«Entschuldigen Sie bitte, ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich bin nicht der gleichen Meinung wie Sie.» Diese Art von Höflichkeit praktizieren wir jeden Tag, wenn wir jemandem direkt gegenüber stehen. Wir haben von unseren Eltern gelernt, dass wir stets freundlich und respektvoll seinsollen. Doch sobald wir uns umdrehen, fängt meist das Lästern an. Diese Demütigung bleibt dem anderen hoffentlich erspart, weil er es nie zu hören bekommt. Das hat sich allerdings mit Social Media geändert. 

Unfreundlichkeit, weil der direkte Kontakt fehlt 

Der direkte Kontakt zur Person, deren Meinung wir nicht vertreten, fehlt. Also können wir auch boshaft und unfreundlich sein, selbst wenn es verletzend ist. Denn wir bleiben durch das Internet anonym, eine weitere und direkte Konfrontation bleibt uns erspart. Wir können ja jederzeit den Chat (Unterhaltung) im Netz verlassen. Wie sich die angegriffene Person dabei fühlt, ist uns egal.

Anfeindungen auch in der Landwirtschaft

Kaum ein Post auf Facebook, Instagram und Co. bleibt von Beleidigungen verschont. Die Dynamik, welche die aggressiven Diskussionen in den Sozialen Netzwerken annehmen, ist geradezu schockierend. Erst kürzlich berichtete mir eine Person von Anfeindungen ihr gegenüber aus dem landwirtschaftlichen Kreis. Ein veröffentlichter Bericht über sie wurde aus dem Zusammenhang gerissen. In E-Mails sowie anderen Kanälen beschimpfte man sie, anstatt mit ihr das Gespräch zu suchen, um in Erfahrung zu bringen, dass diese Person missverstanden wurde. Die psychische Belastung war deutlich wahrnehmbar. 

Hasskommentare lösen emotionalen Stress aus

Untersuchungen zeigen, wer Hasskommentaren (Hate Speech) ausgesetzt ist, leidet häufiger unter emotionalem Stress. Betroffene sprechen von Veränderungen in ihrer Lebensqualität, von Depressionen und Selbstzweifeln. Auch die Angst vor einer Rufschädigung ihres Unternehmens ist gross. Nicht nur Jugendliche bzw. junge Erwachsene leiden vermehrt darunter, mittlerweile entwickeln auch ältere Personen, gar die sogenannten Silver Surfer (Ü50), durch die häufigere Präsenz auf Social-Media-Kanälen Depressionenals Folge von Hass und Belästigung im Netz. Aus Angst wieder angegriffen zu werden, äussern Betroffene immer seltener ihre Meinung. Wo bleibt das Recht auf Meinungsfreiheit, wenn man mit der Angst leben muss, sogleich einem Shitstorm ausgesetzt zu werden? 

Wie würde ich mich fühlen?

Bevor man jemanden vorschnell verurteilt, sollte man sich lieber an die eigene Nase fassen. Wie würde ich mich fühlen, wenn mich jemand beschimpft oder beleidigt? Würde ich dies auch einem Menschen sagen, den ich gerne habe? Lieber einmal mehr drüber nachdenken, was man sogleich posten möchte. Oder besser noch, gleich das Gespräch mit der Person suchen, konstruktiv über das Thema diskutieren, was einem missfällt und auch die betroffene Person zu Wort kommen lassen, um ihre Argumente anzuhören. Oft erscheint eine Situation im Nachhinein ganz anders, wenn man die Sichtweise seines Gegenübers kennt. 

So kann man sich wehren

Und wenn ich selbst Opfer bin, wie kann ich mich gegen Hate Speech wehren? Die Swisscom hat dazu einen Instagram-Guide zur Bekämpfung von Hass im Netz lanciert. So sollte man erst einmal Ruhe bewahren und nicht im Affekt ebenfalls mit Beleidigungen reagieren. Denn Verfasser von Hasskommentaren erhoffen sich durch ihre Provokationen eine Reaktion. Den Kommentarschreibern am besten keine Aufmerksamkeit geben, diese blockieren und der jeweiligen Plattform melden. Es sei aber auch möglich gezielt gegen die Hasskommentare vorzugehen mit sogenanntem Counter Speech (Gegenrede). Dabei gelte die Antwort aber nicht den Kommentierenden, sondern den stillen Drittlesern eine alternative Sichtweise anzubieten. Hier sei es wichtig, anständig und faktenbasiert zu bleiben und sich nicht auf lange Diskussionen mit den «Hatern» einzulassen. Personen aus dem Umkreis können mit positiven Nachrichten (ebenfalls Counter Speech) gegen den Hass reagieren, was die Hater oft überfordert, sodass die Diskussion abgebrochen wird und sie sich zurückziehen. Die stillen Drittleser können sich ebenfalls einbinden und sich für die Opfer von Hate Speech einsetzen. Dadurch ist es möglich, den Hatern den Wind aus den Segeln zu nehmen. 

Wer von Hate Speech betroffen ist, sollte sich nicht schämen und die Emotionen, die damit behaftet sind, runterschlucken. Mit Familie und Freunde darüber zu reden, kann helfen, die psychische Belastung aufgrund dessenzu reduzieren.