Die herkömmliche Gemüseernte ist aufwendig, mit viel Handarbeit verbunden und entsprechend teuer. Es braucht eine Vielzahl von Erntehelfern, die Pflanze um Pflanze überprüfen, kranke Exemplare kennzeichnen, die reifen pflücken und die unreifen übrig lassen, um sie später bei einem zweiten Durchgang zu ernten. In Zukunft sollte dies effizienter werden: Das internationale und hochschulübergreifende Forschungsprojekt Digiland unter Beteiligung der Interstaatlichen Hochschule für Technik NTB in Buchs SG, der Fachhochschule St. Gallen und der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Ravensburg hat sich zum Ziel gesetzt, die Abläufe im Anbau von Kohlgewächsen zu digitalisieren und beispielsweise den idealen Erntezeitpunkt vorherzusagen.

Landwirtschaft in der Bodenseeregion fördern

"Im Ackerbau hat Smart Farming schon länger Einzug gehalten. Im Gemüsebau stehen wir dagegen in den Anfängen, und es besteht hier noch einiger Handlungsbedarf", sagt Professor Jürgen Prenzler, Leiter des Instituts Entwicklung Mechatronischer Systeme an der NTB. Digiland soll die Landwirtschaft im Bodenseeraum, die von Gemüse- und Obstbau geprägt ist, fördern. Was das St. Galler Rheintal anbelangt, kann man geradezu von einer Gemüsehochburg sprechen. Hier wird beispielsweise der Grossteil des inländischen Brokkoli angebaut. Und um den hierzulande beliebten Kohlkopf geht es bei diesem Digiland-Einzelprojekt im Besonderen: "Um Prozesse entlang der Wertschöpfungskette vertieft erforschen zu können, muss man zunächst auf eine einzelne Gemüsesorte fokussieren. Brokkoli als weitverbreitete Sorte ist dazu besonders geeignet", stellt Prenzler fest. Um die Abläufe vom Anbau bis zur Verarbeitung zum Tiefkühlprodukt analysieren zu können, arbeite man mit den Gemüseproduzenten Verdunova AG in Sennwald und Conorti AG in Haag zusammen. Die Fachhochschule St. Gallen hat eine vollständige Prozesslandkarte der Abläufe erstellt und ermöglicht es damit, Verbesserungspotenziale aufzuzeigen.

In Zukunft werden Ernteprognosen möglich

Die Digitalisierung setzt bereits beim Anbau an: Mittels wiederholten Drohnenaufnahmen durch eine Spezialkamera können Aussagen über die Entwicklung jedes einzelnen Brokkoli gemacht werden. Auf diese Weise lässt sich auch lokalisieren, in welchen Arealen des Feldes mehr Wachstum stattfindet oder wo es allenfalls Leerstellen gibt. Auch bietet sich so die Mög­lichkeit, Pflanzenschutzmassnahmen und Düngung gezielt ­einzusetzen. Basierend auf Drohnenbildern und Wetterdaten dürften Computerprogramme zukünftig auch mittels Machine Learning-Modellen (Künstliche Intelligenz) Prognosen dazu machen können, wann die Ernte zu erwarten ist und mit welchem Ertrag dabei zu rechnen ist. Weiter wird es möglich sein, den idealen Erntezeitpunkt nicht nur von der Pflanzenreife her, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht zu berechnen, indem der Ernteaufwand miteinbezogen wird. "Im Gespräch mit Landwirten haben wir festgestellt, dass in der Praxis ein grosses Bedürfnis für Ertragskartierungen und Ernteschätzungen besteht", sagt Markus Wüst, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts. Bereits zeigen grosse Gemüseverarbeiter Interesse an der praktischen Umsetzung.

Für jeden Brokkoli werden Wachstumsdaten erfasst

Zudem wurden auch für den Zeitpunkt der Ernte Precision Farming-Technologien eingeführt. Vor Kurzem ist nun ein Prototyp fertiggestellt worden. Das mechatronische Erntemodul ist mit einem sensorischen Messer sowie einer Waage ausgestattet. Indem es auf einem fahrbaren Tisch installiert ist, kann das Gerät direkt auf dem Feld eingesetzt werden. Dabei wird ein gesunder Brokkoli mit dem Messer auf eine bestimmte, vorher abgesprochene Weise geerntet. Ein krankes Exemplar wird dagegen mit einem anderen Schnitt gekennzeichnet. Die Sensoren am Messer erkennen nun anhand der unterschiedlichen Schnittkraft, ob es sich bei der betreffenden Pflanze um eine gesunde oder um eine kranke handelt. Dazu gehört auch eine Waage, die jeden einzelnen Kohlkopf wiegt. Zudem werden auch Temperatur und Luftfeuchtigkeit gemessen.

Diese zusätzlichen Informationen ergänzen die Wachtsumsdaten, die für jeden einzelnen Brokkoli vorliegen. Ist sonst lediglich bekannt, wie schwer die Ernte als Ganzes ist, kennt man hier das Gewicht jedes Exemplars. "Diese Erntedaten ergänzen und präzisieren jene zum Pflanzenwachstum. Damit bereiten wir den Weg für Modelle, die kommende Ernten aufgrund von früheren Erträgen auf demselben Feld vorhersagen können", erklärt Jürgen Prenzler. Noch ist der Prototyp nur für die Forschung im Einsatz. Eine weitere Version, die sich zurzeit in Planung befindet und dereinst in der Praxis angewendet werden könnte, wird nicht mehr jeden einzelnen Brokkoli erfassen, sondern nur noch alle Exemplare in einem bestimmten Abschnitt. Ein Feld wird demnach unterteilt in zahlreiche – der Arbeitsbreite der Erntemaschine entsprechend – sechs Meter breite und einen Meter lange Areale. "Dies liefert zwar nicht mehr ganz so genaue Daten, kann aber an eine Erntemaschine gekoppelt werden und ist daher praktischer", so Prenzler.

Projekt auf weitere Gemüsesorten ausdehnen

Im kommenden Februar wird eine erste Projektphase zu Ende gehen. Damit soll die Grundlage geschaffen sein, um in weiteren Etappen praktische Anwendungen darauf aufzubauen. So sollen die Referenzprozesse, die jetzt für den Brokkoli digitalisiert werden, für weitere Gemüse und auch für Obst realisiert werden können. Ziel ist es, dass der Gemüsebauer die Daten am Computer oder via App auf dem Smartphone abrufen und bearbeiten kann. Zudem wären Prognosemodelle in Bezug auf Schädlinge denkbar. Markus Wüst nennt als Beispiel die Kohleule, deren Raupe im Gemüsebau gefürchtet wird. Möglich wäre es zudem auch, zukünftig Multibodensensoren miteinzubeziehen, welche beispielsweise die Temperatur und Feuchtigkeit des Gemüseackers messen. Jürgen Prenzler: "Die Landwirtschaft wird sich weiterentwickeln. Dazu ist es jedoch wichtig, dass Wissenschaft und Erfahrungswissen aus der Praxis ständig im Austausch sind."

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