Im Stall von Jasmin und Christian Albrecht im zürcherischen Bubikon stand bis Juli 2020 die älteste Braunviehkuh der Schweiz. Sie hiess Kenia, wurde 23,5 Jahre alt und kam auf eine Lebensleistung von über 175 000 Kilogramm Milch. Insgesamt drei 125 000er-Kühe und sechs 100 000er-Kühe standen in Albrechts Laufstall. Dieser soll nun durch einen Neubau nach den BTS- und RAUS-Normen erweitert werden. Er ist angelegt auf zusätzlich 70 Grossvieheinheiten in den Sparten Mast und Milchwirtschaft. «Jede Generation muss etwas unternehmen, damit sie nicht den Anschluss verliert», sagt Christian Albrecht, der den Hof in siebter Generation bewirtschaftet.
Futtergrundlage gefährdet
Christian Albrechts Bauprojekt wurde im September 2020 bewilligt. Dennoch steht es plötzlich auf wackligen Füssen. Am 4. Dezember wurde Albrecht darüber informiert, dass die SBB entlang der Bahngleise zwischen Wetzikon und Bubikon eine Abstell- und Serviceanlage planen. Dies auf einer Fläche von rund acht Hektaren. Bei einer Realisierung dieses Projekts wäre auch Christian Albrecht betroffen. Sechs Hektaren Anbaufläche gingen ihm verloren. Das entspricht der Futtergrundlage für 18 Grossvieheinheiten. Die neue Scheune würde zu einem Viertel leer stehen, was für ihn ein «betriebswirtschaftlicher Supergau» wäre.Jasmin und Christian Albrecht sind nicht die einzigen Landwirte, die von diesem Projekt betroffen wären: So würde etwa auch die Hauptbetriebsfläche des bekannten Demeter-Landwirts und Naturpädagogen Jürg Raths der geplanten Abstell- und Serviceanlagen zum Opfer fallen. Ein weiterer Landwirt sowie ein pensionierter Landwirt müssten Land hergeben.
Einer von drei geplanten Standorten
Die geplante Abstell- und Serviceanlage der SBB ist Bestandteil des Projektes «S-Bahn 2G». Mit der S-Bahn der zweiten Generation wollen die Planer des Zürcher Verkehrsverbunds ZVV und der SBB die Kapazitäten auf dem Zürcher Bahnnetz langfristig verdoppeln.
Das bedeutet laut Zürcher Verkehrsverbund, dass mehr Züge abgestellt, gereinigt und gewartet werden müssen.Neben den sieben bestehenden Abstell- und Serviceanlagen sind daher drei neue Standorte in Bubikon, Hombrechtikon sowie Eglisau/Glattfelden vorgesehen. Mit der Teilrevision 2020 sollen alle drei Standorte im kantonalen Richtplan festgelegt werden.
Die geplante Anlage in Bubikon umfasst zehn Abstellgleise mit einer Länge von insgesamt 4400 Metern Länge. Weiter sind eine Instandhaltungshalle mit fünf Stand plätzen zu 150 Metern sowie die dazu benötigten Voraufstellgleise vor der Halle geplant. Dazu kommt je ein Gleis mit Durchlaufreinigungsanlage und Entsorgungsanlage.
Das Projekt benachteiligt jedoch auch die Bewohner der Bubiker Weiler Brach, Wändhüslen und Fuchsbühl. Die Direktbetroffenen haben sich in der Interessengemeinschaft Pro Brach Fuchsbühl zusammengeschlossen. Auf ihrer Homepage halten sie fest:
- Die geplante Überbauung von einer Gesamtlänge von 4,4 Kilometern würde nicht nur das idyllische Landschaftsbild verschandeln, sondern auch Kulturland und Fruchtfolgefläche zunichtemachen.
- Das Projekt gefährdet biologisch-dynamisch bewirtschaftetes Obst- und Gemüsebauland, darunter 110 Hochstammbäume der Qualitätsstufe II.
- Diese sind als kommunaler Hochstammobstgarten geschützt.
