Das Thema bewegt und kann jeden treffen: Burn-out in der Landwirtschaft. Die Krankheit kommt schleichend, niemand redet gerne über sie. Viel Arbeit, finanzielle Sorgen und dazu oft Kritik aus der Gesellschaft – viele Landwirtinnen und Landwirte stehen unter Druck. Die Folge: Überforderung und Depressionen. Am Bäreggforum am Inforama im Emmental standen letzte Woche betroffene Landwirte im Zentrum. Sie erzählten, wie es ihnen den Boden unter den Füssen wegzog und dass sie psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen mussten. Mittendrin Timur Steffen, stellvertretender Oberpsychologe am Psychiatriezentrum Münsingen BE. Er referierte am Bäreggforum zum Thema «Damit viel nicht zu viel wird».

Jeder hat Bedürfnisse

Nach der Erfahrung von Timur Steffen schämen sich beim Thema Burn-out immer noch viele Landwirtinnen und Landwirte, Hilfe zu suchen. Bei Männern sei die Hemmschwelle noch grösser als bei Frauen. «Generell haben viele Menschen aus der Landwirtschaft Angst, dass ihre Probleme im Dorf bekannt werden», weiss Steffen.

Wie gross das Problem ist, lässt sich schwer in Zahlen ausdrücken. «Die Erwartungen an die Landwirtschaft sind gross, für die Betroffenen ist der Druck meist mit Stress verbunden», sagt Timur Steffen. Probleme, die monatelang beschäftigen, können zu Bluthochdruck, Schlafstörungen, Kopf- oder Rückenschmerzen führen. Solche Symptome gelte es zu beachten, denn sie können zu einem Burn-out führen, wenn sie gehäuft auftreten. «Es ist wichtig, sich nicht ausbrennen zu lassen und die Probleme anzugehen», empfiehlt Steffen. Gewisse Entscheidungen soll man treffen, bevor es zu spät ist. «Die Verleugnung der eigenen Bedürfnisse ist das Dümmste, was man machen kann», so der Fachmann. Diese dann durch Medikamente zu kompensieren, führe zu einem unguten Ende. «Es ist nicht erstaunlich, dass die Berufsgruppe der Landwirte am häufigsten an Depressionen leidet», so der Psychologe.

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Man schämt sich

Auch während der Diskussionsrunde mit den drei betroffenen Landwirten zeigte sich, dass man sich bei einem Burn-out nicht schämen muss und sich professionelle Hilfe holen soll, bevor es zu spät ist. Nicht immer gibt die finanzielle Situation den Ausschlag zu einem Burn-out. Bei den drei Landwirten brachten andere Gründe das Fass zum Überlaufen, wie sie im Gespräch mit der BauernZeitung erzählten. Dass man ihre Aussagen auch in der Zeitung veröffentlichen darf, zeugt von ihrer Grösse und von ihrem Anliegen, dass man das Thema Burn-out in der Landwirtschaft nicht verstecken darf und darüber reden muss.

Stark gefährdet

Wie Timur Steffen ausführt, sind Menschen in der Landwirtschaft doppelt so stark gefährdet, ein Burn-out zu entwickeln, wie die übrige Bevölkerung. Jeden Tag melken, füttern, nachts aufstehen, weil der Melkroboter Alarm schlägt, keine Ferien, nie Zeit für sich. Dazu kommt die finanzielle Situation, der allgemeine Gesundheitszustand, der Zeitdruck oder die enge Verflechtung von Arbeit und Familie, woraus Konflikte entstehen können. Das alles hat einen grossen Einfluss auf die Gesundheit. «Eine gute Beziehungsqualität, soziale Kompetenzen, eine gute Selbstkontrolle oder auch eine hohe Entscheidungsfreudigkeit sind wichtige Schutzfaktoren», so der Psychologe. Generell seien sicher viele Landwirte in Bedrängnis, das führe zu Ausnahmesituationen. Neben den persönlichen Problemen macht der Landwirtschaft auch die Kritik in den sozialen Medien und in der Gesellschaft zu schaffen: «Sie fühlen sich nicht wertgeschätzt, im Gegenteil: Sie gelten als Tierquäler und Umweltzerstörer – das gibt vielen den Rest.»

«Ich hatte keine Kraft mehr und bekam Angstzustände»

Christian Hirschi, Landwirt aus Dürrenroth BE.

Sicher über ein Jahr habe ich im Durchschnitt nur 2,5 Stunden am Stück geschlafen. Dazu kam, dass ich unter Schlafapnoe litt und in der Nacht ein Gerät zur Atmung tragen musste. Obwohl ich sehr wenig geschlafen habe, hatte ich nie das Gefühl, dass ich müde bin. Logisch hatte das Schlafmanko mit der Zeit Auswirkungen. Zudem war ich zusätzlich zum Betrieb noch in einem Nebenerwerb tätig.

Gestresst war ich eher, wenn ich wegen des schlechten Wetters nicht heuen konnte. Natürlich bemerkte meine Familie, dass ich immer unter Strom war, mich immer mehr veränderte. Eines Tages hatte ich keine Kraft mehr, bekam Angstzustände. Ich wollte zuerst mein Burn-out nicht wahrhaben, war zu ehrgeizig, um es zuzugeben. Meine Frau und meine Kinder unterstützen mich, dass ich mir helfen lasse. Die Ärztin sagte mir, mein Körper mache das nicht mehr mit. Dank eines Coachings, das ich in Anspruch nahm, lernte ich, mir Perspektiven zu geben und nicht immer für alles da zu sein. Heute schlafe ich wieder vier Stunden am Stück durch und ohne Maske. Ich finde es wichtig, dass man sich immer wieder eine Auszeit nimmt – ein Wochenende weg vom Betrieb tut jedem gut –, bödelet kommt man dann immer wieder retour.

