Carweise kamen sie. Sogar Studienreise-Gruppen aus dem Ausland wollten 1999 mit eigenen Augen sehen, wie ein Roboter die Kühe molk. Das galt als revolutionär. «Mein Vater hatte damals viel Weitsicht», sagt Roman Bieri. Er hat den Betrieb in Untersiggenthal AG vor 14 Jahren von seinem Vater Max Bieri übernommen. Im Dezember wird die vierte Generation Melkroboter auf dem Hof installiert.
Im Hof-Büro liegen zwei Kinder-Drachen auf dem runden Sitzungstisch. «Die mussten wir aus dem Baum retten», sagt Roman Bieri und schmunzelt, während er sie zur Seite legt. Nicht selten verbringt der zweifache Vater fast die Hälfte des Tages im Büro mit den vielen Aktenordnern. «Es kommt einiges an administrativer Arbeit zusammen.»
Seit zwei Generationen
Ein Teil des Betriebs ist als Tierhaltergemeinschaft organisiert. Roman Bieri bewirtschaftet diese zusammen mit Sandro Märki. «Alles, was mit Rindvieh zu tun hat, befindet sich hier auf dem Hof», erklärt Bieri. Ein wenig Ackerbau gehört dazu. «Doch das steht nicht im Zentrum. Ich will nicht alles machen.»
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Ein weiterer Betriebszweig ist die Stromproduktion mit Solarenergie. Schon Vater Max Bieri hatte den Betrieb auf eine Liste für kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) gesetzt. Im Jahr 2011 installierte Roman Bieri die ersten Panels auf dem Stalldach. «Inzwischen habe ich die Fläche auf 3500 m² verdoppelt, das entspricht rund 650 Kilowatt Peak-Leistung. Ich habe aber keine Garantie, wie viel bezahlt wird.»
Zum Betrieb gehört auch ein Stall für 30 Pensionspferde. Das sei ein anderer Markt als Milchwirtschaft oder Energie. «Der Preis spielt bei den Halterinnen und Haltern nicht die entscheidende Rolle», weiss Roman Bieri aus Erfahrung. Wichtig sei ihnen, dass die Tiere gut gehalten werden und das Gesamtangebot stimme.
Robuste Kühe gesucht
Im Stall stehen 70 Holstein-Kühe, genau genommen sind viele davon eine Drei-Rassen-Kreuzungszucht. «Sehr erfolgversprechend, aber man kann nicht alle weiter nehmen», sagt der 40-Jährige. Er gehe nicht an Viehschauen. «Ich suche ein Tier, das im Alltag robust ist.» Zudem sind hier rund 40 Mastkälber untergebracht, wobei Bieri nur hofeigene Tiere mästet.
Neben Roman Bieri arbeiten drei Vollzeitangestellte auf dem Betrieb, und seine Lebenspartnerin Cornelia Suter ist in Teilzeit für das Büro angestellt. Sie kümmert sich um die Buchhaltung. Die Milchwirtschaft sei dabei der aufwändigste Betriebszweig, so der Betriebsleiter. Die Arbeit müsse so eingeteilt werden, dass immer jemand direkt auf dem Hof sei. «Die Kuh kommt zuerst.»
Den Melkroboter A3 von Lely wird in wenigen Wochen gegen einen A5 ausgetauscht. Auf die Frage nach dem Grund des Wechsels antwortet Bieri, dass der A3 fast eine Million Melkungen geleistet habe. Zudem hätten sich die Roboter in der Zwischenzeit weiterentwickelt und auch die Energiekosten des neuen Geräte seien deutlich tiefer als bei früheren Modellen. «Ich musste diverse Aspekte berücksichtigen und dann entscheiden, ob sich ein Neukauf rentiert.» Auf einen Roboter verzichten? Kein Thema. «Ohne Melkroboter hätte ich keine Milchkühe.»
Zu zweit weniger Risiko
Das war bei Vater Max Bieri vor 25 Jahren noch anders. Er hatte damals mit Ernst Märki, dem Vater von Sandro Märki, eine Tierhaltergemeinschaft geplant. «Ein guter Partner», sagt der 73-Jährige. «So eine Zusammenarbeit braucht Toleranz auf beiden Seiten. Bei uns hatte jeder seine Freiheiten.» Auf einer Schweizer Agrar-Reise nach Holland besuchten die beiden unter anderem einen Betrieb mit einem Lely-Melkroboter. «Die neue Technik faszinierte uns und da wir zu zweit waren, konnten wir das Risiko eingehen», erzählt Max Bieri weiter. Die beiden Geschäftspartner entschieden sich für den ersten Melkroboter.
