Das Geräusch eines Mixers durchbricht die Stille im alten Seeländer Bauernhaus in Lyss BE. Ueli Spring steht in seiner Küche, konzentriert rührt er Mayonnaise. Auf dem Tisch warten bereits ein Dutzend frisch gefüllte Konfitürengläser. «Gestern dachte ich noch, dass sie nicht schön gelieren», sagt er, ohne den Blick von seiner Arbeit zu nehmen. «Heute sehen sie top aus.»

Neben den Gläsern liegen Pfirsiche und Nektarinen aus dem Seeland, daneben Etiketten. Hier, in einem Bauernhaus, in dessen Stall schon lange keine Kühe mehr stehen, wird gekocht, gemischt, experimentiert. Draussen, hinter den geschlossenen Fenstern, ist ein Hauseingang mit viel Platz für die Natur. Töpfe mit einer bunten Blumenpracht, darunter uralter Klee, der seit über achtzig Jahren vor dem Haus wächst. «Den hat meine Grossmutter schon gepflegt», erzählt Spring. «Ich lasse vieles einfach überwintern, auch Blumen, die laut Gärtner nicht winterhart wären», sagt Spring und lacht.

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Leidenschaft Konfitüre machen

Ueli Spring ist Landwirt, war Grossrat des Kantons Bern (Die Mitte) und ist heute Stallchef einer ÖLN-Gemeinschaft in Lyss. Aber dieser Besuch gilt nicht dem Stall. Wir wollen wissen, wie er zu seiner Leidenschaft – dem Konfitüremachen – kam. Hobbys hat er viele, wie er uns erzählt. Er ist viel unterwegs und hilft aus, bei Freunden oder Bekannten. Aus Freude, wie er meint; Druck und Zwang seien etwas Ungesundes.

«Wenn man Früchte hat, soll man nicht aus der Not heraus Konfitüre machen. Man kann sie auch verkaufen oder Leute einladen, die selbst pflücken. Es gibt immer Menschen, die Freude an solchen Früchten haben», weiss er.

Sein Weg in die Küche begann praktisch: Früchte, die im Winter in der Tiefkühltruhe vergessen wurden, sollten im Frühling verarbeitet werden. Das gefiel ihm nicht. Also begann er, die Früchte frisch zu verarbeiten. Seine mittlerweile verstorbene Mutter erklärte ihm die Grundlagen – Mengen, Kochzeiten, Zuckeranteile. «Dann habe ich ohne Kochbuch weitergemacht und einfach ausprobiert.»

Schnell merkte er, was er nicht wollte: «Diese klassischen Vierfrucht-Mischungen – am Ende schmeckt man nur die stärkste Frucht, der Rest geht unter. Das hat mir nie gefallen. Also begann ich zu tüfteln.»

«Wenn man Früchte hat, soll man nicht aus der Not heraus Konfitüre machen.»

Nicht nur alltägliches Sorten

Heute entstehen Sorten wie Minze-Limette, Lindenblüte-Vanille, Quitte, Apfel oder Zwetschge mit Zimt. Er erklärt: «Minze mixe ich in der Konfitüre direkt mit ein, das ist erfrischend und nicht dominant. Limette passt zu vielem: zu Holunder, Himbeere, Cassis oder Kirsche. Sie bringt einen klaren Zitronenton zur Hauptfrucht.»

«Wer Lebensmittel achtlos behandelt, verliert den Bezug zur Arbeit dahinter.»

Auch ungewöhnliche Kombinationen gehören dazu: «Kürbis-Orange – da verarbeite ich die ganze Orange mit Schale, das wissen viele gar nicht. Oder Lindenblüte-Limette, das ist fantastisch. Rhabarber mit Holunderblüte statt mit Erdbeere. Kiwi probiere ich auch manchmal. Wichtig ist: Keine Frucht soll die andere übertönen.»

Food Waste ist für Ueli Spring mehr als nur ein Ärgernis – es widerspricht seinem ganzen Denken. «Mich beschäftigt diese Wegwerfgesellschaft. Wir gehen zu achtlos mit Lebensmitteln um. Tadelloses Essen landet im Abfall, nur weil es vielleicht nicht mehr perfekt aussieht oder weil das Datum knapp wird.» Bei ihm bleibt fast nichts ungenutzt. Überreife Pfirsiche, die auf dem Markt keiner mehr will, werden zu Konfitüre. Obst, das sich nicht mehr verkaufen lässt, nimmt er mit nach Hause. «Manches verarbeite ich sofort, anderes füttere ich den Hühnern. Aber wegwerfen? Das ist für mich keine Option.»

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Vor dem Abfall retten

Auch beim Einkaufen achtet er bewusst darauf: «Ich greife gern zu Produkten kurz vor dem Ablaufdatum. Man kann daraus noch wunderbare Dinge machen. Es braucht nur etwas Planung – und den Willen, sich zu kümmern.» Für Spring ist das nicht nur praktische Vernunft, sondern auch Haltung: «Wer Lebensmittel achtlos behandelt, verliert den Bezug zur Arbeit dahinter. Jedes Glas Konfitüre erinnert mich daran, wie viel Zeit, Natur und Pflege in jeder Frucht steckt.»

