In den letzten Jahren hat die Debatte zu unbezahlter Arbeit, die überproportional von Frauen geleistet wird, an Schwung gewonnen. So auch in der Landwirtschaft, wo besondere Bedingungen vorherrschen: 56 % der (Ehe-)Partnerinnen arbeiten auf dem Betrieb mit, durchschnittlich 62 Stunden pro Woche. 22 % dieser Frauen sind unentlohnt im Familienbetrieb tätig und haben keinen Nebenverdienst. Trotz der grossen Arbeitsleistung drohen ihnen bei Krankheit und Unfall materielle Risiken und im Fall einer Scheidung die Armutsfalle.
«Nur die wenigsten Bäuerinnen sind beim Grundbuchamt als Miteigentümerin eingetragen»
Bäuerinnen ohne Lohn verfügen über kein eigenes AHV-Konto und sind nur über ihren Partner mit dem Mindestbeitrag versichert. Mehr als die Hälfte verfügen nach der Pensionierung nur über eine minimale AHV ohne zweite oder dritte Säule. Ein weiterer Brennpunkt ist die lediglich freiwillige Unfallversicherung für mitarbeitende Familienmitglieder. Bei längerfristiger Arbeitsunfähigkeit oder Invalidität bestehen für Bäuerinnen ohne Unfallversicherung keine Ansprüche ausser der Existenzsicherung aus der ersten Säule. Da der Anspruch auf die Mutterschaftsentschädigung einen versicherten Lohn voraussetzt, sind unbezahlte Bäuerinnen, die ausschliesslich auf dem Betrieb arbeiten, davon ausgeschlossen. Und: Nur die wenigsten Bäuerinnen sind beim Grundbuchamt als Miteigentümerin eingetragen. Da finanzielle Mittel eher in den Betrieb als in Sozialversicherungen fliessen und Betriebe in der Ehe oft nicht als Errungenschaft, sondern als Eigengut definiert werden, wird im Scheidungsfall eine gerechte Entschädigung für die geleistete Arbeit und finanzielle Beteiligungen anspruchsvoll.
«Im Scheidungsfall können Frauen in der Landwirtschaft bezüglich der Vorsorge in finanzielle Schwierigkeiten kommen»
Der Bericht aus dem Jahr 2016 fasst zusammen: «Im Scheidungsfall können Frauen in der Landwirtschaft bezüglich der Vorsorge in finanzielle Schwierigkeiten kommen. Es wird deshalb empfohlen, eine individuelle Versicherungslösung zu suchen, um sich gegen die Risiken im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit, Invalidität und Alter abzusichern, bevor eine allfällige Arbeitslosigkeit, Invalidität oder ein Todesfall eintritt. Auch ist durch eine betriebliche oder ausserbetriebliche Erwerbstätigkeit eine eigenständige soziale Absicherung der Frauen in der Landwirtschaft anzustreben.
Ohne Fachwissen keine Veränderung
In der Regel bietet eine entlohnte Erwerbstätigkeit bei einem Beschäftigungsgrad unter 70 % keine ausreichende Vorsorge.» Die Agridea-Merkblattserie «Bewusst Bäuerin sein» bietet ergänzendes Fachwissen dazu. Längerfristig braucht es aber politische Vorgaben, die die soziale Sicherheit von mitarbeitenden Familienmitgliedern gewährleisten. Die AP 22 + hätte mit einem Vorverkaufsrecht für den Betrieb und stärkeren Berücksichtigung getätigter Investitionen die Lage von Bäuerinnen im Scheidungsfall verändert. Bekanntermassen hat die AP 22 + mit den verschiedenen Ansprüchen an die Landwirtschaft weder im Stände- noch im Nationalrat überzeugt und ist deshalb von beiden Kammern sistiert worden.
Die Frauensession zeigt Wirkung
Damit ist die Debatte aber nicht vom Tisch: Eine Motion von 2019 und 2021 bringen die soziale Sicherheit von mitarbeitenden Familienmitgliedern – zu 90 % Frauen – aufs politische Parkett. Als Ergebnis der Frauensession sind dem Parlament vier Petitionen überreicht worden, die den Wandel der sozialen und ökonomischen Stellung der Frauen in der Landwirtschaft vorantreiben. Die Situation vieler Frauen, die harte Arbeit leisten, wird damit hoffentlich in nächster Zeit verbessert.
Sophie Dänzer, Hochschulpraktikantin Fachstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern des Kantons Bern