Beinahe hätten sie die altehrwürdigen Sandsteinfassaden der Berner Altstadt zum Beben gebracht: Am 27. November 2015 zogen über zehntausend Bauern und Bäuerinnen mit Glocken, Fahnen und Transparenten vom Bärengraben auf den Bundesplatz. Sie demonstrierten gegen geplante Direktzahlungskürzungen für das Jahr 2016 und eine Kürzung des Zahlungsrahmens für die Periode 2018–2021. Nach einem Hin und Her zwischen den beiden Räten wurden die Direktzahlungen für das Jahr 2016 nicht gekürzt. Und beim Zahlungsrahmen fielen die Kürzungen kleiner aus als vorgeschlagen.
Proteste haben Hochkonjunktur
Vier Jahre später haben Bauerndemonstrationen Hochkonjunktur. Im Oktober eskalierten Bauerndemonstrationen in Holland teilweise. Gleichzeitig formierte sich in Deutschland die Bewegung «Land schafft Verbindung». Kurze Zeit später folgen erste Demos gegen das Agrarpaket und das Bauern-Bashing in den Medien und den Sozialen Netzwerken. Der Höhepunkt folgte am 26. November: Mit 5600 Traktoren und ordentlich Wut im Bauch fuhren die Bauern nach Berlin. Was haben sie erreicht? Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte Forderungen nach einem Kurswechsel in der Agrarpolitik ab, sagte aber, sie verstehe den Unmut der Landwirte. Anfang dieser Woche sicherte sie ihnen dann einen Einbezug zu.
Gewisse Zusicherungen in Frankreich
Nur wenige Tage nach der Grossdemo in Berlin rollten in Frankreich mehr als 1000 Traktoren nach Paris. Die Bauern demonstrierten gegen ihre Arbeitsbedingungen, die Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten und Kanada und eine feindselige Einstellung in Teilen der Bevölkerung. Schliesslich bat Landwirtschaftsminister Didier Guillaume eine Delegation zum Gespräch und äusserte Verständnis. Er machte gewisse Zusicherungen im Bereich Distanzregelungen für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln.
In Bern demonstrieren Weinbauern
Deutlich kleiner fiel diesen Montag die Demo von rund 200 Westschweizer Weinbauern in Bern aus. Etwas haben sie schon erreicht: Wirtschaftsminister Guy Parmelin will sie empfangen. Es zeigt sich: Bauerndemos können einen gewissen politischen Effekt erzielen.
Eine Wirkung nach innen
Demonstrationen haben auch eine Wirkung auf die Protestierenden selber. Wer demonstriert, weiss, dass man etwas getan hat. Man ist auf die Strasse gegangen und hat sich für seine Forderungen eingesetzt. Das ist ein gutes Gefühl. Gleichzeitig fühlt man sich gemeinsam stark.
Die Medien sind entscheidend
Entscheidend für den Erfolg einer Demo ist, was die Medien daraus machen. Sie berichten gerne über Demonstrationen, denn diese liefern Emotionen und starke Bilder. Nicht immer aber stehen die Argumente oder die Forderungen dabei im Vordergrund. Das Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin hat 2017 eine Studie über die Berichterstattung über Grossdemonstrationen verfasst. Obwohl alle der untersuchten Medien die Demonstrationen nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima positiv bewerteten, setzte sich kein Medium mit den Argumenten der Teilnehmer auseinander.
Konflikte statt Anliegen im Fokus
Beim G8-Gipfel in Heiligendamm (D) 2007 ging es in der Berichterstattung fast ausschliesslich um Konflikte mit der Polizei statt um Hintergründe. Die Demonstrationen gegen das Freihandelsabkommen TTIP bekamen wiederum zwar wenig Aufmerksamkeit, dafür setzten sich die Journalisten am intensivsten mit ihren Forderungen auseinander. Laut den Forschern ist es hilfreich, wenn Demonstranten ein Thema aufgreifen, dass in aktuellen gesellschaftlichen und politischen Debatten vorkommt. Das spricht für einen gewissen Erfolg der Klimademos, denn das Thema ist derzeit in aller Munde. Das hat auch der Grünrutsch bei den Wahlen gezeigt. Die Studie zeigte ferner, dass Proteste von etablierten, ressourcenstarken Organisationen positiver wahrgenommen würden, während «randständige Gruppen» kaum Aussicht auf Beachtung hätten. Der politisch gut vernetzte und schlagkräftige Schweizer Bauernverband müsste es also leichter haben als kleine Gruppen.
Besser in direktem Kontakt mit Konsumenten
Es bleibt die Frage, was Demonstrationen gegen die zunehmende Entfremdung zwischen den Bauern und den Konsumentinnen bringen, denn dagegen haben die Landwirte in Berlin und Paris auch protestiert. Vermutlich helfen hier persönliche Gespräche oder die Teilnahme an Veranstaltungen wie «Offene Stalltüren» oder «Vo Puur zu Puur» mehr als das Schwenken eines Transparents. Aktuell scheint eine Fahrt mit dem Traktor nach Bern wenig Sinn zu machen. Wichtiger ist jetzt der Abstimmungskampf bei den Initiativen, die die Landwirtschaft ganz unmittelbar betreffen. Und das eine oder andere erklärende Gespräch mit Stimmbürger(innen).