Molke ist mehr als ein Nebenprodukt der Käseherstellung. Sie ist ein richtiger Tausendsassa, was die Einsatz- und Anwendungsmöglichkeiten angeht. Paul Tanner und Werner Reutegger wissen um dieses Potenzial. Ihre Firma, die Ciaras AG mit Sitz im sankt-gallischen Gossau, stellt Reinigungsmittel und Pflegeprodukte auf Molkebasis her. Das Spezielle daran ist, dass die Molke nicht pulverisiert, sondern naturbelassen verarbeitet wird.
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Einzigartiges Know-how
15 Jahre ist es her, dass Landwirt Werner Reutegger und Informatiker Paul Tanner mit Stephan Geissler, Chemiker aus Deutschland, in Kontakt kamen. Ihm war es gelungen, Molke in ihrer flüssigen Form ohne Zusatzstoffe zu stabilisieren und daraus Tiershampoo herzustellen. Geissler wollte seine Produkte auch auf den Schweizer Markt bringen. «Uns war von Anfang an klar, dass es noch viele weitere Einsatzmöglichkeiten gibt», erzählt Tanner. Sie gründeten die Ciaras AG. Geissler stieg nach etwa zehn Jahren auf eigenen Wunsch aus und liess sich auszahlen.
Der Tüftelei von Tanner und Reutegger tat dies keinen Abbruch. Seit 2008 brachten sie mit der Ciaras AG verschiedene Produkte auf den Markt. Darunter Seifen, Waschmittel und Reinigungsmittel.
«Wir haben unsere Palette stetig weiterentwickelt mit dem Ziel, irgendwann mit Reinigungsprodukten im Industriebereich Fuss fassen zu können.»
Paul Tanner zur Vision der Ciaras AG
Der Durchbruch blieb zunächst aber aus. «Wir hatten die falschen Leute im Team», sagt Reutegger rückblickend. «Jahrelang wurde argumentiert, das komme dann schon zum Laufen, aber aktiv gemacht wurde nichts.» Irgendwann sei für ihn der Tag X gekommen, wo es Änderungen in der Organisation benötigte. Man trennte sich von zwei Personen und fing noch mal neu an, aber nicht bei null.
Das war vor drei Jahren. Tanner hält fest: «Eine gute Idee alleine reicht nicht, um Erfolg zu haben. Man muss auch Beweise erbringen.» Das heutige Team der Ciaras AG besteht aus sieben Personen, die alle nebenberuflich für die Firma arbeiten, inklusive den beiden Gründern Tanner und Reutegger.
In Zahlen
30'000 Liter Molke von
2 Käsereien verarbeitet die Ciaras AG jährlich zu
37'500 Litern Pflege- und Reinigungsprodukten.
18 verschiedene Produkte gibt es bereits.
7 Mitarbeiter zählt das Unternehmen aus Gossau.
Neustart mit neuer Marke «Clappt»
2021 fiel der Startschuss für die lange gehegte Vision, Reinigungsmittel zertifiziert nachhaltig aus Molke herzustellen. Der erste Schritt nach der Produktentwicklung war die Zertifizierung durch das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) und «Cradle to Cradle». Paul Tanner erklärt: «Wir mussten dafür die Produkte fast neu entwickeln.» Eine Herausforderung stellte die Neutralisation des Molkegeschmacks mit einem Parfüm dar, welches auch höchste Nachhaltigkeitsstandards erfüllt. «Wir mussten neue Komponenten finden und andere wieder austauschen», schildert Reutegger.
Im Zuge dieses Neustarts entstand die Marke «Clappt» mit der Zielgruppe Industrie und Landwirtschaft. Seit 2022 sind die Reinigungsmittel beim FiBL gelistet, des Weiteren tragen die Produkte die Labels Swissmade und «Cradle to Cradle Gold». Letzteres ist ein Zertifikat für eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft, das in Europa stark verbreitet ist und die Unternehmen auch in die soziale Verantwortung nimmt. So spendet die Ciaras AG ein Prozent des jährlichen Umsatzes an gemeinnützige Organisationen.
Produktion auf Bestellung
[IMG 4]Die Produktionsstätte der Ciaras AG befindet sich in Gossau SG. Wenn eine Charge produziert wird, holen Mitarbeiter der Firma die bestellte Molke frisch beim Käser ab. In Gossau werden verschiedene Anwendungen gemacht, so dass die Molke in ihrer flüssigen Form und ohne Zusatzstoffe stabilisiert wird. So bleiben die Enzyme erhalten, die für die Reinigung essenziell sind. Dieser Prozess dauert ca. zehn Tage und ist das grosse Geschäftsgeheimnis der Ciaras AG. «Ausser uns ist das noch niemandem gelungen», sagt Paul Tanner stolz.
