Es ist morgens um 6.30 Uhr. Die 56 Kühe von Frank Amstutz aus Mont-Tramelan BE sind in den Camions verladen und es kann losgehen: Gut zwei Stunden dauert die Fahrt vom Berner Jura nach Lauterbrunnen ins Berner Oberland. Von hier aus geht es dann zu Fuss weiter: Dreizehn Kilometer dauert der Fussmarsch von Lauterbrunnen über Wengen auf die Wengernalp auf 1870 m ü. M. Die Alp liegt am Südhang der Kleinen Scheidegg, im Jungfrau-Gebiet. Hier findet im Winter das legendäre Lauberhornrennen statt, im Sommer grasen hier oben die Kühe. Und zum ersten Mal sind es die Kühe der Familie Amstutz.
Den Zuschlag im November
«Letzten November bekam ich den Zuschlag für die Alp», sagt Frank Amstutz. Nicht nur für seine Kühe ist das Älplerleben neu, auch für ihn wird es der erste Alpsommer sein. «Ich habe immer davon geträumt und als die Wengernalp ausgeschrieben war, zögerte ich nicht lange». Der dreifache Familienvater wird dabei unterstützt von seiner Familie: Der älteste Sohn, der 20-jährige Marc, sieht während der Alpzeit auf dem Talbetrieb zum Rechten. Auch für die Wintervorräte wird er besorgt sein. Die anderen zwei Kinder werden ihren Vater so oft es geht auf der Alp unterstützen. Nur der 62-jährige Käser Ernst, Monika und Frank Amstutz werden immer hier oben sein. Viel Besuch und gern gesehene Helfer(innen) hätten sich aber schon angekündigt.
Richtige Freudentränen
«Ich freue mich auf diese Herausforderung», sagt der Landwirt. «Beim Alpaufzug hatte ich richtige Freudentränen, aber auch Respekt vor der grossen Verantwortung». Auf der Wengernalp, die um die 600 Hektaren gross ist, gibt es drei Senntümer. Auf zweien wird gekäst und auf der dritten Sennte sind Mutterkühe und Rinder untergebracht. Jedes Senntum ist eigenständig, vom Käsen bis zum Zäunen. «Wenn Not am Manne ist oder wir Hilfe benötigen, werden wir uns sicher gegenseitig unterstützen», sagt Amstutz. Und: «Ich wünsche mir natürlich, dass wir ein gutes Verhältnis untereinander haben.»
Mit Treicheln und Blumen
Endlich treffen die Camions mit den Kühen in Lauterbrunnen ein. Nach dem Ausladen werden die Tiere aufs Gröbste gewaschen, ihnen die Treichel und der Blumenschmuck umgehängt. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung unter den Helfern, für viele ist es der erste Alpaufzug, den sie mitmachen. Nicht weit entfernt, liegt die bekannte Kleine-Scheidegg-Bahn. «Soll man nicht gleich sie nehmen, im Falle das man die13 Kilometer Fussmarsch nicht schaffen würde?», fragt man sich gegenseitig. Denn der steile Weg, Richtung Wengen führt im Zickzack durch den Wald. Gut eine Stunde Fussmarsch und über 400 Höhemeter müssen hier schon mal bewältigt werden, bevor es dann weiter geht Richtung Wengernalp.
Nikita geht voran
Endlich ist man startklar: Die ersten Kühe werden von ihren Halftern gelöst. Sofort macht sich die Leitkuh, die zehnjährige Nikita, mit ihrer 13er-Treichel um den Hals, an die Spitze des Zuges. Mit stolzen Schritten schreitet sie voran, die anderen Kühe hinterher. Immer nach fünf bis acht Kühen kommt ein Treiber. Der Weg führt durch enge Gassen, an schönen Gärten vorbei. Langsam lässt der Zügelzug das Dorf Lauterbrunnen hinter sich. Der Pfad wird steiler, die Tiere laufen gemächlicher. Es scheint fast so, dass sie ihre Kraft einteilen wollten. Auch die Helferinnen atmen schwerer, der steile Aufstieg nach Wengen verlangt einiges ab. Der einsetzende Regen lässt die Kühe dampfen, kleine Nebelschaden steigen dem Himmel empor. Der Chüjerzug zieht sich langsam in die Länge. Die meisten Tiere halten gut Schritt, andere spornt man an. Überall hört man ein «Hü», «Hopp» oder «Chum».