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Der Vater habe sich damals viel anhören müssen, erinnert sich Roman Bieri. «Von Hui bis Pfui war alles dabei». Er selbst arbeitete zu dieser Zeit im Welschland, bekam die Aufregung nur aus der Ferne mit. «Es war Neuland und wir schliefen manchmal schlecht», erinnert sich Max Bieri. «Aber es hat sich gelohnt. Unsere Erfahrungen haben nicht nur unseren Betrieb weitergebracht, sondern auch die Firma Lely.» Denn der Roboter wurde direkt aus Holland geliefert, das Unternehmen war damals noch nicht in der Schweiz angesiedelt. Offiziell startete Lely erst im darauffolgenden Kalenderjahr mit einer inländischen Niederlassung. «In den ersten Monaten kamen die Servicetechniker daher noch aus Deutschland zu uns auf den Hof.»
Das Tierwohl geht vor
Der Roboter entlastete von der täglichen Routine. «Doch man muss trotzdem häufig zu den Tieren schauen. Wenn die Liebe und die Freude fehlen, kommt es nicht gut. Auch wenn man ständig gehetzt ist, merken das die Kühe.»
Er hat den Betrieb schon einige Jahre vor der Pensionierung übergeben und bewusst auf eine Generationengemeinschaft verzichtet. «Die Jungen können das selbst», so Max Bieri. Ernsthafte Konflikte gab es keine. «Die Hofübergabe lief ganz entspannt, das Inventar haben wir ohne externe Hilfe am Küchentisch geregelt», erinnert sich sein Sohn.
Vom Pferd vor dem Pflug bis Melkroboter
Heute lebt Max Bieri mit seiner Frau Annegret ganz in der Nähe und ist immer noch regelmässig auf dem Hof. «Manchmal helfe ich beim Zäunen oder bei den Rindern, manchmal nehme ich mir aber auch die Freiheit für einen Spaziergang», sagt er mit einem Schmunzeln. «Das kann anstrengender sein als die eigentliche Arbeit.» Vor allem aber freut sich das Alt-Bauernpaar über den regen Kontakt mit den beiden Enkelkindern.
Max Bieri arbeitete bis 1968 noch mit Pferd und Pflug auf dem Feld. «Dann kam der erste Traktor.» Der Grossvater sei 1923 gar noch mit Ross und Wagen von Dagmersellen nach Untersiggenthal umgezogen, erinnert er sich weiter. «Und heute kann man im Katalog schauen, dass der Samen von einem Stier kommt, der für den Roboter geeignet ist.»
Offenheit für Inovationen
Die Offenheit für neue Wege und Technologien habe er wohl von seinem Vater geerbt, meint Roman Bieri. «Ich mag nicht stehen bleiben», sagt er. «Aber neue Sachen zu entwickeln, das macht mir Spass.» Nachdem er bereits das 2. Lehrjahr in der Romandie absolviert hatte, arbeitete der Meisterlandwirt nach der Ausbildung nochmals einige Zeit in der französischsprachigen Schweiz.
Er hätte sich vorstellen können, dort zu bleiben. «Dort spürt man mehr Freiheit und die landwirtschaftlichen Betriebe sind stärker auf den Markt ausgerichtet.» Zurück in der Deutschschweiz, absolvierte er unter anderem am Strickhof eine Handelsschule, die nicht speziell auf die Landwirtschaft ausgerichtet war. «Das war eine meiner besten Entscheidungen. Man erfährt viel über Unternehmensführung. Ich nutze das, was ich damals gelernt habe, noch heute fast jeden Tag.»
Bewährte Stallkonstruktion
Der Hofrundgang führt von den Kälbern zum Stall, der seit 1987 steht. «Gut, dass mein Vater und sein Geschäftspartner damals nicht mehr Geld hatten», meint Roman Bieri. Die zweckmässige, einfache Konstruktion habe sich bewährt und biete Raum für Anpassungen. Roman Bieri holt sich immer mal wieder einen Spezialisten auf dem Hof, um die Arbeitsabläufe mit den Kühen, aber auch die Stalleinrichtung zu überprüfen. Das führte etwa dazu, dass er eine Wand entfernt hat, um die Belüftung bei den Mastkälbern zu optimieren. Ein andermal kam ein Kuhsignal-Trainer und zeigte dem Hof-Team, was man im Umgang mit dem Milchvieh wie verbessern kann. «Vieles fällt einem nicht auf, weil man es täglich sieht, man wird betriebsblind.»
