Im letzten Jahrhundert hat die Landwirtschaft in der Schweiz bedeutende Fortschritte gemacht, die in vier landtechnische Revolutionen unterteilt werden können:

  1. In der ersten landtechnischen Revolution (Landwirtschaft 1.0) um 1900 herum führte die Mechanisierung mit dem Traktor zur Ablösung des Pferdes.
  2. Ab 1950 markierte die zweite landtechnische Revolution (Landwirtschaft 2.0) den Einsatz moderner Traktoren und effizienter Düngemittel, was die Erträge erheblich steigerte.
  3. In den 1990er-Jahren begann die dritte landtechnische Revolution (Landwirtschaft 3.0) mit intelligenten Maschinen und Präzisionslandwirtschaft.
  4. Heute befinden wir uns am Anfang der vierten landtechnischen Revolution (Landwirtschaft 4.0). Die Maschinen und Geräte sollen untereinander vernetzt werden und automatisiert arbeiten. Sie nutzen dabei grosse Datenmengen für ihre Entscheidungen.

Die agrartechnische Forschung in der Schweiz hat sich ebenfalls gewandelt: Anfangs lag der Fokus auf Mechanisierung, später auf Umweltverträglichkeit und Ressourcenschutz. In den letzten Jahrzehnten hat die Digitalisierung an Bedeutung gewonnen, um die Effizienz und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft zu verbessern. Ausserdem spielt die Einführung von smarten Maschinen eine wichtige Rolle, um die Bewirtschaftung und den Einsatz von Ressourcen zu optimieren.

[IMG 2]

Präziser, ressourcenschonender und effizient

Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Düngung und des Pflanzenschutzes. Wo Düngung und Pflanzenschutz früher flächendeckend und einheitlich ausgebracht wurden, ermöglichen heute GPS-gesteuerte Maschinen und automatische Dokumentationssysteme eine gezieltere Anwendung. Mithilfe von Bodenkarten und Sensoren wird genau die Menge an Dünger und Pflanzenschutzmitteln eingesetzt, die der Boden oder die Pflanze benötigt – nicht mehr und nicht weniger. Ein Beispiel dafür ist die Ausbringung der Gülle mittels Schleppschlauch, bei welchem die einzelnen Schläuche angesteuert werden können. Oder eine Feldspritze, die in Echtzeit gewollte von ungewollten Pflanzen unterscheiden und einzeln behandeln kann.

Trotz der Vorteile des sogenannten «Precision Farming» bleibt die Einführung in der Schweiz eine Herausforderung. Denn viele Betriebe stehen vor hohen Investitionskosten und der Notwendigkeit, auch ihre Anbaugeräte smart aufzurüsten.

Dennoch haben sich auf dem Feld vor allem GPS-Lenksysteme etabliert. Dabei wird die Lenkung der Maschine vom Computer übernommen und ermöglicht eine exakte Steuerung des Traktors auf den Feldern. Bald könnten vernetzte, autonome Systeme in Echtzeit Daten zu Pflanzenzustand, Bodeneigenschaften und Wetter analysieren – um selbstständig Entscheidungen zu treffen und gezielte Massnahmen auszuführen. Dafür braucht es aber noch einiges an Arbeit.

Im Stall sind Roboter schon fast normal

In der Stalltechnik ist die digitale Transformation schon weiter. Viele der Arbeiten sind zeitintensiv, wie etwa das Entmisten oder die Fütterung. So lohnt sich eine Digitalisierung bzw. Automatisierung eher als auf dem Feld.

Anfangs wurde das Futter noch vollständig manuell verteilt. Mit der Zeit passte man die Futtermenge an die gemessene Leistung jedes Tieres an. Automatisierte Systeme ermöglichen es, präzise nach Zielvorgaben zu füttern und alle Daten zu dokumentieren. In Zukunft könnten autonome Fütterungssysteme die Produktqualität und Gesundheit der Tiere laufend überwachen und das Futter optimal darauf abstimmen.