Heute schreibe ich mir auf, was gut läuft. Und ich staune immer wieder, wie viel eigentlich gut läuft. Ich versuche, immer zur gleichen Zeit ins Bett zu gehen. Ich setze mir auch Ziele, erlaube mir, vielleicht auch einmal mehr als gewöhnlich einen Lohnunternehmer einzusetzen, was ich sicher noch vermehrt lernen muss. Im Nachhinein konnte ich mein Burn-out nicht verhindern, ich schloss die Augen vor der Realität.

«Ich bin ein Wiederholungstäter»

Ueli Strahm, Landwirt aus Langnau i. E. BE.

Schon vor zehn Jahren hatte ich ein Burn-out. Ich hatte damals gedacht, ich hätte alles im Griff. Dieses Mal ist es schleichend gekommen, ich wollte nicht mehr bauern, sah nur noch die viele Arbeit, habe schlecht geschlafen. Meine Töchter haben früher gemerkt als ich, dass etwas mit mir nicht stimmte. Sie sagten: «Vater, mach was, du bist nicht mehr der gleiche wie vorher.»

Wenn man die Treppe hinunterfällt, ist das ein Unfall, es wird nicht hinter dem Rücken gemunkelt. Bei einem Burn-out heisst es sofort: «Däm hets scho ging im Gring gfäut» oder «Scho Grossmuetter isch ä Komischi gsi». Rückblickend kann ich sagen, dass der stationäre Aufenthalt das Beste war, was ich machen konnte. Du musst die Therapie aber selber wollen, es kommt niemand zu dir. Für mich ist es kein Scheitern, sondern ein Wachsen. Früher habe ich immer Ja gesagt, heute erlaube ich mir auch oft, Nein zu sagen.

Heute nehme ich immer noch eine ambulante Therapie in Anspruch. Ich habe gelernt, zwischen meinen Arbeiten auch Pausen einzuschalten. Zudem ist es wichtig, seine Probleme aufzuarbeiten. Meistens sind es viele Sachen, die einen beschäftigen. Sich einer professionellen Fachperson anzuvertrauen, finde ich ratsam. Sich auf einem Landwirtschaftsbetrieb Freiräume zu schaffen, ist sicher schwierig, aber wichtig. Ich habe mir jetzt einige Sachen aufgeschrieben und quasi mit mir einen Vertrag abgeschlossen. Ich weiss jetzt auch, dass mir früher einiges nicht gutgetan hat, jetzt versuche ich, das nicht mehr zuzulassen. Früher habe ich mich über Sachen geärgert, die eigentlich keine Probleme waren. Ich habe das Gefühl, dass ich durch die Krise gewachsen bin. Den Schritt in die Klinik und in die Therapie hat mich letztlich weitergebracht. Abschliessend kann ich nur sagen: Passt auf, schaut zu eurer Gesundheit, es ist sehr wichtig.

«Der neue Laufstall funktionierte nicht wie gewünscht»

Martin Aebi, Landwirt aus Rinderbach BE.

Den Hof frisch gekauft, vier Kinder und immer vollen Einsatz – das hat mir den Bogen gegeben. Sicher war auch das Finanzielle immer im Hinterkopf. Das Fass endgültig zum Überlaufen brachte es aber, als nach dem Einzug in den neuen Laufstall nicht alles rund gelaufen ist. Ich hatte Mühe, die Kühe in den Melkstand zu treiben. Hatte dadurch jeden Morgen Angst, nur schon in den Stall zu gehen.

Dann kamen die Schlafstörungen dazu, bis ich eines Morgens nicht mehr aufstehen konnte. Meine Hausärztin hat mich in einen stationären Aufenthalt überwiesen. Ich war sechs Wochen lang weg vom Betrieb, geplant waren eigentlich nur vier Wochen. Dort habe ich zuerst nur geschlafen, geschlafen, geschlafen. Der Aufenthalt hat mir sehr gutgetan. In dieser Zeit schmiss meine Frau den Betrieb – sicher nicht leicht mit den vier Kindern. In Einzelgesprächen habe ich meine Probleme aufgearbeitet. Ich war immer ein Perfektionist, wollte ein Vorzeigebetrieb sein, hatte immer das Gefühl, dass es andere Betriebe besser machen als ich. Viele meiner Berufskollegen haben mich in dieser schwierigen Zeit unterstützt, zeigten Verständnis. Als ich wieder zu Hause war, war der Anfang sicher eine Herausforderung.

Rückblickend kann ich sagen, ich habe viel gelernt, nahm das Burn-out nicht als Scheitern wahr. Ich beanspruche heute immer noch eine Nachbetreuung. Sicher ist es für meine Partnerin nicht leicht, doch wir haben uns neu gefunden. Ich probiere jetzt, viel mehr Pausen einzuschalten. Bewusste Momente, wie bei einer Tasse Kaffee, mit meiner Frau geniessen. Ich habe auch einige Ämter abgegeben und die freien Abende sind jetzt reserviert für mich.

Hier findet man Hilfe

  • Die Dargebotene Hand – Tel. 143
  • Anlaufstelle Überlastung Landwirtschaft – Tel. 079 200 00 44
  • Bäuerliches Sorgentelefon – Tel. 041 820 02 15
  • Inforama-Beratung – Tel. 031 636 41 00
  • www.landfrauen.ch/ueberlastung-und-burnout-praevention
  • www.landfrauen.ch/hilfe-unterstuetzung

Wenn man nicht mehr weiter weiss:

  • Allgemeine Notrufnummer wählen: Tel. 112