«Maschinen klagen an» heisst es Ende 1958 in einem «Exklusivbericht» in der Zeitschrift «Der Traktor», die heute «Landtechnik Schweiz» heisst. Informiert wurde darin über einen «sensationellen Prozess», der im «Verlaufe des Monats September 1958 irgendwo im Schweizerland» stattgefunden habe, weil landwirtschaftliche Maschinen ihre Besitzer vor Gericht zogen.
Den Traktor vernachlässigt
Im Zentrum des Konflikts stand ein Traktor, der eine «regelrechte Revolution» auslöste, weil er «von seinem Besitzer malträtiert und vernachlässigt» worden sei. Nur dank dem «mutigen und geschickten Auftreten eines Maschineningenieurs», heisst es im «Exklusivbericht» weiter, sei es gelungen, «einen allgemeinen Streik der Landmaschinen» zu verhindern.
Der Maschineningenieur schlug den erzürnten Landmaschinen nämlich vor, anstatt zu streiken den Sachverhalt vor Gericht zu klären und anschliessend die Arbeitsbedingungen in einem Kollektivvertrag verbindlich zu regeln.
Vor Gericht gezogen
In der von den Landmaschinen verfassten Klageschrift hiess es, dass sie schlecht gepflegt, nicht repariert, überbeansprucht und unwürdig «einlogiert» würden. Deshalb verlangten sie «eine strenge, exemplarische Bestrafung» ihrer Besitzer und die «Erteilung voller Satisfaktion in Form einer angemessenen Entschädigung».
Im Prozess traten Dutzende Zeugen auf. Vom Traktor über Eggen bis zu Güllepumpen und Sämaschinen berichteten alle eloquent und empört über ihrer Vernachlässigung durch die beklagten Bauern.
Deren Verteidiger argumentierte, die Angeklagten hätten nicht vorsätzlich gehandelt, sondern seien Opfer «der Zeitnot» geworden; sie würden, wie alle Menschen in den 1950er-Jahren, unter der neuen, bisher unbekannten Krankheit der Zeitnot leiden. Die Bauern seien von der Entwicklung des Maschinen- und Motorenwesens in den 1940er/1950er-Jahren ebenso überrumpelt worden wie die Lehrer an den landwirtschaftlichen Schulen und die Professoren an der ETH in Zürich. Denen sei es nicht gelungen, das für die Landwirtschaftslehrer bestimmte Lehrprogramm den gänzlich veränderten Bedürfnissen der Nachkriegszeit anzupassen.
Ab in den Kurs
Das Gericht sprach die Beklagten frei, weil keine vorsätzliche Handlungsweise vorliege. Aber gleichzeitig verfügte der Einzelrichter, dass die beklagten Bauern im kommenden Winter einen Kurs über Pflege und Unterhalt der Landmaschinen zu besuchen hatten.
Zudem mussten sie die künftigen Arbeitsbedingungen in einem durch den Schweizerischen Landmaschinen-Verband und den Schweizerischen Traktorenverband auszuarbeitenden kollektiven Arbeitsvertrag regeln. Die Kosten des Prozesses übertrug das Gericht dem Staat, weil dieser seine Verpflichtungen in Sachen Maschinen- und Motorenkunde sowohl an den landwirtschaftlichen Schulen als auch an der ETH vernachlässigt habe.
Verantwortung des Staates
Der Bericht über den fiktiven Prozess hat bei der Leserschaft des «Traktors» im ersten Moment vermutlich Stirnrunzeln oder ein Schmunzeln ausgelöst. Aber neu war das Bestreben, nichtmenschlichen Akteuren zu einer Stimme zu verhelfen, nicht.
Die Fähigkeit, Gedanken und Überlegungen mündlich oder schriftlich zu äussern, wurde im landwirtschaftlichen Publikationswesen schon lange zuvor auch Tieren, Äckern und Pflanzen zugeschrieben. So erschien 1956 im Informationsblatt der eidgenössischen Alkoholverwaltung der Artikel «Ein Apfelbaum erzählt», in dem dieser über den Segen berichtet, den die Ersetzung des alten Streuobstbaus durch das Anlegen von Tafelobstanlagen aus seiner Sicht bewirkte. Er sei unendlich froh, liess der junge, aus der Baumschule stammende Gravensteinerbaum die Leserschaft wissen, dass er nicht in einem Altersasyl wachsen müsse. Dort würden seine Nachbarn von Parasiten und Schädlingen geplagt; er könne in einer Tafelobstanlage produzieren, in der die Bäume nach den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen gedüngt, geschnitten und gespritzt würden.
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Von Menschen verfasst
So authentisch die Berichte von Maschinen, Tieren und Pflanzen auch wirkten, verfasst wurden sie immer von Menschen, die nach Wegen suchten, mit ihren Aussagen eine besondere Wirkung zu erzielen. Das gilt auch für die schon vor hundert Jahren viehlos wirtschaftende Bäuerin Mina Hofstetter, die in den 1920er-Jahren einen ihrer Äcker erzählen liess, was ihre Nachbarn angeblich über die landwirtschaftliche Praxis in der Lehrstätte für biologischen Landbau am Greifensee dachten.