Man muss sie nicht lange im Wald suchen, ihre Glöckchen sind von weitem zu hören: Drei schwere Kaltblutpferde sind zurzeit auf dem Winterthurer Eschenberg im Einsatz. Sie schleppen Stämme und Äste von Nadelbäumen ab, die dem Nassschnee des vergangenen Winters oder den starken Stürmen vom letzten Jahr nicht standhalten konnten. Diese Arbeit muss nun dringend getan werden, um dem Borkenkäfer zuvorzukommen, der sich auf den liegenden Fichten zu verbreiten beginnt, sobald es wärmer wird.
Besuch im Unterengadin
Dass nun Pferde zum Einsatz kommen, wofür heutzutage Maschinen zuständig sind, ist unter anderem Andres Trümpy zu verdanken, der bei Stadtgrün Winterthur für die Abteilung Wald und Landschaft zuständig ist. «Ich hatte vor einiger Zeit von Gian Denoth gehört, der viel Erfahrung im Holzrücken hat», erzählt Trümpy. «Im letzten Herbst besuchte ich ihn im Unterengadin und schaute mir die Sache an». Dabei sei er zur Überzeugung gekommen, dass die Forstarbeit mit Pferden auch in Winterthur eine nützliche Ergänzung zum Maschineneinsatz sein könnte. Wieder zuhause, konnte Trümpy seine Vorgesetzten davon überzeugen, einen Versuch zu starten.
Für den Arbeitseinsatz konnte schliesslich Gian Denoth gewonnen werden, der nun seit ein paar Wochen mit seiner Stute Uranie (französisch ausgesprochen) in den Wäldern rund um die Stadt beim Aufräumen hilft. Sein Biobetrieb in Tschlin muss in dieser Zeit zumeist ohne ihn auskommen. Insgesamt sind bis zu vier Unterengadiner Holzrücker mit ihren Pferden im Einsatz.
Grosser Arbeitswille
Aufgabe der Pferde ist es, umgeknickte Bäume und grössere Äste bis zum nächsten Weg zu ziehen, wo Forstfahrzeuge den weiteren Transport übernehmen. Die Tiere haben gegenüber den Maschinen einige Vorteile: «Sie sind flexibler in der Bewegung und benötigen keine Fahrgassen», stellt Gian Denoth fest, «Zudem verursachen sie keine Bodenschäden. Ihr Einsatz ist daher auch bei schlechtem Wetter möglich, der Boden muss nicht zuerst trocknen.»
Rückpferde sind gewöhnlich Kaltblüter wie Percheron oder Ardenner, die zwischen 700 Kilogramm und einer Tonne auf die Waage bringen. «Um schwere Lasten zu ziehen, braucht es hauptsächlich Kraft», sagt Denoth. Als er vor etwa 30 Jahren mit dem Holzrücken angefangen hatte, setzte er zunächst Freiberger ein. Später wechselte er auf die schwereren Percherons, die aus dem Nordwesten Frankreichs stammen. Derzeit hat er zwei Pferde dieser Rasse zuhause im Stall, Uranie ist eines davon. «Sie hat einen grossen Arbeitswillen», stellt der Fuhrmann fest. Er hatte die heute 13-jährige Rappstute erworben, als sie vier war, seither sind Besitzer und Pferd zu einem eingespielten Team zusammengewachsen.
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Gian Denoth hatte die heute 13-jährige Kaltblutstute Uranie erworben, als sie vier war. Seither sind die beiden zu einem eingespielten Team zusammengewachsen.
Strategisch vorgehen
Was das im Idealfall bedeutet, drückt ein alter Spruch am besten aus: «Das Pferd weiss, was der Fuhrmann denkt, der Fuhrmann weiss, was das Pferd im Begriff ist zu tun.» Einen Eindruck davon bekommt die Zuschauerin: Uranie zieht mit dem Stamm im Schlepptau, den Gian Denoth an ihrem Arbeitsgeschirr befestigt hat, auf sein Signal hin davon. Die Führleinen lässt er los, damit er sie nicht bremsen muss, weil er nicht Schritt halten könnte. Das Pferd weiss selbst, wo es anhalten und warten muss.
Am Holzrücken fasziniere ihn besonders, so Denoth, dass man strategisch vorgehen müsse, weil nicht beliebig viel Kraft zur Verfügung stehe. Es gelte, aus der Situation heraus einen geeigneten Weg durch den Wald zu finden, was Konzentration und eine enge Zusammenarbeit mit dem Tier erfordere. Ein weiterer Vorteil sei, dass man beim Holzrücken nicht zu zweit sein müsse, ein einzelnes Mensch-Pferd-Team reiche für kleinere Arbeiten aus.
Auch im Tiefschnee
Holzrücken ist eine Tätigkeit, die Gian Denoth daheim vor allem im Winter ausübt. Eine Schneehöhe von 80 Zentimeter sei noch machbar, wo mehr Schnee liegt, sei es kaum mehr möglich. Bei den Bäumen handelt es sich vor allem um Fichten und Lärchen. Die Wälder, in denen er zuhause hauptsächlich arbeitet, sind steil. Da man das Holz vor allem abwärts schleppt, könne dies ein Vorteil sein.
Sobald im Unterengadin der Frühling in Fahrt kommt, wird der Landwirt seine beiden Pferde auch im Ackerbau einsetzen. Mit ihnen pflügt, eggt, sät und striegelt er seine Felder. «Auf einem kleinen Bergbetrieb eignen sie sich oftmals besser als Maschinen.»
Im letzten Winter hatte Denoth eine Forstingenieurin als Praktikantin, die bei den Engadinern das Holzrücken erlernen wollte. Das Interesse freut den Bündner: «Es wäre schade, wenn das alte Wissen darüber verloren ginge.»
Es sieht ganz danach aus, dass Denoth etwas dazu beitragen kann: «Wir haben beim Versuch, der bald zu Ende ist, positive Erfahrungen gemacht», sagt Andres Trümpy. Es könne sein, dass es in Winterthur zukünftig regelmässig Rückpferdeeinsätze geben wird. Gut möglich also, dass man die am Geschirr befestigten Glöckchen, die früher als Warnsignal obligatorisch waren, wieder häufiger in den Wäldern hört.
Arbeitspferde im Wald
Als Holzrücken wird der Transport von gefällten Bäumen zu einem Weg bezeichnet, von dem aus die Stämme maschinell weiterverarbeitet und mit Fahrzeugen abtransportiert werden. Beim Holzrücken mit Pferden werden vor allem Kaltblutrassen ab rund 700 Kilogramm eingesetzt. Die Tiere benötigen dazu eine Ausbildung und müssen auf Stimmkommandos reagieren können.
Holzrücken wird auch als Sport ausgeübt: In verschiedenen Regionen werden regelmässig Wettkämpfe in unterschiedlichen Kategorien durchgeführt.