Vor Kurzem fand ein Landwirt westlich von Bern in einem Schopf einen weissen Lieferwagen. Das Fahrzeug war mit Wellblechen getarnt und entlang der Autobahn in Richtung Thun abgestellt worden. «Mit diesen Wellblechen decken wir jeweils unser Holz», erklärt der Bauer auf Anfrage.

Es sei ihm schon etwas suspekt vorgekommen, sagt er. Das Auto, das da auf seinem Land abgestellt wurde, war ihm nicht bekannt und zudem steckte noch der Schlüssel in der Zündung. Im Innern des weissen Lieferwagens hat der Landwirt lediglich ein Düngersäckli gefunden. Ein Indiz dafür, dass dieses Fahrzeug einem Berufskollegen gehören muss. Die Abfrage der Autonummer bestätigte bei der Suche nach dem Besitzer seinen Verdacht. Der Inhaber des Fahrzeugs ist Landwirt und wohnt im gleichen Dorf. Der Wagen sei ihm gestohlen worden.

An Bankraub beteiligt

Doch mit dem Autodiebstahl allein ist die Geschichte noch nicht gegessen. Das gefundene Auto soll einem Bankräuber als Fluchtfahrzeug gedient haben. Im unweit entfernten Biglen ist nämlich vergangene Woche, am frühen Freitagmorgen, ein Geldautomat von einer unbekannten Täterschaft aufgesprengt worden. Wie die Polizei in einer Mitteilung schreibt, ist am Freitag um 2.30 Uhr bei der Kantonspolizei Bern ein Alarm aus der Raiffeisenbank an der Bahnhofstrasse in Biglen eingegangen. «Die sofort an die Örtlichkeit ausgerückten Patrouillen fanden einen zerstörten Geldautomaten vor. Umgehend wurden umfassende Fahndungsmassnahmen eingeleitet sowie Ermittlungen aufgenommen», heisst es weiter.

Gemäss ersten Erkenntnissen hatte die unbekannte Täterschaft den Geldautomaten in der Aussenmauer des Gebäudes aufgesprengt und sich gewaltsam Zutritt zum Innenraum der Bank verschafft. Anschliessend flüchtete die Täterschaft mit der Beute mutmasslich in einem weissen Lieferwagen. Verletzt wurde niemand. Der Geldautomat wurde vollständig zerstört und am Gebäude entstand erheblicher Sachschaden – die Bank bleibt bis auf Weiteres geschlossen.

Ein Kinderspiel

Beim vom Landwirt westlich von Bern gefundenen Lieferwagen dürfte es sich um eben jenen weissen Lieferwagen handeln, den die Täterschaft für den Einbruch benutzt hat.

Es ist kein Geheimnis, dass auf vielen Landwirtschaftsbetrieben in mehreren Fahrzeugen die Schlüssel direkt im Zündschloss strecken, oder irgendwo im offenen Wagen liegen und damit ein Entwenden des Fahrzeugs quasi zum Kinderspiel machen. Im Fall eines Diebstahls hat das Konsequenzen. Wie das Bundesamt für Polizei (Fedpol) auf Anfrage mitteilt, obliegt die Beurteilung der Fälle, wer wofür mitverantwortlich gemacht werden kann, grundsätzlich der Staatsanwaltschaft. Gesetzlich gibt es aber einige Artikel, die das Ganze regeln. Klar ist: Ein Auto zu entwenden, ist in jedem Fall strafbar. Ob man dieses nun nach dem Diebstahl veräussert und sich damit bereichert, oder ob man es lediglich «kurzzeitig» entwendet, um damit eine Fahrt zu machen – sei es zum Bahnhof, oder eben zum Banküberfall.

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Eine Strolchenfahrt

Bei einer Entwendung, wo das Auto, wie im Fall des Landwirts, später irgendwo stehen gelassen wird, kommt Artikel 75 des Strassenverkehrsgesetzes, die sogenannte «Strolchenfahrt», zum Tragen. Darin steht: «Wer ein Motorfahrzeug zum Gebrauch entwendet, haftet wie ein Halter. Solidarisch mit ihm haftet der Führer, der bei Beginn der Fahrt wusste oder bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit wissen konnte, dass das Fahrzeug zum Gebrauch entwendet wurde.» Zudem hafte auch der Halter mit, ausser gegenüber Benützern des Fahrzeugs, die bei Beginn der Fahrt von der Entwendung zum Gebrauch Kenntnis hatten oder bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit haben konnten. Der Versicherer darf den Halter aber nicht finanziell belasten, wenn diesen an der Entwendung keine Schuld trifft.

Keine Grobfahrlässigkeit

Kann das Steckenlassen des Schlüssels als Schuld ausgelegt werden? Wie sieht es versicherungstechnisch aus? Mit dem gesprengten Bankomat habe der Versicherer des Fahrzeughalters sicher nichts zu tun, erklärt Andreas Stucki von der Emmental-Versicherung auf Anfrage. Erklären lässt sich das mit dem adäquaten Kausal-Zusammenhang. Schliesslich müsse jemand, der einen Zündschlüssel stecken lasse, nicht davon ausgehen, dass mit dem Fahrzeug gleich ein Banküberfall getätigt werde. Anders sehe es natürlich aus, wenn das Auto auf der Fahrt einen Totalschaden erleide, der Schaden quasi am Fahrzeug selbst entstehe.[IMG 3]

Von Grobfahrlässigkeit will Andreas Stucki nicht reden. Eine solche liege beispielsweise im Fall einer massiven Geschwindigkeitsübertretung oder bei Alkohol am Steuer vor, aber nicht wenn ein Schlüssel stecken gelassen werde. Zumindest nicht vor dem eigenen Haus im ländlichen Raum.

Jolanda Egger, Mediensprecherin bei der Kantonspolizei Bern, erklärt auf Anfrage, dass das Strassenverkehrsgesetz verlangt, dass der Führer das Fahrzeug vor dem Verlassen angemessen sichern muss. Im Artikel 22 der Verkehrsregelnverordnung wird das schliesslich noch präzisiert: «Der Führer hat den Motor abzustellen, wenn er das Fahrzeug verlässt. Bevor er sich entfernt, muss er es gegen das Wegrollen und gegen die Verwendung durch Unbefugte sichern.» Das heisst: abschliessen. Das ist die minimale rechtliche Grundlage, die besteht. Wer das nicht macht, riskiert eine Busse. Je nach Fall seien unter Umständen auch weitere strafrechtliche Folgen nicht ausgeschlossen, das entscheide jedoch die Justiz, führt die Medienstelle der Kantonspolizei aus.

Moralischer Aspekt

Jolanda Egger erinnert aber daran, dass es nicht nur eine strafrechtliche Ebene, sondern auch eine moralische gibt. «Lässt man einen Schlüssel im Fahrzeug zurück, muss man sich bewusst sein, dass man beispielsweise auch Kindern und Jugendlichen Zugang zu diesem Fahrzeug verschafft», erklärt sie. Kommt es dann zu einem schweren Unfall, kann dies grosses Leid nach sich ziehen. Diese Gefahr sei wohl grösser einzustufen, als dass mit dem Fahrzeug eine Bank ausgeraubt werde.