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Die Kühe liegen im Stall auf Sand. Das anorganische Material wirkt sich positiv auf die Zellzahlen aus, so Roman Bieris Erfahrung. «Es gibt dadurch aber auch mehr Verschleiss bei der Technik.» Zudem muss der Sand aus dem Gülleloch geputzt werden. Die Weiden liegen rund um den Stall, die Gatter werden manuell bedient. «Unsere Tiere kommen auch ohne Lenkung zum Melken. Bei Hochleistungskühen und voller Auslastung des Roboters wäre das wohl schwieriger.»
Weiden: für gesunde Kühe
Auf das Weiden verzichten will Roman Bieri nicht, unabhängig von Programmen wie RAUS. «Auch wenn ich dadurch auf ein paar Kilo Milch verzichte – das Weiden hilft, dass die Kühe gesund und fit bleiben. Und was gut für die Kühe ist, ist gut für den Bauern. Die Investitionen kommen doppelt zurück.» Die Durchschnittsleistung der Herde liegt bei 10 000 Kilo und bei vier Laktationen. Beim Futter setzt Bieri auf Gras, Mais und Mineralstoffe, von Spezialmitteln hält er nichts.
Roboter zum Füttern und Misten setzt der Betriebsleiter nicht ein. «Fürs Futtermischen und die Boxenpflege brauche ich nur eine Dreiviertelstunde.» Roman Bieri geht mit seiner Arbeitszeit sehr bewusst um und setzt auch Grenzen. «Ich möchte nicht mehr arbeiten als jetzt und will nicht völlig ausgelaugt sein», stellt er klar. Er möchte auch Zeit mit seiner Familie verbringen können oder, wie jetzt im Herbst, auch mal an ein Winzerfest gehen. «Mir ist zudem wichtig, dass meine Mitarbeitenden und ich genügend Zeit haben, bei Bedarf etwas zu recherchieren. Das zahlt sich aus.»
Freude am Beruf
Die Leidenschaft für die Landwirtschaft und die Kombination von Natur und Technik ist Roman Bieri deutlich anzumerken. Wie schon für seinen Vater, ist das für ihn eines der Rezepte zum Erfolg. «Es kann nicht längerfristig gut sein, wenn es keine Freude macht», sagt er. Aber als Unternehmer stellt er auch klar: «Das finanzielle Ergebnis muss stimmen.» Da er gern innovativ arbeitet, würde ihn, zumindest als Gedankenspiel, ein Betrieb in Osteuropa reizen. «Man ist weniger reglementiert, kann mehr selbst entscheiden und ausprobieren.»
Carweise kommen heute keine Gruppen mehr auf den Hof in Untersiggenthal. Ein Melkroboter ist keine Sensation mehr. Wissbegierigen Besuch erhält der Betrieb aber immer noch gelegentlich. Doch dabei interessieren heute eher die grossflächig installierten Solarpanels und die dazugehörige Technik.
Die Entwicklung des Melkroboters
Den Anfang nahm die Entwicklung im 19. Jahrhundert. Schon 1860 liess der US-amerikanische Ingenieur Leighton O. Colvin eine Melkmaschine patentieren. Sie arbeitete mit Unterdruck am Euter, was sich nicht bewährte.
1917 brachte der schwedische Ingenieur Gustav de Laval zusammen mit einem Partner den «De Laval Milker» auf den Markt. Das Gerät war die erste Melkmaschine mit einem pulsierenden Vakuum.
Um 1930 gab es in der Schweiz rund 50 Melkanlagen, wie die Zeitschrift «Landtechnik Schweiz» schreibt. Doch so richtig boomten die Maschinen erst ab Mitte der 1950er-Jahre.
1992 stellte die Firma Lely ihren ersten Melkroboter vor. Es dauerte nochmals sieben Jahre, bis mit dem Lely Astronaut A2 der erste Roboter in der Schweiz installiert wurde. Heute Melken rund zehn Prozent aller Milchviehbetriebe mit Robotern, Tendenz steigend.
Betriebsspiegel Hof Bieri
Roman Bieri, Untersiggenthal AG, im Rahmen der Tierhaltergemeinschaft zusammen mit Sandro Märki
Kulturen: Mais, Raps, Zuckerrüben, Winterweizen
Tierbestand: 70 Milchkühe, 40 Mastkälber
Weitere Betriebszweige: Stromproduktion, Pensionsstall für 30 Pferde
Arbeitskräfte: Die beiden Betriebsleiter sowie drei Vollzeit- und eine Teilzeit-Arbeitskraft