«Früher hatte jeder Betrieb einen Grossvater, der mehrmals durch den Stall lief, um nach dem Rechten zu schauen, oder die Brunst erkannte.» So eröffnete Philipp Schmid von der Firma CSEM, mit Sitz in Alpnach Dorf OW, sein Referat an der Jahrestagung der Charta-Gemeinschaft Digitalisierung, die am 22. Oktober als Online-Tagung stattfand. Da heute solche Grossväter meist fehlten, würde vermehrt auf technische Unterstützung gesetzt. Künstliche Intelligenz kommt in der Landwirtschaft bereits zum Einsatz und es wird vermehrt dazu geforscht (siehe Praxisbeispiele weiter unten).
Künstliche Intelligenz
2018 unterzeichneten zahlreiche Organisationen aus der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft, der sogenannten Charta-Gemeinschaft, eine Charta zur Digitalisierung. Das Dokument beinhaltet zwölf Leitlinien zum Umgang mit digitalen Daten und Anwendungen. Jährlich tauscht sich die Charta-Gemeinschaft aus, dieses Jahr zum Thema Künstliche Intelligenz (KI). Was aber versteht man unter KI?
KI simuliert menschliche Intelligenz durch einen Computer. Ein Computer wird befähigt, anspruchsvolle Probleme zu lösen, die bisher eigentlich von Menschen gelöst wurden, z. B. Bilderkennung oder Schadstellen an Bauteilen. Ein Teilgebiet der KI ist das maschinelle Lernen, das durch Erkennen von Mustern und Gesetzmässigkeiten passende Lösungsansätze ableitet. Von der Vision, dass die Maschine sich wie ein Mensch verhält, ist man aber noch weit entfernt.
Der Melkroboter wird alltäglich
Es ist längst keine Science Fiction mehr, sondern wird immer mehr zum Alltag, dass sich Kühe selber melken lassen. Dabei werden ihre Brünstigkeit oder Gesundheitsprobleme festgestellt und gleichzeitig noch die Daten an die Zuchtverbände übermittelt. Die Verkaufszahlen von DeLaval sprechen für sich. Verkaufte das Unternehmen im gesamten Jahr 2000 einen Melkroboter, so war es 2018 bereits einer pro Woche. Für 2021 prognostiziert die Herstellerin von Melksystemen, dass es doppelt so viele, also zwei pro Woche, sein werden. Dies, obwohl für die
neuste Generation von Melkrobotern mit Kosten von mindestens 200 00 Franken gerechnet werden muss.
Die Tomate sagt: «Durst»
Gewächshäuser lüften vollautomatisch; sie regulieren Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Beleuchtung und Schatten selbstständig. Neu wird hinzukommen, dass wir die Sprache der Pflanzen verstehen können. Pflanzen senden nämlich elektrische Signale. Wenn es einer Pflanze an Wasser oder Nährstoffen fehlt, oder wenn sich die Temperatur oder die Lichtverhältnisse verändern, ändern sich diese Signale. Interpretiert man diese Zeichen richtig, könnten sie dem Produzenten in Echtzeit wichtige Informationen liefern.
Agroscope mach zurzeit Gewächshaus-Versuche, in denen z. . elektrische Signale von Tomaten erhoben, ausgewertet und überprüft werden. Was momentan erst in einer Forschungsumgebung praktiziert wird, soll schon bald in der Praxis getestet werden.
Es gilt, Daten zu sammeln
Die Zauberworte für den Einsatz von KI heissen Daten sammeln und (Früh-)Erkennung. Die KI soll also erkennen, ob eine Kuh brünstig ist oder krank wird, oder ob es einer Pflanze an etwas fehlt. Dazu werden Daten benötigt, auf deren Basis das System lernen und arbeiten kann. Wie der Grossvater, der auf einen grossen Erfahrungsschatz und auf eine gute Beobachtungsgabe zählen kann.
Praxisbeispiel 1: Intelligente Ohrmarke
Die Ohrmarke Smartbow sammelt während 24 Stunden Bewegungs- und Aktivitätsdaten von Rindern und Kühen. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf Gesundheit und Fruchtbarkeit ziehen. Für die Anschaffung von 50 Ohrmarken muss mit zirka 10 00 Franken gerechnet werden. Zusätzlich kommen jährliche Kosten von zirka 500 Franken hinzu. Eine Ohrmarke kann mehrmals verwendet werden und die Batterien sind zu ersetzen.
Smartbow kann anhand 15 verschiedener Perimeter die Brunst erkennen, das Wiederkäuen überwachen und jede Kuh mit Standort und Verweildauer in Stall und Laufhof lokalisieren. Die Daten werden in Echtzeit übermittelt. Zurzeit funktioniert die Überwachung auf der Weide nur bei Weiden angrenzend an den Stall; ein Weidemodul ist jedoch in Planung. Abweichung-en von der Norm oder ein Brunstalarm werden dem Betriebsleiter via SMS gemeldet. Anhand dieser Meldung kontrolliert der Landwirt die Daten im System. Dort findet er Angaben zum optimalen Besamungsfenster oder kann auf Krankheiten schliessen. Diese Früherkennung spart Tierarztkosten oder kann im Fall der Brünstigkeit die Zwischenkalbezeit verkürzen. Smartbow wird in der Schweiz durch die UFA vertrieben.