Nach gut einer Stunde wird Wengen endlich erreicht. Ein paar Schaulustige bleiben am Strassenrand stehen, zücken ihre Handys oder winken einem zu. «Von wo seid ihr?,» fragt ein Einheimischer. «Was vom Jura? Schön, dass ihr kommt. Hier gibt es leider fast keine Kühe mehr. Wir sind froh, werden die Alpen noch bestossen, sonst würden sie verganden.»
Vier Kühe per Transport
Der gröbste Teil ist geschafft, der Weg wird gemütlicher. Trotzdem liegen noch fast zwei Stunden Fussmarsch vor uns. Für vier Kühe ist Wengen Endstation, sie wollen nicht mehr. Per Viehbänne werden sie auf die Alp transportiert. Für die Anderen geht es weiter, endlich gönnt man den Tieren und Helfern eine Pause. Die Kühe beginnen sofort zu grasen.
Wetter spielte nicht mit
Langsam beginnt es wieder zu regnen, der Nebel umhüllt die Bergkulisse, keine Spur vom schönen Alpenpanorama. Nun geht es durch den Wald, die Kühe laufen zügiger, schön tönt das Treichelgeläut. Die Tiere sind es gewohnt zu laufen, auch auf dem Heimbetrieb im Jura sind sie Tag und Nacht auf der Weide. Dies soll auch auf der Wengernalp nicht anders sein. Im Stall werde hier oben nur gemolken, die restliche Zeit verbringen die Kühe draussen. Die Weiden sind gross, sie grenzen bis an den Fuss von Eiger, Mönch und Jungfrau. Frank Amstutz bewirtschaftet hier auf dem Berg drei Staffeln. Die unterste, die Mettlen, steuern wir mit dem Zügelzug jetzt an. Hier wird nur gemolken, gekäst und gewohnt wird nur auf der Mittelstaffel, unterhalb der Bahnstation Wengernalp.
Die Hütte hier ist neu und grosszügig eingerichtet. Sie beherbergt eine abgeschlossene Käserei, mit einer grossen Küche. Ein Badezimmer und verschiedene Kammern gehören dazu. Nur ein Zwischengang trennt den Wohnbereich vom Stall. Auf allen drei Staffeln wird mit einer Rohrmelkanlage und sechs Aggregaten gemolken. Auf zwei Staffeln ist Strom vorhanden, auf der dritten sorgt ein Generator für die nötige Elektrizität. Per Tank wird die Milch jeweils zum Käsen auf die Mittelstaffel transportiert.
Fast am Ziel
Nun kommt man dem Ziel näher, die Hütte ist in Sicht. Gegen halb drei Uhr wird Mettlen endlich erreicht. Hier verbringen die Kühe vorerst zwei Wochen, bevor es dann weiter geht. Bis Mitte September dauert hier oben der Alpsommer, gegen 100 Tage sollen es sein. Gekäst wird mit Dampf, durch Holz erzeugt. Die Milch wird zu Berner Alpkäse, Raclettekäse, Mutschli und zu einer «eigenen Kreation» verarbeitet. Während der Alpzeit werden die Alpprodukte an Passanten bei der Hütte verkauft. Das für das Käsen benötige Brennholz muss vom Bewirtschafter selber geschlagen werden, hier oben gibt es genug davon. Viele Tannen haben die Bergstürme nicht überlebt, liegen am Boden herum und warten darauf, verarbeitet zu werden.
Schon eine Woche hier
Es gibt den Sommer hindurch also viel zu tun: Neben den Tieren müssen auch der Käse gepflegt und die Zäune instand gestellt werden. «Der Hauptzaun steht schon, der wurde von der Alpgenossenschaft erstellt», sagt Frank Amstutz. Frank Amstutz, Monika und der Käser Ernst sind nun schon seit einer Woche auf der Wengernalp und der erste Käse ist gemacht. «Obwohl das Wetter am Anfang noch nicht mitspielte, haben wir uns sehr gut eingelebt», lautet der Kommentar. Auch bei den Kühen gebe es keine Probleme und das Melken und das Käsen funktionierten gut. Schon vom ersten Tag an seien die Kühe gerne in den neuen Stall gegangen. «Fast noch lieber als zu Hause», sagt der Landwirt lachend. Werden er und seine Kühe den ersten Alpsommer wohl packen? Die BauernZeitung bleibt dran, ein Besuch im Sommer wird es zeigen. Wer den emsigen Bauern kennt, weiss, dass Frank Amstutz es meistern wird. Wenn ja, wird er bestimmt auch nächstes Jahr wieder mit seinen Kühen auf der Wengernalp anzutreffen sein.