Wie die Zeit vergeht. Ich habe das Gefühl, der Alpsommer habe gerade erst begonnen. Doch der Käsekeller füllt sich, der Heustock mit Lische (Einstreu) ist ziemlich geschrumpft und die Kühe sind schon fast durch mit dem zweiten von total vier bis fünf Weideumtrieben. Die Milchkühe hier auf der Site Alp und Alp Zimmerboden haben nahezu Halbzeit ihrer Sommerferien.

Beizli war Neuland

Doch gleichzeitig ist mir der Alltag hier oben bereits zu vertraut, um gerade erst gestartet zu haben. Mir den Ablauf im Stall merken zu können war keine Hexerei und die Kühe zu kennen fiel mir leicht. Einiges länger brauchte – beziehungsweise brauche – ich, um die Arbeiten im Beizli zur Routine zu machen, denn diese waren für mich komplettes Neuland.

Viele Abläufe kenne ich mittlerweile. Doch es gibt täglich neue, kleinere Herausforderungen – sei es beispielsweise abzuschätzen, ob es vor dem Mittagsstress noch reicht, eine Portion Glace zu machen, oder auch Fragen und Wünsche unserer Gäste.

Im Beizli sind wir meist zu zweit oder zu dritt: Christa, Nadja und ich. Den Lead hat Nadja Santschi, die neben der Kinderbetreuung mittlerweile hauptsächlich im Hintergrund mithilft, alles organisiert und managt. Christa ist die Sennerin bei den Kühen auf der Site Alp und arbeitet tagsüber im Beizli. Anders als ich bestreiten die beiden den Alpsommer nicht zum ersten Mal gemeinsam und sind daher ein gut eingespieltes Team.

Und ich? Ich versuche, bestmöglich mithalten zu können. Das gelingt mir aber nicht an jedem Tag oder in allen Momenten gleich gut. Ich bin sehr dankbar für all ihre Geduld und sogar für all meine Fehler, die sie mir auszubügeln helfen. Denn selbst wenn ich von ihnen vorgewarnt werde oder sie mir Aufgaben «tubelisicher» erklären, müssen mir manche Fehler zuerst selbst passieren, damit ich beim nächsten Mal nicht mehr in dieselbe Falle tappe.

Viele Familien zu Gast

Das Alpbeizli ist direkt mit dem Auto oder auch durch einen halbstündigen, einfachen Wanderweg vom Parkplatz Sparenmoos erreichbar. Daher haben wir – anders als SAC-Hütten – viele Familien mit kleinen Kindern als Gäste oder auch Seniorinnen und Senioren, die den Weg zu uns finden. Die Terrasse haben wir täglich geöffnet.

Aber auch für angemeldete, grössere Gruppen sind wir eingerichtet, die wir meist im Saal in der Hütte bedienen. Neben Reisegruppen, Geburtstagsfeiern und Firmenbrunches dürfen wir von Zeit zu Zeit auch ganze Hochzeitsgesellschaften bei uns begrüssen, die das Alpenpanorama während der Zeremonie oder dem Apéro geniessen.

Reisegruppe aus den USA

Der Grossteil unserer Gäste ist deutschsprachig und kommt oft auch aus der Region. Es ist jedoch von Vorteil, als Angestellte auch einfache Konversationen in Englisch oder Französisch führen zu können.

Zur wöchentlichen Routine gehört das Bedienen einer amerikanischen Reisegruppe. Die Gäste erhalten dank einer Führung von Nadja einen kleinen Einblick in die Schweizer Alpwirtschaft und dürfen Schaukäserei, Käsekeller, Kuh- und Schweinestall bestaunen. Anschliessend bekommen sie ein Raclette und eine Meringue mit Rahm serviert. Während einige Teilnehmer(innen) kein Interesse an der Alpwirtschaft zeigen und wohl nur aufs Essen warten, sind andere Reisegäste ganz fasziniert und löchern Nadja mit Fragen. Erstaunlich oft wird sie gefragt, ob wir die Kühe hier oben immer noch von Hand melken. Die Frage tauche aber auch häufig bei Schweizerinnen und Schweizern auf, erzählt mir Nadja.

Nein, auch hier auf der Alp melken wir die Kühe nicht mehr von blosser Hand – ansonsten wäre ich sicherlich schon längst an Jolly und Violetta verzweifelt, die zähmelkig sind, und denen wir im Melkstand immer als allererste das Aggregat anhängen. Denn so wie die Landwirtschaft in den letzten 50 Jahren auf den Talbetrieben enorme Fortschritte und Veränderungen durchgemacht hat, kann es auch hier auf den Alpen nicht für immer wie zu Gotthelfs Zeiten weitergehen.

An manchen Tagen komme ich während den Stosszeiten im Beizli ins Schwitzen und hoffe einfach, dass ich bis am Ende des Tages allen Gästen auf der Terrasse gerecht werden kann. Diese Tage sind mir dennoch einiges lieber, als wenn Flaute herrscht. Sie zeigen mir, welch ein Glück ich habe, in einem so tollen und hilfsbereiten Team arbeiten zu dürfen. Am liebsten sind mir jedoch die Tage oder eher Momente, in denen man auch mal Zeit hat, mit den Gästen ins Gespräch zu kommen.

Wie auf einem Foto

Eine Begegnung, die mir besonders in Erinnerung blieb, war, als ich zwei Gäste aus Taiwan auf der Terrasse bedienen konnte. Sie bestaunten das Alpenpanorama und erklärten mir, dass sie eine solche Aussicht nur von Postkarten kennen. «But here, we are inside the postcard. You live inside a postcard!» – oder zu Deutsch: Wir würden hier inmitten einer schönen Postkarte leben. Ja, da hatten die beiden recht, ihre Aussage sollte ich mir öfters in Erinnerung rufen. Welch ein Privileg ich habe, an einem solch schönen Ort arbeiten zu dürfen, wie ihn viele Menschen nur von Fotos kennen![IMG 2]

Kuhrassen und Déjà-vu

Auch das Fachsimpeln über Alp- und Landwirtschaft kommt hier nicht zu kurz. Von Gästen im Beizli lernte ich beispielsweise bereits interessante Details über den Ursprung der Simmentaler-Kuhrasse oder dass Weisstannen giftig für Ziegen sind. In einem anderen Gespräch mit einem Gast fanden wir heraus, dass wir uns nicht zum ersten Mal begegneten, sondern sie bereits bei uns zu Hause zu Besuch war, als ich noch im Kinderwagen sass. Dies sind alles Gespräche und Begegnungen, die im Herzen bleiben und den Alltag bereichern.

Die Autorin schreibt alle zwei Wochen über ihre Erlebnisse auf der Site Alp.