Weitere Informationen: www.ufa.ch
Praxisbeispiel 2: 24-Stunden-Beratung
Einem Chatbot können während 24 Stunden an sieben Tagen pro Woche Fragen gestellt werden, via Sprachnachricht oder schriftlich. Die Antwort kommt nicht von einer Person, sondern wird durch eine Maschine generiert. Die Verarbeitung der Frage erfolgt nach dem «Wenn-Dann-Prinzip». Es wird also vorgängig definiert, welche Antworten der Chatbot auf welche Frage geben soll. Verschiedene Dienstleistungsbetriebe nutzten bereits Chatbots, z. B. Versicherungen.
Die Agridea machte erste Chatbot-Versuche im Bereich der landwirtschaftlichen Beratung. Dabei wurde festgestellt, dass das Themenfeld Landwirtschaft sehr breit ist; meist wird die Beratung bei komplexen Fragestellungen hinzugezogen. Folglich gibt es nur wenige Fragen, für die man standardisierte Antworten hinterlegen kann. Deswegen versucht die Agridea den Weg mit einer intelligenten Suchfunktion. Anfang November wird in einem Pilotversuch der erste Ackerbau-Chatbot getestet. Die Datenblätter Ackerbau und weitere Merkblätter der Agridea bilden die fachliche Grundlage. Wird z. B. eine Frage zum Saattermin von Winterweizen gestellt, sucht der Chatbot in den hinterlegten Unterlagen und gibt dem Fragesteller die Suchresultate als mögliche Antwort zurück.
Weitere Informationen: www.agridea.ch
Praxisbeispiel 3: Automatisch Pflanzen zählen
Will man das Pflanzenvorkommen auf einer Fläche bestimmen, steckte man bis anhin Perimeter ab, und Menschen bestimmten und zählten die Pflanzen aus, die darin wachsen. Danach wurden die Ergebnisse auf die gesamte Fläche hochgerechnet. Die Arbeitsgruppe Kulturpflanzenwissenschaften an der ETH entwickelt aktuell Verfahren, solche Arbeiten von Drohnen machen zu lassen. Dadurch können der Arbeitsaufwand reduziert und zusätzliche Information über die räumliche Verteilung der Pflanzen erfasst werden.
In einem ersten Schritt müssen viele Pflanzen auf Bildmaterial markiert und dann eine Künstliche Intelligenz (KI) trainiert werden. Fliegt dann beispielsweise eine Drohne über eine Wiese, erkennt die KI die Pflanzen auf den Bildern. Vergleicht man manuelle und maschinelle Auszählungen miteinander, gibt es Pflanzen, bei denen beide Verfahren beinahe gleich viele Exemplare auszählen. Es gibt aber auch Pflanzen, bei denen die Unterschiede sehr gross sind. Dies kann daran liegen, dass die Lichtverhältnisse oder das phänologische Stadium der Pflanzen nicht optimal waren. Im Gegensatz zum manuellen Verfahren konnte das KI basierte Verfahren jedoch auch die räumliche Verteilung der verschiedenen Pflanzenarten über die ganze Wiese erfassen.
Weitere Informationen: www.kp.ethz.ch/phenofly
Praxisbeispiel 4: Prognosen mittels Daten
Bauernbetriebe übermitteln laufend Daten an öffentliche Stellen und Ämter. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) zusammen mit dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) versuchen im Projekt «Smart Animal Health» diese Daten miteinander zu verknüpfen, auszuwerten und daraus Erkenntnisse zu Tiergesundheit und -wohl in der Schweiz zu erhalten.
Schnell und einfach kann z. B. festgestellt werden, ob ein Betrieb ein Risiko mit der Tierhaltung haben könnte und darum eine risikobasierte Kontrolle angeordnet werden soll. Je mehr Daten hinterlegt sind, desto genauer wird die Prognose. Momentan stützt sich das Team der Identitas AG, welches dieses Unterprojekt leitet, auf Daten der TVD, Agis und Acontrol. Betriebe mit auffälligen Daten, z. B. häufige Abgänge, unvollständige Tierdaten oder Kontrollmängel, werden so für eine Kontrolle ausgewählt. «Risiko» muss nicht in jedem Fall «Problem» heissen. Fällt das Kontrollresultat positiv aus, kann das bedeuten, dass der Betrieb in der nächsten Auswertung nicht mehr im Kontrollraster auftaucht. Vorteil der Methode: Man kann mit wenig Ressourcen Kontrollen planen, und der Entscheid für eine Kontrolle kann transparent und datenbasiert begründet werden.
Weitere Informationen: www.blv.admin.ch