Wenig Sonne, wenig Grün in der Natur und nasskaltes Wetter. Der Winter kann einem ganz schön aufs Gemüt schlagen. Psychologe Tobias Krieger weiss, was ein Winterblues ist, wie sich dieser von einer Winterdepression unterscheidet und was man dagegen tun kann. 

Herr Krieger, was ist ein Winterblues?

Tobias Krieger: Winterblues ist ein Phänomen, das viele Menschen kennen. Wenn in den kälteren Jahreszeiten die Tage kürzer werden, dunkler oder verregneter sind, dann schlägt das vielen Menschen auf die Stimmung. Sie werden z. B. nachdenklicher, melancholischer und ziehen sich mehr zurück. Solche vorübergehenden Stimmungstiefs sind recht normal und weit verbreitet.

«Wenn dann noch Gedanken daran, sich etwas anzutun, dazukommen, sollte man sofort eine Fachperson aufsuchen»

Psychologe Tobias Krieger


Dann kann es aber auch eine Winterdepression geben, richtig?

Genau. Der Fachbegriff dafür ist saisonal abhängige Depression oder saisonal depressive Störung. Diese unterscheidet sich von einem Winterblues in Bezug auf die Ausprägung und Dauer der Symptome. Man spricht von einer saisonal abhängigen Depression, wenn die Symptome einer Depression über längere Zeit ausgeprägt sind, also mindestens während zwei Wochen und dies ausschliesslich und wiederholt zu einer bestimmten Jahreszeit. Das ist typischerweise im Herbst oder Winter. Im Regelfall verbessern sich die Symptome einer saisonal abhängigen Depression im Frühling wieder, wenn die Tage zunehmend länger und heller werden. Neben den klassischen Symptomen einer Depression (Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Verlust von Freude, Konzentrationsschwierigkeiten oder stärkerer Gereiztheit) sind bei einer saisonal abhängigen Depression auch eher «atypische» Symptome zu beobachten: Appetitzunahme statt Appetitverlust zum Beispiel oder ein gesteigertes Schlafbedürfnis statt Ein- und Durchschlafstörungen. Die Diagnose einer saisonal abhängigen Depression ist nicht gegeben, wenn es eine Überschneidung zwischen der Jahreszeit und anderen stressreichen Faktoren wie z. B. saisonale Arbeitslosigkeit gibt. Wenn dann die oben beschrieben Symptome auftreten, kann es sich um eine «herkömmliche» (wiederkehrende) depressive Störung handeln. [IMG 2]

Läuft man auch Gefahr, dass sich aus einer «Winterdepression» eine herkömmliche Depression entwickeln könnte?

Meines Wissens gibt es dazu kaum Forschung. Hier ist aber wichtig festzuhalten, dass eine Depression, die im Winter auftritt, nicht zwingend eine saisonal abhängige Depression sein muss. Depressionen können durchs ganze Jahr auftreten und auch andere Ursachen und Auslöser haben. Nur rund eine von zehn Depressionen, die im Winter auftreten, ist wirklich eine saisonal abhängige Depression. Es ist durchaus denkbar, dass durch die zusätzlichen Belastungen einer saisonal abhängigen Depression eine Art Teufelskreis entstehen kann, der dann in eine herkömmliche Depression münden könnte. Die depressive Symptomatik bliebe bestehen, aber die saisonale Abhängigkeit wäre in einem solchen Fall nicht mehr gegeben.

Wann empfehlen Sie den Gang zum Arzt, wenn man im Winter merkt, dass es einem nicht so gut geht?