Während des Gesprächs verrät er uns auch einige Tricks: «Früchte, die schlecht gelieren, koche ich in Apfelschorle statt im Wasser. Ein Schuss Zitronensaft hilft ebenfalls. Apfelsaft hat in der Konfitüre keinen Eigengeschmack und verstärkt den Fruchtgeschmack. Und: Keine nassen Früchte verwenden – wenn man bei Regen pflückt, klappt es nicht gut. Ich habs ausprobiert», sagt er und lacht.

Plötzlich fast mitten im Dorf

Früher lebten hier Kühe, heute lebt hier Vielfalt. Das Dorf ist über die Jahrzehnte näher an das Haus herangerückt, aber im Garten hat die Natur ihren Platz behalten. «Das ist mir wichtig», sagt der Landwirt mit Blick in den Efeu, der die Einfahrt überwachsen hat. «Hier leben zahlreiche Vögel, eine Aufgabe, die wir Bauern eben auch haben. Ihnen einen Lebensraum zu geben.»

Spring macht jedes Jahr rund 400 bis 500 Gläser Konfitüre, verteilt auf etwa 40 bis 45 Sorten. Er erinnert sich an Begegnungen: «Am letzten Markt kamen Frauen an den Stand und sagen: ‹Wow, diese Kombinationen würde ich nie wagen.› Genau das freut mich. Es macht Mut, wenn Menschen sehen, dass man etwas einfach ausprobieren kann.» Verkauft werden die Gläser unter anderem im Hofladen Spycher in Innerberg BE – sie laufen gut. Märkte besucht er selten, eher im Rahmen seiner politischen Arbeit. «Wenn ich etwas im Status poste, melden sich viele, reservieren und holen die Gläser ab. Heute ist das einfach und gäbig.»

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Was ihn antreibt, ist nicht nur der Geschmack. Es ist eine Haltung. «Mein Grossvater war eigentlich Künstler, musste aber Bauer werden», erinnert er sich. Auf dem Tisch liegen zahlreiche Bilder, die uns der Landwirt zeigt. Das Leben, das sein Grossvater lebte, will Ueli Spring nicht leben müssen. «Ich finde: Jeder soll das machen, woran er Freude hat. Ob das den anderen passt, ist egal.» Klischees erfüllen mag er nicht. Das sei nur anstrengend, in vielen Fällen gar zermürbend. Er ist sich sicher, dass er diese Lebenseinstellung nicht nur geerbt, sondern sie auch vorgelebt bekommen hat. Auch sein Bruder Michael Spring, der heute in Porto Santo, einer portugiesischen Insel im Atlantik, lebt und ebenfalls ständig Neues ausprobiert, führt diese Haltung fort. So war ihre Mutter denn auch eine der ersten Frauen, die bei der Post am Schalter arbeitete. «Damals hat man geprüft, ob das geht. Man war nicht sicher und konnte sich das nicht vorstellen.» In ihrem Zeugnis stand sogar noch «Benehmen im Ausgang» – das wurde bewertet. Und schliesslich könne man sowas auch nur beurteilen, wenn man es beobachte, ist Spring sicher und ergänzt: «Ich habe bewundert, dass sie ihren Weg trotzdem gemacht hat.»

«Die alten Rollenbilder»

Ueli Spring sieht Parallelen zu gesellschaftlichen Rollenbildern: «Früher mussten viele Frauen in etwas hinein, das sie gar nicht wollten. Das lief über Generationen. Heute ist das anders. Es gibt immer noch Klischees, aber weniger Zwang. Männer können Konfitüre machen, Frauen derweil Traktoren fahren. Das ist nichts Besonderes – es ist einfach normal und gut so.» Eigentlich scheint es ihm auch nicht wichtig, darüber zu reden, weil es normal ist. Aber das sei noch nicht in allen Köpfen angekommen, nicht einmal in der sich modern anfühlenden Schweiz. «Dranbleiben, machen und sich nicht einschüchtern lassen», nennt Spring das Rezept.

Neben Landwirtschaft und Küche spielt die Musik eine grosse Rolle. Seit 2000 gehört Ueli Spring zur Steel Band Lyss, die 2024 ihr 40-jähriges Jubiläum feierte. «Wir proben einmal pro Woche, haben zwischen 13 und 19 Auftritte pro Jahr und reisen alle zwei Jahre auch ins Ausland.» Spring führt ein aktives Leben. «Ich habe das Glück, dass ich viele Dinge gerne tue.»

Eines davon ist greifbar, sobald man den schmalen Gang seines Bauernhauses betritt: In den Holzschränken stehen dicht an dicht Gläser. Jede Sorte trägt einen kleinen Zettel, die Farben reichen von tiefem Rot über zartes Gelb bis zu beinahe schwarzem Violett. Es ist Früchtezeit – und bei Ueli Spring wird nichts verschwendet, sondern verwandelt.