Schönstes niederschlagsfreies Frühjahrswetter herrschte Mitte Februar, mit zwar kalten Nächten, aber warmen und sonnigen Tagen. Die Böden waren nicht gefroren, und auch nicht wassergesättigt. Sehr viele Bauern schweizweit nutzten die Gelegenheit, um auf die schon kurz vor dem Austrieb stehende Vegetation Gülle auszubringen. Auch im Kanton Aargau, in der Innerschweiz und im Kanton Luzern.

Anzeigen mit Folgen

Gleich mehrere Luzerner Bauern erlebten aber danach eine böse Überraschung: Sie wurden verzeigt und es erging ein Straf­befehl wegen Widerhandlung gegen das Gewässer- und das Umweltschutzgesetz. In einem Fall gab es  sogar eine zweifache Strafe: Gegen den Bauern wegen Anstiftung zur Widerhandlung, weil er einen Angestellten zum Güllen beauftragt hatte und gegen jenen Angestellten selber wegen Widerhandlung.

Und das Strafmass fiel nicht zu knapp aus: Bussen von gegen 4000 Franken, dazu noch Gebühren und Auslagen werden mit dem Strafbefehl angedroht. Zusätzlich sind  bei einer Verurteilung Kürzungen bei den Direktzahlungen zu befürchten.

Rechtsdienst rät zu Einsprache

Wen wunderts, dass sich die Betroffenen die Augen zweimal rieben, und  an den landwirtschaftlichen Rechtsdienst des Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverbands (LBV) gelangten. Wegen der "unklaren Rechtslage und unverhältnismässigen Praxis der Luzerner Verfolgungsbehörden" rät dieser zur Einsprache und unterstützt die Betroffenen.

Die Staatsanwaltschaft zeigt sich vorderhand uneinsichtig. So bleibt den Beschuldigten nur der Gang ans Gericht. Dies sei im Einzelfall angezeigt, denn es müssten zwingend grundsätzliche Fragen zum Güllen im Frühjahr geklärt werden, findet Rechtsberater Raphael Kottmann vom LBV.  

Wann darf gegüllt werden?

Die Anzeigen und Strafbefehle wurden damit begründet, dass stickstoffhaltige Hofdünger während der Vegetationsruhe ausgetragen wurden. So hätten die Wettermess-Stationen von Agrometeo in der Region aufgezeigt, dass während dieser Tage die Durchschnittstemperatur deutlich unter fünf Grad lag und damit Vegetationsruhe herrschte. Und während dieser dürfe eben keine Gülle ausgetragen werden, weil die Pflanzen den Stickstoff nicht genügend aufnehmen könnten.

Kalte Nächte, warme Tage

Tatsächlich waren in den Tagen um den 15. Februar die Nächte kalt, bei der Messstation Oberkirch beispielsweise nachts gar unter dem Gefrierpunkt mit -3 Grad C. Tagsüber aber war es sonnig und warm mit Maximaltemperaturen von 12 bis 15 Grad C. Als Durchschnittstemperaturen wurden 2 bis 3 Grad C gemessen. Nur schon wenige Tage später lag der Durchschnitt deutlich über 5 Grad C, weil die Nächte weniger kalt waren.

 

Keine Anzeigen in AG und SZ

Im Kanton Schwyz seien keine Klagen wegen zu frühem Güllen im Februar eingegangen, sagt Armin Meyer vom Amt für Landwirtschaft. Das Abstützen auf die "7-Tage-5-Grad-Regel» sei aufgrund der damaligen Witterungsbedingungen wohl sehr spitzfindig und wohl auch sachlich falsch, findet Meyer. Denn die Vegetation sei in dieser Zeit in der Tat schon sichtbar gewachsen, und damit waren auch die Pflanzen aufnahmefähig für Stickstoffdünger. Bei Anfragen zum Güllen bei Tauwetter werde auf die pragmatische «Schraubenzieher-Regel" hingewiesen. Wenn ein mittelgrosser Schraubenzieher sich nicht mehr mit der flachen Hand in den Boden stossen lasse, gelte der Boden als gefroren.
Auch im Aargau kam es zu keinen Anzeigen, weiss Andreas Distel vom LZ Liebegg. Bei den Beurteilungen stütze man sich auf das geltende ­kantonale Merkblatt, dieses lasse auch Ausnahmen von der "7-Tage-5-Grad-Regel" zu. js

 

Wo liegt das Problem?

Aufgrund eines Bundesgerichtsurteils von 2013 wurde erkannt, dass bei Tagestemperaturen unter 5 Grad C die Pflanzen keinen Nährstoff aufnehmen könnten. Auf diesen Einzelfallentscheid stützen sich seither die Empfehlungen in kantonalen Merkblättern zum Ausbringen von Hofdüngern.

Raphael Kottmann betont, dass sich die Rechtsanwendung auf den Einzelfall zu beziehen habe und die konkreten Verhältnisse relevant seien. Einzelne Aussagen aus einem Bundesgerichtsurteil zu isolieren und telquel auf sämtliche Sachverhalte anzuwenden, sei nicht zulässig. "Eine juristisch und agronomisch  korrekte Gesetzesauslegung ist wichtig", betont Kottmann. Insbesondere, weil es sich um eine Verordnungsbestimmung handle, die "7-Tage-5-Grad-Regel" sich im Gesetz nicht finde und sowohl das Gesetz wie auch das höchste Gericht den Vor­behalt der besonderen Bedürfnisse des Pflanzenbaus anbrächten.

Kottmann stellt zudem eine teils massive Erhöhung der angedrohten Strafen fest. "Diese sind in Anbetracht des Verschuldens massiv überrissen." Dem hält aber  Simon Kopp, Mediensprecher der Luzerner Staatsanwaltschaft, entgegen: "Interne Abklärungen haben ergeben, dass wir keine Verschärfung der Strafen hatten."

 

Merkblatt Aargau ermöglicht Ausnahmen

Gemäss "Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung" dürfen stickstoffhaltige Dünger nur zu Zeiten ausgebracht werden, in denen die Pflanzen den Stickstoff aufnehmen können. Erfordern besondere Bedürfnisse des Pflanzenbaus ausserhalb dieser Zeiten dennoch eine Düngung, so dürfen solche Dünger nur ausgebracht werden, wenn keine Beeinträchtigung der Gewässer zu befürchten ist.
Klar verboten ist Gülle auf schneebedeckten, gefrorenen oder wassergesättigten Boden. Dabei gibt es keine Ausnahmen.
Differenziert beurteilt werden aber die Kriterien "Nährstoffaufnahme möglich" und "besondere Bedürfnisse des Pflanzenbaus", zumindest im Aargauer Merkblatt "Umgang mit Hof- und Recyclingdüngern während der Vegetationsruhe". Auch darin wird zwar auf die 7-Tage- 5-Grad-Regel abgestützt, aber nicht nur. Zusätzlich wird beurteilt, ob Wiesen, Raps oder Wintergetreide kurz vor Vegetationsbeginn stehen. Oder ob aufgrund geeigneter Befahrbarkeit des Bodens Verdichtungsschäden kurz vor Vegetationsbeginn vermieden werden können. Oder ob es sich um einen frühzeitigen Einsatz organischer Dünger vor dem Weidegang handelt.
Kann eines dieser Kriterien bejaht werden, so gilt dies als Bedürfnis der Pflanzen und unter einigen klar definierten Bedingungen ist auch ein Gülleaustrag in beschränkter Menge möglich.  js