Im Moment wird unregelmässig produziert. Es gib Wochen, in denen jeden Tag jemand in der Produktion ist, und dann wieder Phasen, in denen nur einmal in der Woche produziert wird. Nach der Stabilisierung wird die Molke mit den weiteren Komponenten in Tanks à 1000 Liter angemischt. Von der Anlieferung bis zum fertigen Produkt dauert es mehrere Wochen. «Wir brauchen ein Startvolumen von 10'000 Litern», sagt Tanner. Wenn die Molke erst einmal stabilisiert ist, sei sie unendlich lange haltbar. Im Moment verarbeitet die Ciaras AG rund 30'000 Liter Molke pro Jahr. «Wir könnten aber weit mehr machen», hält Werner Reutegger fest. «Die Kapazitäten hätten wir.» Und Käsereien gibt es in der Ostschweiz bekanntlich auch mehr als genug. Am Rohstoff wird es also nicht fehlen. Mittlerweile werden unter der Marke «Clappt» folgendeProdukte hergestellt:
- Fahrzeugreiniger
- Bodenreiniger
- Agrar-Reiniger
- Fensterreiniger
- Industrie-Schaumreiniger
- Sanitärreiniger
- Strassenreiniger
- Universalreiniger
Die Molke kommt von einer Handvoll Käsereien aus dem Appenzellerland. Landwirt Werner Reutegger sagt: «Die Nähe garantiert uns, dass wir frische Molke von einwandfreier Qualität haben.» Für ihn kommt nicht infrage, Molke von irgendwoher nach Gossau zu transportieren. Die Kreislaufwirtschaft sei ein zentraler Pfeiler ihres Geschäftsmodells, ergänzt er, wozu er auch die Regionalität zählt. «Das Interesse vonseiten der Käsereien wäre riesig», weiss Reutegger. «Womöglich, weil wir einen anständigen Preis für die Molke bezahlen.»
Beleg aus der Praxis erbracht
Paul Tanner und Werner Reutegger können den Beweis erbringen, dass ihre Produkte auch praxistauglich sind. Langjähriger Schweizer Kunde der Ciaras AG ist beispielsweise das Bündner Transportunternehmen Cavegn AG, das in der Lebensmittellogistik tätig ist. Nun möchten sie noch stärker in der Landwirtschaft Fuss fassen. Das grösste Potenzial sehen sie in der Stallreinigung, z. B. bei Legehennenställen, aber auch bei der Reinigung von Maschinen oder Photovoltaikanlagen.
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Tanner hebt hervor: «Unsere Produkte sind zu 100 Prozent biologisch abbaubar. Man braucht keine Schutzkleidung und muss beim Schmutzwasser keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt befürchten.» Reutegger nennt einen weiteren Pluspunkt: «Wir verarbeiten ein Nebenprodukt, das sonst entsorgt würde.» Angesprochen auf den Preis sagt er: «Wir sind etwa gleich teuer wie andere Verkäufer, aber unsere Produkte haben wesentliche Vorteile gegenüber anderen Produkten.»
Übernahmeangebote von chinesischen Investoren
Der Weg von der Firmengründung bis heute war kostspielig und zeitweise ein Auf und Ab.
«Wir dachten anfangs, das wird ein Selbstläufer, mussten uns dann aber eingestehen, dass dem nicht so ist.»
Werner Reutegger zur Dauer bis zum Durchbruch
Vor zehn Jahren seien Nachhaltigkeit, CO2-Neutralität oder Kreislaufwirtschaft noch nicht so im Trend gewesen wie heute. «Wir haben ein paar Mal ans Aufhören gedacht. Aber wir waren immer vom Produkt überzeugt», sagt Paul Tanner.
Übernahmeangebote habe es einige gegeben, berichtet Tanner, auch von chinesischen Investoren. Doch sie stiegen nicht darauf ein, im Wissen, dass sie als kleine Firma nicht mehr überlebensfähig sind, wenn sie ihr Know-how verkaufen würden. Auf die Frage, ob sie sich als Visionäre sehen, antwortet Tanner: «Ein Stück weit schon. Man muss Ideen haben und diese dann aber auch umsetzen.» Und sein Kollege Reutegger ergänzt: «Aufgeben tut man einen Brief, aber keine Projekte.»