«Sie vertragen die Kost unserer Bauern nicht», hiess es in den «Luzerner Neusten Nachrichten» im November 1961. Gemeint waren die Saisonniers aus dem südlichen Europa, die seit der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre auf vielen Bauernbetrieben anstelle von einheimischen Dienstboten lebten und arbeiteten.

Alle essen vom selben Tisch

Insbesondere die Spanier taten sich zuweilen schwer mit der Kost und den Getränken, die auf bäuerlichen Betrieben auf den Tisch kamen. Eine Zurückhaltung im Vorsetzen von Speck, Käse und Schnaps sei daher zumindest am Anfang eines Arbeitsverhältnisses wünschenswert, hiess es in der bäuerlichen Presse, die bestrebt war, kulinarisch bedingte Spannungen zu entschärfen.

Dass in der Landwirtschaft zwischen Bauern und ihren Angestellten nicht nur über Arbeitszeiten und Löhne gestritten, sondern auch über Essen und Trinken verhandelt wurde, hängt mit den agrarischen Eigenheiten zusammen. Denn anders als in der Fabrik lebten im Bauernhaus alle unter dem gleichen Dach und assen das, was die Bäuerinnen und ihre Töchter auftischten.

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Fremd und ungewohnt

Konflikte in den Bauernküchen entzündeten sich aber nicht nur an Speisen und Getränken, die auf den Tisch kamen, sondern auch an solchen, die nicht aufgetischt wurden. Denn das Verlangen nach Essen, das besonders geschätzt wurden, aber in der Fremde nicht zur Verfügung stand, löste zuweilen ähnliche Fremdheitsgefühle aus wie die Konfrontation mit Speisen, die man nicht kannte, nicht mochte oder gar nicht vertrug.

Am Küchentisch fremd fühlten sich aber zuweilen nicht nur die Saisonniers, sondern auch die Mitglieder der bäuerlichen Familie. Bäuerinnen etwa reagierten insbesondere dann irritiert auf verbalisierte oder stumme Kritik an ihren Kochkünsten, wenn diese Speisen betraf, mit denen sie und ihr soziales Umfeld sich besonders stark identifizierten. Im Kanton Bern etwa empörten sich Bäuerinnen darüber, dass italienische Saisonniers den im bäuerlichen Milieu im Frühherbst mit grosser Vorfreude erwarteten Zwetschgenkuchen als ungeniessbar verschmähten.

«Exotisches» aus dem Süden

Aber auch viele Bauern mussten sich umgewöhnen. Besonders auf Betrieben, wo auch Kinder und Jugendliche zur Tischgemeinschaft zählten. Denn diese interessierten sich oft allein schon aus Gründen der Abgrenzung gegenüber ihren Eltern für die «exotischen» Speisen, die den Landarbeitern aus dem Süden jedoch vertrauten waren.

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So hat in den 1950er-Jahren eine ganze Generation junger Frauen Aspekte der italienischen Küche erkundet und in den Bauernhäusern zumindest teilweise umgesetzt. Und das, ohne je in Rimini oder Sizilien in den Ferien gewesen zu sein, wie viele ihrer Schulkolleginnen aus den nichtbäuerlichen Milieus, die Spaghetti und Pizza dort kennenlernten.

Fremdes zu eigen machen

Der Anschauungsunterricht auf den bäuerlichen Betrieben, wo Saisonniers und auf den Höfen tätige Handwerker aus dem Süden Bohnen, Speck und sauren Most dankend ablehnten, um Weissbrot, Salami und Bananen zu essen, hinterliessen in vielen Bauernfamilien tiefe Spuren.

So machten Bauern und Bäuerinnen nicht nur die konkrete Erfahrung, dass das «Fremde» durchaus auch in der «Heimat» erfahren werden konnte, sondern auch, dass man das «Fremde» auch zum «Eigenen» machen konnte, wenn man es neu interpretierte und schrittweise in die eigenen Lebenswelten integrierte.

Immer wieder verändert

Die Nachkriegszeit war auch nicht der erste Zeitraum, in dem sich das Koch- und Essverhalten in den Bauernküchen massiv veränderten. Noch grössere Umwälzungen hatten sich schon vor dem Ersten Weltkrieg vollzogen. Denn im Rahmen der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sich durchsetzenden wirtschaftlichen Globalisierung vergrösserte sich nicht nur das Nahrungsmittelangebot in Europa.

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Auch die soziale, räumliche und kulturelle Distanz zwischen den Produzenten und Konsumenten nahm zu. Erstere wussten immer weniger, was aus ihren Produkten gemacht wurde, und letztere hatten kaum mehr eine Ahnung, wo und unter welchen Bedingungen ihre tägliche Nahrung produziert worden war. Darin unterschieden sich die Schweizer Käse essenden Mitglieder der US-amerikanischen Mittelschicht kaum von der dänischen Butter und irischen Speck konsumierenden Arbeiterschaft in Grossbritannien.

Oder auch von der bäuerlichen Bevölkerung in der Innerschweiz, welche die «neuen Kartoffeln aus Italien» und die «späteren aus dem Elsass» bezog und sich ansonsten mit «russischem Brot, indischem Reis, italienischen Makkaroni und Marroni, amerikanischem Speck und Schweineschmalz und argentinischem Gefrierfleisch» ernährte, wie der auf einem Bauernhof im Luzernischen aufgewachsene Hans Moos, der nun als Professor an der ETH wirkte, 1914 beobachtete.