«Wir suchen immer noch», «dringend gesucht infolge Unfall des Betriebsleiters», «immer noch topaktuell»: Jobinserate mit solchen Überschriften häufen sich derzeit in bäuerlichen Facebook-Gruppen. Besonders landwirtschaftliche Angestellte bzw. gelernte Landwirte scheinen zu fehlen. Gleichzeitig hört man von der schwierigen Suche nach ausländischen Erntehelfer(innen) – von Zusagen, bereits gebuchten Plätzen in Bussen und den ersehnten Mitarbeitenden, die dann kurzfristig doch nicht einreisen.

Mangel auf allen Stufen

Beim Schweizer Bauernverband (SBV) ist das Problem bekannt: «Seit längerer Zeit sind Mitarbeitende auf allen Stufen gesucht», sagt Monika Schatzmann, Leiterin Agrimpuls, auf Anfrage. «Auch im Gemüsebau ist es aktuell, aber auch schon seit längerer Zeit schwieriger geworden, Fachkräfte und Erntehelfer zu rekrutieren», so Markus Waber, stellvertretender Direktor des Verbands Schweizer Gemüseproduzenten.

Bessere Perspektiven

Bei den ausländischen Hilfskräften komme hinzu, dass die Wirtschaft in den Herkunftsländern wie Polen und Portugal besser geworden sei und «sie daher lieber bei ihren Familien bleiben wollen». Eventuell spielten auch Faktoren wie die unsichere Corona-Zeit und der Krieg in der Ukraine eine Rolle.

Und wie sieht es im Obstbau bei der Rekrutierung aus? «In einzelnen Fällen gibt es Schwierigkeiten, die Situation ist aber nicht dramatisch», sagt Beatrice Rüttimann, Mediensprecherin des Schweizer Obstverbands.

Persönliche Kontakte

Monika Schatzmann bestätigt den Eindruck, dass es für Betriebe fast nur noch möglich ist, ausländische Erntehelfer(innen) zu rekrutieren, wenn sie über persönliche Kontakte verfügen. Dass Leute kurzfristig nicht einreisen, habe es allerdings auch schon in der Vergangenheit gegeben: «Ob es dieses Jahr vermehrt vorkommt, ist uns nicht bekannt.»

«Im Gemüsebau ist die Rekrutierung von ausländischen Hilfskräften über persönliche Kontakte der Normalfall», sagt seinerseits Markus Waber. Dass die ausländischen Hilfskräfte nicht anreisen, treffe mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht auf die Mehrheit zu. «Öfter kommt es vor, dass sie die Landwirtschaft als Zugang in die Schweiz nutzen und dann nach wenigen Tagen in eine andere Branche wechseln, zum Beispiel in die Baubranche.»

Besondere Lebensumstände

Am Feierabend tauscht Andriana Sobchuk Gummistiefel und Arbeitshose gegen das Sommerkleid. Sie mag Mode. Ukraine-Krieg Von der Ukraine als Erntehelferin in die Schweiz: «Vor dem Krieg hatte ich viele Pläne. Davon ist nicht viel übrig» Tuesday, 7. June 2022 Nun hört man von Betrieben, die Ukrainer(innen) als Erntehelferinnen anstellen (möchten). «Es sind aber auch die Lebensumstände der geflüchteten Familien zu berücksichtigen», hält Markus Waber fest. «Viele der Personen mit S-Status sind an eine Gemeinde gebunden (z. B. Kinder sind eingeschult), das heisst, es muss dann auch passen, dass es in der Region eine freie Stelle gibt», ergänzt Monika Schatzmann. «Wir wissen, dass einige dieser Personen in einem Teilzeitpensum beschäftigt sind (neben Deutschkurs, Kinderbetreuung usw.).» 

«Betriebsleiter(innen) haben teilweise Mühe, Unterbringungsmöglichkeiten zu finden, da etliche Wohnungen von Flüchtlingen besetzt sind oder von den Gemeinden für die zu erwartende Zuteilung von Flüchtlingen reserviert sind», nennt Beatrice Rüttimann einen weiteren Aspekt.

Nachwuchs entscheidend

Wichtig für die Personalsituation ist auch, dass genügend Berufsnachwuchs nachrückt. Wie sehen die Verbände die Situation? «Erfreulicherweise konnten wir eine Zunahme der Lehrabgänge in den letzten Jahren verzeichnen. Das reicht aber nicht aus, diesen Mangel abzudecken», sagt Markus Waber.

Genaue Zahlen könne man nicht liefern, aber «wir wissen, dass die Fachkräfte auf den Betrieben sehr gefragt sind». Die Anzahl der Lernenden sei seit Jahren eher tief, heisst es vom Schweizer Obstverband. «Daraus werden in den kommenden Jahren fehlende Nachfolgeregelungen auf den Betrieben resultieren», sagt Beatrice Rüttimann. Gegensteuer versuche man mit Berufsförderaktivitäten – wie der Teilnahme an den Swiss Skills – zu geben.

«Verstärktes Interesse»

Zuversichtlich ist hingegen Petra Sieghart, Bildungsverantwortliche beim SBV: «Die Lernendenzahlen sinken nicht. Im letzten Jahr sind sie gestiegen, wir stellen ein verstärktes Interesse an der Landwirtschaft fest.» Gleichzeitig gehe die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe zurück, gibt sie zu bedenken. Ein gewisser Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage wäre also mit der Zeit möglich.