Roboter, die das Futter am Futtertisch den Kühen immer wieder vor das Maul stossen, sind schon länger etabliert. Ebenso trifft man vermehrt auf Fütterungsroboter, welche autonom eine vordefinierte Futterration zusammenstellen und den Tieren automatisch an den Futtertisch bringen. Bis aber Kameras jedes Tier individuell beobachten und entsprechend dem Verhalten automatisch füttern, braucht es noch einige Zeit. Ebenso erhofft man sich durch bessere Überwachung der Tiere mehr Daten über die Tiergesundheit oder für die Brunstkontrolle. Mit fortschreitender Technik wird die Fütterung zunehmend eigenständig ablaufen und so die Landwirtinnen und Landwirte stärker entlasten.

[IMG 3]

Das Administrations-Monstrum zähmen

Anfangs wurden Betriebsdaten wie Buchhaltung, Feldkalender und Auslaufjournal noch mühsam mit Stift und Papier dokumentiert. Mit der Digitalisierung können die Daten mittlerweile elektronisch erfasst werden. Allerdings sind die Systeme oft noch nicht vernetzt, sodass nur ein kleiner Teil der Programme miteinander kommunizieren kann. Die Hoffnung der Politik und Forschung ist, durch das Prinzip «once only» den administrativen Aufwand erheblich zu reduzieren: Daten sollen nur einmal erfasst und dann zwischen den Programmen geteilt werden. Der nächste Schritt besteht darin, diese Daten umfassend zu vernetzen, um gezielte Handlungsempfehlungen zu ermöglichen. Die Vision für die Zukunft ist ein autonomes System, das alle Hofdaten zentral bündelt und datenbasierte Entscheidungen eigenständig treffen kann. Die digitale Transformation soll so das Administrativ-Monstrum zähmen.

Standardisierung: Das Fundament der Landwirtschaft 4.0​

Die Entwicklung zur Landwirtschaft 4.0 geschieht oft im Hintergrund, während autonome Mist-, Fütterungs- und Feldroboter im Vordergrund stehen. Ein zentraler Punkt ist die Notwendigkeit der Standardisierung von Datenformaten und Schnittstellen, um den Austausch und die Wiederverwendbarkeit von Daten zu ermöglichen. So wie der Isobus-Standard in den 1980er-Jahren eine einheitliche Kommunikationsbasis für landwirtschaftliche Maschinen geschaffen hat, wird auch in der Datenverarbeitung ein solcher Standard benötigt. Ein einheitlicher Standard könnte nicht nur die Abläufe auf den Betrieben verbessern, sondern auch Innovationen fördern, indem er den Zugang zu modernen Technologien für alle Akteure in der Landwirtschaft erleichtert.

[IMG 4]

Es ist nicht alles Gold, was glänzt – die komplexe Realität

Insgesamt zeigt die Entwicklung der Schweizer Landwirtschaft in den letzten 100 Jahren beeindruckende Fortschritte durch die Digitalisierung. Dennoch sehen kleinere Betriebe diese Technologien oft als Bedrohung, da hohe Investitionen erforderlich sind und sie in einem wettbewerbsintensiven Umfeld bestehen müssen. Zudem wirft die zunehmende Abhängigkeit von Technologien Fragen zu Datenschutz und Datenhoheit auf, die nicht ignoriert werden dürfen. Viele Landwirte kämpfen zudem mit dem Bedarf an kontinuierlicher Weiterbildung, was den Übergang zu automatisierten Lösungen erschwert.

Obwohl die Vorstellung einer vollständig digitalisierten Landwirtschaft attraktiv und zukunftsweisend erscheint, erfordert sie eine realistische Betrachtung. Die Transformation erfordert Geduld und umfassende Unterstützung in Form von Schulungen, finanziellen Hilfen und einer verbesserten Infrastruktur, damit alle Betriebe von den Vorteilen der digitalen Transformation profitieren können.


«Die Einführung der Melkroboter dauert nun schon 25 Jahre und ist noch nicht abgeschlossen.»

Nadja El Benni sieht in der Digitalisierung der Schweizer Land- wirtschaft eine Chance für mehr Effizienz und Präzision – doch bis zur echten Vernetzung braucht es noch viel Ausdauer.[IMG 5]

Ihr Ziel ist es, die Landwirtschaft zukunftsfähiger zu machen und mit Smart Farming technische Lösungen zu entwickeln, die den Alltag auf den Höfen erleichtern. Ein Schwerpunkt liegt darauf, herauszufinden, welche Technologien wirklich nützlich sind, und welche zusätzlichen Stress verursachen. Um die Forschung praxisnah zu gestalten, arbeitet sie eng mit dem Bildungszentrum Arenenberg TG zusammen.

