Bei uns herrscht Hochbetrieb, wie jedes Jahr um diese Zeit. Unsere Erdbeeren sind reif, die Kunden kommen oft in Scharen zum Pflücken. Die eher schmale Zufahrtsstrasse zu unserem Erdbeerfeld erlebt drei Wochen Gotthard-Pfingststau-Zustände im Miniformat. Zumindest denken dies wahrscheinlich unsere Nachbarn, die nicht alle erfreut sind über diese rollende Abwechslung. Aber item, das ist eine andere Geschichte.
Die Schüsseln füllen sich mit Erdbeeren
Für uns ist es eine herausfordernde, strenge, aber vor allem sehr befriedigende Zeit. Überall sehe ich strahlende Gesichter, denn von vielen wird dieses Pflückerlebnis jedes Jahr regelrecht «erplanget». Ich stehe mitten auf dem Feld und erfreue mich an den unterschiedlichsten Bildern unserer Kunden, die «gringsvorab» die roten Früchte in ihre Gefässe schichten. Manche in einer Leichtigkeit, als kämen die Früchte wie von selbst «cho z trole». Andere ächzend und schwitzend, aber auch sie nicht weniger zufrieden, wenn sich die Schüssel langsam füllt.
Wenn die Schlagrahmdose mit aufs Erdbeerfeld kommt
Und jedes Jahr erleben wir wieder Neues, Unerwartetes. Ein Herr mittleren Alters sehe ich plötzlich mitten in den grünen Blättern sitzen und ich bin sicher, dass er irgendwelche Hilfe benötigt. Während ich mir über eine mögliche Herzschwäche Gedanken mache, merke ich beim Näherkommen, dass meine Sorgen unbegründet sind. Er erfreut sich bester Gesundheit. Mit der einen Hand pflückt er immer wieder Erdbeeren, in der anderen hat er eine rote Rahmspraydose. Damit garniert er jede einzelne Frucht mit einer grossen, weissen Haube, bevor er sie genüsslich im Mund verschwinden lässt. Ich merke bald, ich störe ihn gerade beim Mittagessen. Ich wünsche ihm einen guten Appetit und denke für mich: «Es git scho nüt, wos nid git.»
Die kleine Erdbeerkönigin wärmt das Herz
Besonders Freude habe ich immer wieder an den Kindern, die mit erdbeerrot verschmierten Gesichtern mit der Sonne um die Wette strahlen. Nie vergesse ich das kleine Mädchen, das an einem heissen Sommertag in einem Kleid mit lauter kleinen Erdbeeren bedruckt und einem gestrickten, warmen Erdbeerchäppli auf dem Kopf vor mir stand und zu mir sagte: «I wott drum hüt die Schönschti sy uf dim Ärdbeerifäud.» Und wie sie das war! Seitdem ist sie meine heimliche Erdbeerkönigin! Dies sind wunderbare Herzmomente und sie entschädigen mich für das Ertragen der – sagen wir mal – weniger angenehmen Kundschaft.
Aber da gibt es auch noch die Frechen und Anstandslosen
Man sagt doch, dass der Kunde König ist. Und ja, die allermeisten unserer Erdbeerkunden hätten längst den Königstitel verdient! Es sind die, die auch verstehen, wenn die Qualität in einer Saison nicht unter die Rubrik 1A fällt. Es sind die, die wissen und akzeptieren, dass die Natur oft ihre eigenen Gesetze hat. Die wenigen anderen Kunden, die fordernd, um nicht zu sagen frech, nach den grössten, aber natürlich billigsten Früchten fragen und die dann trotz aller Mühe immer etwas zu reklamieren haben, denen empfehle ich, in Zukunft zumindest mit einem Erdbeerchäppli zu erscheinen. Denn wenn der Anstand fehlt, dann ist dies ab sofort meine Mindestanforderung, damit sie wenigstens ein bisschen dem Königsstatus näherkommen.