Wenn Symptome wie Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit oder Gereiztheit an den meisten Tagen über mehrere Wochen und nicht nur vereinzelt auftreten, lohnt es sich auf jeden Fall, mit einer Fachperson zu besprechen, ob das eine Depression oder nur ein vorübergehendes Stimmungstief ist. Wenn dann noch Gedanken daran, sich etwas anzutun, dazukommen oder man den Alltag nicht mehr bewältigen kann, sollte man sofort eine Fachperson aufsuchen. Für Betroffene kann es hilfreich sein, wenn einen Bezugspersonen darauf ansprechen, dass sie eine Veränderung feststellen. Nahestehende Personen können versuchen, eine betroffene Person zum Gang zu einer Fachperson zu motivieren, und zu verstehen geben, dass man für die Person da ist und ein offenes Ohr für sie hat. Zudem kann man anbietet, bei der Suche nach einer Fachperson zu unterstützen oder gar mit an einen Termin zu gehen. Wichtig: Eine Depression ist kein Zeichen von Schwäche, sondern primär eine Beschreibung von bestimmten Symptomen, die mit einem grossen Leidensdruck einhergehen. Depressionen können in der Regel gut behandelt werden, wenn sie richtig erkannt werden.

Was kann man gegen Winterblues tun?

Wichtig ist sicher ausreichend Bewegung unter freiem Himmel, dass man mehr natürliches Licht aufnehmen kann; das wirkt auch dann, wenn es bewölkt ist. Es ist zwar weniger hell draussen, aber auch bei einem bewölkten Himmel herrscht deutlich mehr Lichtstärke als durch Beleuchtung in Innenräumen. Dann hilft das Durchführen von potenziell angenehmen Tätigkeiten, sei das sportliche Aktivitäten, sich etwas Gutes zu tun oder das Pflegen sozialer Kontakte. Dazu sollte man auf eine ausgewogene Ernährung und regelmässigen Schlaf achten. Wenn es «nur» ein Winterblues ist, sollte man nicht einfach Medikamente nehmen, weil es keine Störung ist. An dieser Stelle noch der Hinweis: Depressive Symptome können auch durch körperliche Ursachen wie zum Beispiel Schilddrüsenunterfunktion oder Vitamin-B-12-Mangel begünstigt werden. Darum lohnt sich ein Gang zum Hausarzt, um die Symptome zu besprechen und allenfalls ein Blutbild machen zu lassen.

Es gibt ja auch Lichttherapien?

Ja, eine Lichttherapie kann bei einer saisonal abhängigen Depression hilfreich sein. Daneben haben sich auch Psychotherapie oder antidepressive Medikamente oder eine Kombination dieser Methoden als wirksam gezeigt. Aber zurück zur Lichttherapie: Dabei werden spezielle medizinische Tageslichtlampen eingesetzt, die eine gewisse Lichtstärke haben, zwischen 2500 und 10 000 Lux. Diese haben einen ähnlichen Effekt wie Sonnenlicht. Idealerweise setzt man sich diesem Speziallicht täglich in den frühen Morgenstunden für mindestens 30 Minuten bis zu zwei Stunden – je nach Lichtstärke – aus. Dabei ist der Abstand zur Lichtquelle wichtig und dass das Licht die Augen erreicht. Eine Lichttherapie kann unter Umständen in wenigen Tagen eine Besserung bewirken, aber es ist wichtig, das mit einer medizinischen Fachperson zu besprechen. Dies auch, weil nicht alle Menschen eine Lichttherapie machen sollten, zum Beispiel bei gewissen Haut- oder Augenerkrankungen oder in Kombination mit gewissen Medikamenten. Auch in Bezug auf das Gerät und die korrekte Anwendung ist es wichtig, sich beraten zu lassen. Geräte, die man im freien Handel kaufen kann, halten nicht in allen Fällen, was sie versprechen.

Anlaufstellen

An folgende Stellen kann man sich wenden, wenn es einem nicht gut geht oder wenn Probleme drücken:
Bäuerliches Sorgentelefon: Dreimal in der Woche ist die Nummer 041 820 02 15 (man bleibt anonym) betreut, am Montag von 8.15 bis 12 Uhr, Dienstag, 13 bis 17 Uhr, und Donnerstag, 18 bis 22 Uhr.
Die Dargebotene Hand: Hilfesuchende können sich anonym an die Telefonnummer 143 wenden, Beratung auch per E-Mail und Chat.

Weitere Informationen und Anlaufstellen:
www.landfrauen.ch/hilfe­unterstuetzung 
www.depressionen.ch 
www.promentesana.ch