«Das war wie ein Güterzug in voller Fahrt, den ich von jetzt auf gleich stoppen musste, so dass aus den Bremsen nur noch die Funken flogen.» Hans Ulrich Steinmann erzählt, wie es ihm ging, als ihm der Archäologische Dienst des Kantons Bern im November mitteilte, dass er die Bauarbeiten an seinem Mutterkuhstall sofort unterbrechen muss. Im Aushub wurden Reste einer Siedlung aus der Bronzezeit gefunden. Bevor der Stall gebaut werden kann, muss der Fund dokumentiert werden. Zwei Wochen nach Baustart steht somit alles wieder still auf der Baustelle von Steinmann.
Bald gehts weiter
«Da habe ich schon zwei oder drei Nächte nicht geschlafen. Ich hatte mich auf den Bau fokussiert, mich vorbereitet und war voller Tatendrang, und dann das», meint er. Doch Hans Ulrich Steinmann ist ein Macher, der weiss, was er will und aus jeder Situation das Beste macht. So steht er am Freitag vergangener Woche auf seiner Baustelle, neben dem Zelt der Archäologen, grüsst hier, schüttelt da eine Hand, lacht, trinkt Kaffee und freut sich auf den April, wenn er weiterbauen darf. An dem Tag konnte nämlich vorerst noch die Bevölkerung die Ausgrabungen besichtigen. Und sie kamen zahlreich. Das kleine Dorf Richigen BE am Tor zum Emmental glich einem Pilgerort. Parkplätze waren im Dorf an diesem Tag Mangelware und der Shuttlebus fuhr pausenlos Leute vom Bahnhof zur Ausgrabungsstelle. Die Archäologie fasziniert, auch wenn nicht mehr als ein paar Scherben, Kohlereste und Eckpfosten von Häusern übrig geblieben sind.
Umstellung hat begonnen
Einen Mutterkuhstall für 40 Kühe will Hans Ulrich Steinmann bauen. Sein Betrieb liegt heute im Dorf, der neue Stall soll darum auf einem neu dazu gekauften Hof ausserhalb des Dorfes entstehen und den Betrieb fit für die Zukunft machen. Mehr Flexibilität für den Nebenerwerb und weg von den stetig sinkenden Milchpreisen will Steinmann. Im alten Stall stehen noch für wenige Wochen Milchkühe, in einer Ecke aber bereits eine Abkalbebox, darin eine Mutterkuh mit neugeborenem Kalb. Hinter dem Haus ist ein Provisorium entstanden für die ersten Mutterkuhrinder, die abgekalbt haben. Eigentlich sollten diese im April in den neuen Stall einziehen. Jetzt werden erst dann die Bauarbeiten starten.
Unter Beobachtung
«Als wir entschieden hatten, dass wir auf Mutterkühe umstellen, ging es schnell mit der Bauerei, die Baubewilligung bekamen wir im Gegensatz zu vielen Berufskollegen reibungslos», denkt Hans Ulrich Steinmann zurück. Damals habe er dann und wann gedacht, ob der Bau wohl bis zum Schluss so reibungslos laufe. «Mit dem Baggerfahrer haben wir sogar noch Scherze gemacht, wann wir wohl ein Skelett ausgraben», erzählt er lachend. Denn, dass der neue Stall in einem archäologischen Schutzgebiet liegt und in der Umgebung bereits Siedlungsreste und Gräber gefunden wurden, das war Steinmann bekannt. Deshalb war der Bau von Beginn weg unter Beobachtung und Begleitung von Archäologen. Trotzdem rechneten auch diese nicht damit, an diesem Ort tatsächlich etwas zu finden. Und dann der plötzliche Stopp. Bearbeitete Steine und Scherben kamen unter dem Aushub zum Vorschein. Der gerade erst in Fahrt gekommene Güterzug musste bremsen. Rückblickend hatte Hans Ulrich Steinmann Glück im Unglück. Der Schaden, der ihm entstanden ist, hält sich in Grenzen. Zwar hatte er zum Bauen sein Arbeitspensum gekürzt und einen Mitarbeiter angestellt, der ihn beim Bau unterstützen sollte. «Glücklicherweise stand der Kran noch nicht und der Bauunternehmer hatte genug andere Baustellen, so dass er seine Mitarbeitenden anderweitig einsetzen konnte, sonst wäre es wohl teuer geworden», fasst er zusammen.
Archäologie Kanton Bern
Der Archäologische Dienst des Kantons Bern führt jährlich im Kantonsgebiet gut 100 archäologische Untersuchungen durch. Dazu gehören neben Sondierungen, Aushubbegleitungen und grösseren Grabungen auch Bauuntersuchungen in historischen Gebäuden.
4300 Fundstellen
Zu den untersuchten Fundstellen werden jeweils Fundberichte im Jahrbuch «Archäologie Bern» publiziert. Sämtliche 4300 bisherigen Fundstellen sind auch im Geoportal des Kantons Bern festgehalten.
Auch unter Wasser
Seit den 1980er-Jahren besitzt der Archäologische Dienst des Kantons Bern eine permanente Tauchequipe, welche Unterwasserfunde erforscht.
Weitere Informationen:
www.erz.be.ch/Kultur
Keine Entschädigung
Hans Ulrich Steinmann konnte glücklicherweise sein Arbeitspensum wieder erhöhen und den Mitarbeiter setzt er auf dem bisherigen Betrieb ein. Bauen kann Steinmann zwar nicht, trotzdem brauche es ihn auf der Baustelle und er müsse Zeit einplanen, um die Archäologen zu unterstützen. Eine Entschädigung für die zusätzlichen Aufwendungen bekommt Steinmann nicht, weil dies gesetzlich so nicht vorgesehen ist. «Ich hätte mich auch quer stellen können, und versuchen, den Baustopp anzufechten oder einen anderen Standort für den Stall suchen, aber das hätte mich nur noch mehr Zeit und Energie gekostet», begründet Steinmann seine Kooperation. Die Zusammenarbeit mit den Archäologen sei gut. Begeistern kann sich Steinmann jedoch für die Bewohner, welche rund 3500 Jahre vor ihm hier lebten, nicht wirklich: «Die Archäologen sind zwar extrem glücklich mit dem, was sie hier finden, aber die Sachen sind so alt und verwittert, dass wir Normalsterblichen kaum etwas erkennen.»
Im April wird gebaut
Das Ende der Ausgrabungsarbeiten ist in Sicht. Im April bekommt Hans Ulrich Steinmann seine Baustelle zurück. Der Archäologische Dienst musste zu Beginn der Ausgrabungen einen Termin definieren, wann weiter gebaut werden darf. Aufgrund der reichen Funde sind die Archäologen in Zeitnot und arbeiten mit Hochdruck daran, die Spuren der Siedlung bis dann möglichst vollständig zu sichern. Und dann wird die Vergangenheit endgültig dem Bagger und der Zukunft weichen müssen. Zumindest auf diesem Bauplatz. Beim Verlegen der Wasser und Stromleitungen wurden auch in der Hofstatt Scherben gefunden. Steinmann wird also auch künftige Bauvorhaben mit Ausgrabungsarbeiten planen.