«Die Freude war gross, als ich stimmen gehen durfte. ‹Endlich, endlich›, habe ich gedacht.» Die Augen von Dora Spring-Weibel, Lyss, blitzen bei diesem Satz. Sie sitzt am Stubentisch. In Erinnerungen schwelgend schweift der Blick immer mal wieder neben der Schreibenden, die mit genug Abstand am anderen Ende des Tisches sitzt, vorbei und zum Fenster hinaus oder nach unten aufs Tischtuch. 

Die Geselligkeit nach dem Abstimmen wurde gepflegt und geschätzt

Vor 50 Jahren wurde das Frauenstimm- und Wahlrecht in der Schweiz eingeführt. Die Bäuerin Dora Spring-Weibel war damals 41-jährig. Und seitdem hat sie keine einzige Abstimmung und keine Wahl ausgelassen. Das betont sie mit Nachdruck. Den Vorsatz dazu hat die rüstige Seniorin, die im Sommer 91 wird, bereits in jungen Jahren gefasst und strikte durchgezogen. Während Dora Spring-Weibel heute brieflich abstimmt, war das früher anders. Lange Zeit ist sie immer persönlich an die Urne gegangen. Danach sei man jeweils «eis ga trinke» und habe die Geselligkeit gelebt. Etwas, das sie in der jetzigen Zeit der Pandemie und eingeschränkten sozialen Kontakte sehr vermisst. Das kommt beim Gespräch immer mal wieder zum Ausdruck.

Sie war eine der ersten Frauen, die hinter dem Postschalter stehen durften

Aufgewachsen ist Dora Spring-Weibel in Spins bei Aarberg. Nach der Schulzeit war sie ein Jahr in einer Familie im Welschland. «Ids Wäusche ds ga, isch denn gang u gäb gsy», erklärt sie. Anschliessend hat sie die Handelsschule in Bern besucht. Da sie danach nicht genau wusste, welcher Arbeit sie nachgehen soll, hat sie ein halbes Jahr auf dem elterlichen Hof mitgearbeitet. Durch eine Zeitungsanzeige gelangte die junge Frau schliesslich zu ihrem späteren Beruf als Postangestellte. In der Annonce wurden Frauen für die Arbeit am Postschalter gesucht. Etwas, das bis dahin nur Männern vorbehalten war. Um überhaupt die Ausbildung beginnen zu können, mussten die Frauen eine Prüfung ablegen. Im Kanton Bern schafften diese nur zwölf junge Frauen. «Und ich war eine von ihnen», erklärt Dora Spring-Weibel sichtlich stolz. Sie hat auf verschiedenen Poststellen gearbeitet, einmal gar im noblen Gstaad. Eines hat sie aber überall gleichermassen gestört: dass die Männer mehr Lohn erhielten. «Mängisch hani mi da drüber ufgregt. Mir Froue hei mängi Sach besser gmacht, aus d Manne», ereifert sie sich. Und ausserdem seien die Männer oftmals mit der Arbeit zeitlich «niene häre cho.» Da es damals noch keine Postleitzahlen gab, «hettme de no Geografie müesse chönne», betont die Seniorin. Und eben zu dieser Zeit entstand der Gedanke, wenn sie mal stimmen könne, werde sie das immer tun.

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Die Bäuerin, mit ihrem Mann und zwei der drei Söhne, war 41 Jahre alt, als das Stimmrecht eingeführt wurde. (Bild Dora Spring-Weibel)

Die Liebe siegt schlussendlich doch über über die Vernunft

Dora Spring-Weibel liebte damals wie heute die Geselligkeit und engagierte sich im Turnverein. Dort lernte sie ihren späteren Mann Johann Ulrich Spring, von allen Hansueli genannt, kennen. Die junge Dora wollte aber zu diesem Zeitpunkt nicht bauern, die extreme Arbeitsbelastung ihrer Mutter war immer noch präsent. Stattdessen ging sie für vier Jahre nach Villeneuve und arbeitet dort am Postschalter. Doch Hansueli ging ihr nicht aus dem Kopf. «Und irgendeinisch hett d Liebi über d Vernunft gsiegt», und ein Lachen breitet sich in ihrem Gesicht aus. 1964 wurde schliesslich geheiratet und im Zweijahrestakt komplettierten die Geburten der drei Söhne die Familie. Dass viele Frauen damals vehement für das Frauenstimmrecht kämpften, hat Dora Spring-Weibel sehr imponiert. «Ich habe alle Frauen bewundert, die gekämpft haben.» Selber hat sie nicht aktiv am Kampf teilgenommen. Zu sehr war sie mit dem Betrieb, dem Haushalt und der Erziehung der drei Jungs beschäftigt.

Die SVP-Männer hielten das Zepter fest in
der Hand und bestimmten

Anders als in anderen Haushalten üblich, gab es in ihrer eigenen Familie keine Diskussion, ob das Stimmrecht eingeführt werden soll oder nicht. Ihr Mann sei immer dafür gewesen. Und auch ihr Vater, der sich politisch stark engagierte, war der Meinung, für diesen Schritt sei es Zeit. Das Elternhaus war wohl dermassen prägend, dass sich Dora Spring-Weibel später auch in die Politik wagte. In den 80er-Jahren rutschte sie mitten in einer Legislatur für die SVP ins Lysser Gemeindeparlament nach und wurde später für eine weitere Amtsperiode gewählt. Es sind aber nicht sehr gute Erinnerungen, welche die Bäuerin an diese Zeit hat. «Wir hatten in der SVP nicht viel zu sagen. Den Männern ging es bei den Diskussionen immer nur ums Geld», erinnert sie sich. Die wenigen Frauen hätten keinen Einfluss nehmen können. Das ging gar so weit, dass die Männer vorgaben, was die beiden Frauen im Parlament abzustimmen hätten. «Ich habe gedacht, etwas bewirken zu können», sagt Dora Spring-Weibel. Dass dem nicht so war, habe sie sehr frustriert. Als Folge liess sie sich bei den nächsten Wahlen nicht mehr aufstellen. Das Erlebte hielt die Bäuerin aber nicht davon ab, immer Interesse an Politik und dem Weltgeschehen zu haben. Das ist bis heute geblieben, wenn auch die grosse Ungerechtigkeit, die zuweilen überall auf der Welt herrscht, sie sehr beelendet.

Die Seeländer Bäuerinnen sind ihr wichtig

Aber nicht nur in der Gemeindepolitik war Dora Spring-Weibel aktiv. Sie engagierte sich während zwölf Jahren in der Hauswirtschaftskommission ihrer Gemeinde. Ausserdem war sie bei der Gründung der Seeländer Bäuerinnenvereinigung mit dabei und war zehn Jahre lang Rechnungsrevisorin. «Das waren schöne Zeiten», schwärmt sie. Der Austausch und Kontakt in der Vereinigung ist ihr noch heute wichtig. Dass keine Anlässe stattfinden können, schmerzt sie sehr.

Mit so vielen Frauen in ihren verschiedenen Lebensabschnitten hat Dora Spring-Weibel viel Schönes erlebt. Und viele langjährige Freundschaften sind ihr geblieben. «Ich hatte wirklich Glück im Leben und auch einen tollen Mann gehabt», betont sie, und ein weiteres Mal schweift der Blick hinaus zum Fenster. 


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