Vor einigen Jahren erreichte mich ein Anruf: «Ich bin in einer Situation, die mich sehr beschäftigt und habe deswegen ein ‹Gnusch› im Kopf», so der Einstieg der Anruferin.
«Der Bauernhof meiner Eltern ist seit einigen Jahren verpachtet. Meine Eltern sind pensioniert. Mein Bruder und ich haben beide keine landwirtschaftliche Ausbildung und derzeit weder den Wunsch noch das Wissen dazu, den Betrieb selbst zu führen. Für uns war aber immer klar, dass der Hof in der Familie bleiben sollte.»
«Dies ist auch ein grosses Anliegen meines Vaters, da seine verstorbene Mutter den Hof aufgebaut und an ihn weitergegeben hat», erzählte sie weiter. «Meine Eltern waren immer schon enttäuscht, dass mein Bruder und ich andere berufliche Wege eingeschlagen haben und auch nicht auf dem Hof leben. Es ist so, dass mein Bruder und ich uns – obschon längst erwachsen – wohl nicht so ganz von den Eltern abgelöst haben.»
Ein heikles Thema
Während sie erzählt, geht mir vieles durch den Kopf: Ein schwieriges Thema für alle leidenschaftlichen Landwirtinnen und Landwirte, die ihr Lebenswerk an die nächste Generation übergeben möchten, und auch für alle Nachkommen, die sich in anderen Berufen wohlfühlen, aber ihren Eltern gegenüber ein schlechtes Gewissen haben.
«Die berufliche Umorientierung meines Mannes käme hier eigentlich gelegen. Er ist grundsätzlich offen für alles», erzählt die Ratsuchende weiter. «Auf das Drängen meiner Eltern hin hat er sich bereit erklärt, sich zumindest zu über-legen, ob er allenfalls noch eine landwirtschaftliche Ausbildung machen könnte.» Sie zögert kurz, und fährt dann weiter: «Ich habe nach wie vor grosse Angst davor, meine Eltern zu enttäuschen. Aber das Wichtigste für mich ist mein Mann.»
Mut zum persönlichen Glück
«Interessant», denke ich mir und frage die Anrufende: «Gehen wir mal davon aus, dass Ihr Mann die Ausbildung erfolgreich abschliesst und Sie den Betrieb gemeinsam übernehmen würden. Welches Gefühl haben Sie, wenn Sie daran denken, dass Sie dann dort auf dem Betrieb leben und arbeiten? Würde Sie das persönlich auch glücklich machen und nicht nur Ihre Eltern? Was heisst das für Sie und Ihre bisherige Arbeit und Ihr Netzwerk? Nur, wenn das auch Sie glücklich macht, sollten Sie diese Idee weiter verfolgen.»
Einen Moment ist es still auf der anderen Seite der Leitung und dann sagt sie: «Vielen Dank, ich glaube, Sie haben die Situation genau erfasst. Ich werde mir das nochmals durch den Kopf, durch den Bauch und durchs Herz gehen lassen.»
Zum Abschluss des Gesprächs gebe ich ihr weitere Adressen und motiviere sie, allenfalls auch mit einer neutralen Person und später auch gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder das Gespräch zu suchen, um alle ihre Gefühle und Ängste mitteilen zu können.
Denn grundsätzlich gehe ich nach wie vor davon aus, dass in der Regel nicht nur die Kinder ihre Eltern nicht enttäuschen wollen, sondern auch die Eltern glückliche Kinder sehen möchten. Und ich bin der Überzeugung, dass es nie zu spät ist, nochmals einen Anlauf zu nehmen.
Das Team vom Bäuerlichen Sorgentelefon ist für Sie da, rufen Sie uns an. Tel. 041 820 02 15. Montagvormittag (8.15–12 Uhr), Dienstagnachmittag (13–17 Uhr) und Donnerstagabend (18–22 Uhr)
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