dass es nicht zu heiss ist, wenn sie mit den Hunden ein Training absolviert. «Bis 22°C sind ideal, also Frühling und Herbst oder im Sommer am Morgen.»

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Auch die Hundehalterinnen (v. l. n. r.) Susanne Spaltenstein, Anita Niesink und Ursi Montinaro sowie die Journalistin (vorne Mitte) freuen sich über eine Pause mit Kaffee und Kuchen.

Nicht nur die Hunde sind froh, dass sie sich ausruhen können und es etwas zu trinken gibt, auch die Frauen geniessen den mitgebrachten Kaffee und Kuchen beim Wägeli-Picknick im Freien sehr. «Sobald wir mit Hund und Wägeli unterwegs sind, macht es zack und die Gedanken vom Arbeitsalltag sind weit weg», sind sich die drei Hundebesitzerinnen einig. Dem kann man als Beobachterin nur zustimmen. Nur schon das Zuschauen und Mitmarschieren entschleunigen ungemein. Es fehlt jetzt eigentlich nur noch die Tracht und der kleine Umzug à la Gotthelfs Zeiten wäre perfekt.

 

Es war einmal ...: Die Geschichte der Zughunde

Zughunde haben eine lange Tradition: Auf einer antiken, griechischen Vase, die auf 500 Jahre vor Christus datiert wurde, war bereits ein Doppel-Hundegespann abgebildet, das eine Person in einem Wagen befördert.

In Europa erlebten Zughundegespanne zwei Entwicklungen: Einerseits waren sie etwas Luxuriöses und galten als Statussymbol. Adlige und sehr reiche Leute verwöhnten ihre Zughunde und liessen sich von ihnen in prachtvollen Kutschen herum chauffieren. Andererseits wurden Zughunde von einfachen Händlern, Handwerkern und Bauern eingesetzt. Die Hunde waren anspruchsloser als Pferde und konnten selbstständig Wege zurücklegen.

Während der Industrialisierung vielseitig einsetzbar: Die Hunde kamen problemlos durch die engen, verwinkelten Gassen der Städte, und die Vierbeiner konnten sogar ihre Ladung selber bewachen. Nebst Transport von Waren kutschierten die Zughunde Touristen herum und wurden auch bei Beerdigungen eingesetzt.

Um 1900 waren in Belgien und Holland zirka 150'000 Zughundegespanne im Einsatz.

Einsatz an der Kriegsfront: Allein im Ersten Weltkrieg wurden an die 40'000 Hunde von den deutschen Streit­kräften für Kriegsdienste eingesetzt.

Zughunde arbeiten sehr leise und sind nicht störungsanfällig. Im Gegensatz zu Pferden agieren sie selbstständig und sind niedriger, sie konnten sich sozusagen unterhalb der Schusslinie bewegen. Die Zughunde transportierten z. B. Munition, Proviant, Post, aber auch Tote und Verletzte.

Unterwegs für die Bauern: Die meisten von uns erinnern sich wohl an den Bäri, der die Milch in die Käserei brachte. Die Hundegespanne wurden mit der Zeit vom Traktor verdrängt.

Heute: Zughunde kennen wir heutzutage vor allem als Schlittenhunde. Wägelihunde, wie sie Anita Niesink ausbildet, werden von ihren Halter(innen) meist spasseshalber für Spazier- oder Besorgungsgänge trainiert. Gerne werden Hundegespanne auch zu grossen Festumzügen oder Alpabzügen eingeladen.

In der Schweiz führten die Emmentaler Bernhardinerfreunde von 1988 bis 2013 einen jährlichen Zughundewettbewerb durch. Dabei ging es um Geschicklichkeit von Hund und Halter(in). Solche Wettbewerbe werden in Deutschland und in Österreich immer noch durchgeführt.