Digitalisierung bietet der Schweizer Landwirtschaft viele neue Möglichkeiten – von Melkrobotern bis zu digitalen Managementsystemen. El Benni betont jedoch, dass der Weg zu einer vernetzten, datenbasierten Landwirtschaft noch Arbeit benötigt.

Was war in den letzten Jahren der grösste Fortschritt der Schweizer Landwirtschaft betreffend Digitalisierung?

Nadja El Benni: Wir haben mit Melkrobotern, Farm Management Systemen, automatischen Lenksystemen und intelligenten Spot-Sprayern in den vergangenen Jahren viele grosse Fortschritte gesehen, die nur die Spitze des Eisberges darstellen. Je nach Blickwinkel ist die Relevanz dieser Fortschritte natürlich unterschiedlich hoch. Grosse Meilensteine waren die Einführung erster Systeme mit künstlicher Intelligenz zur Gesundheitsüberwachung von Tieren oder die automatische Erkennung von Unkräutern.

Welche Hürden stehen der Digitalisierung der Schweizer Landwirtschaft im Weg? Wie unterstützt die «Chartagemeinschaft Digitalisierung» diesen Wandel?

Eine erfolgreiche Digitalisierung zeichnet sich meiner Meinung nach durch ein digital orientiertes Management aus, das die Zettelwirtschaft ablöst und bessere, datenbasierte Entscheide ermöglicht. Wenn eine fortlaufende Aufzeichnung der Arbeiten auf digitalen Endgeräten wie Smartphone und Terminal erfolgt, könnten dazu deutliche administrative Vereinfachungen erzielt werden. Diese Umstellung ist nicht einfach, das zeigen auch andere Sektoren wie das Gesundheitswesen. Die Chartagemeinschaft hat zum Ziel, die verschiedenen Akteure miteinander zu vernetzen und aus erfolgreichen Beispielen und Misserfolgen zu lernen, um gemeinsam den Weg in Richtung Digitalisierung zu gehen.

Welche digitalen und smarten Tools sind aktuell in der Landwirtschaft am weitesten verbreitet? Welche werden weniger genutzt?

Rund 3000 Melkroboter, tausende Lenksysteme, rund hundert Sprühdrohnen, ortsspezifische Düngung, automatische Bewässerungssysteme, sensorgesteuerte Belüftungen, GPS-Tracking von Tieren auf Alpen und erste autonome Roboter auf den Feldern – es gibt viele Beispiele für die Digitalisierung in der Landwirtschaft. Es kommt sehr stark auf die Betriebsverhältnisse und die Vorlieben der Betriebsleitenden an, welche Technologie schlussendlich auf dem Betrieb eingesetzt wird. Eines ist klar: Wir befinden uns am Anfang eines langen Marathons. Da wird sich Schritt für Schritt noch viel entwickeln. Das Potenzial ist nach wie vor gross, die Fragestellungen werden aber auch immer anspruchsvoller.

Wie realistisch ist die Vorstellung von vollständig digitalisierten Bauernhöfen und Feldern? Was wird in den nächsten zehn Jahren tatsächlich Realität – was bleibt Wunschdenken?

Wir brauchen nicht zu erschrecken, da wird kein Meteorit einschlagen. Die Einführung der Melkroboter dauert nun schon 25 Jahre und ist noch nicht abgeschlossen. Es gibt noch sehr viel zu tun, bis sich die verschiedenen Puzzleteile und Insel-Lösungen zu einem grossen Ganzen vereinen. Ein wichtiges Ziel muss es sein, die Farm-Management-Systeme so weiterzuentwickeln, dass die Landwirte das Prinzip «once only», also jede Information nur einmal zu erfassen, umsetzen können. Dies ist eine tolle Vision, die aber einen sehr langen Atem benötigen wird. Interview (schriftlich) Gil Rudaz

www.digiagrifood.ch