- Betroffen wären zudem 1750 Quadratmeter Hecken mit lokalen Ökotypen und fruchttragenden Wildobstsorten sowie ein intaktes Wildwechselgebiet.
- In diesem sind auch Neuntöter und Gartenrotschwänze regelmässig zu Gast.
- Wildbienen, Ringelnattern, Fledermäuse oder seltene Gelbbauchunken würden ihren Lebensraum verlieren.
Ohne Rücksichtnahme auf Ortsbild
Reto Frey und seine Frau Annemarie gehören der IG Pro Brach Fuchsbühl an. Reto Frey ist in einer Bauernfamilie im Weiler Brach aufgewachsen. Weil der Hof zu klein war, musste er aufgegeben werden. Dennoch ist Frey dem Weiler treu geblieben. Zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern hat er an Ostern 2019 sein neu erbautes Einfamilienhaus bezogen. Ein Holzhaus, das sich mit seiner Architektur gut ins Ortsbild eingliedert. Die Baubewilligung dafür zu kriegen, war alles andere als einfach. Dies, weil die Brach eine Weilerkernzone der Gemeinde Bubikon ist. Bauten und Anlagen in dieser Zone haben sich gut in die charakteristische bäuerliche Siedlungsstruktur einzuordnen. Die Umsetzung dieser Vorgabe ist mit einer ganzen Reihe höchst detaillierter Vorschriften geregelt. «Rufen Sie uns an, bevor Sie mit der konkreten Planung beginnen», habe es auf der Gemeinde geheissen, als er sein Bauvorhaben ankündete, erinnert sich Frey. Andernfalls riskiere er, unnütz Geld für die Planung auszugeben. Frey kann es nicht nachvollziehen, dass in nur 30 Metern Entfernung von seinem Grundstück ein Industriekomplex entstehen soll, bei dessen Realisierung in keiner Weise auf das Ortsbild Rücksicht genommen wird.
Verlust an Wohnqualität
Dies bedeute einen totalen Verlust der Wohnqualität, sagt Frey und weist auf die zahlreichen Belastungen hin: zusätzlicher Verkehr auf Strasse und Schiene, Feinstaub, Lärm und Lichtemissionen Tag und Nacht. Dazu kommt, dass der Bundesrat erst im Mai des vergangenen Jahres den Grundsatz bekräftigte, dass Fruchtfolgeflächen erhalten werden müssen. Annemarie Frey kann es nicht verstehen, dass jetzt ausgerechnet ein Bundesbetrieb ein Projekt vorlegt, dass diesem Grundsatz widerspricht.
Widerstand auf allen Ebenen
Die Betroffenen weisen ausserdem darauf hin, dass das Projekt verschiedene Gebiete tangiert, die heute in einer Schutzzone liegen: Gewässerschutz mit Trinkwasserquelle der Gemeinde, Wildtierkorridore. Sie fragen sich, weshalb diese Schutzbestimmungen mit einem Mal keine Gültigkeit mehr haben sollen.
Sie stossen sich auch daran, dass die Bundesbahnen auf eigenem Land in der Stadt Zürich gewinnbringende Geschäfts- und Wohnüberbauungen erstellen und in der Folge für ihre Infrastrukturbauten Landwirtschaftsland zu tiefen Bodenpreisen enteignen.
Nicht zuletzt fragen sich die vier Anwohner, wie die SBB den zu erwartenden Mehrverkehr auf der eingleisigen Strecke zwischen Bubikon und Wetzikon bewältigen wollen. Denn auf dieser verkehren bereits jetzt zwei S-Bahnlinien in einem versetzten Halbstundentakt. Das bedeutet acht Durchfahrten pro Stunde. Der Bau eines zusätzlichen Gleises dürfte dort kaum möglich sein, da die Strecke durch eine Moorlandschaft von nationaler Bedeutung führt. Das legt zumindest ein Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 2012 nahe, der die Verlängerung der Oberlandautobahn durch dieses Gebiet verhinderte.
Widerstand auf allen Ebenen
Die IG Pro Brach Fuchsbühl wehrt sich auf allen Ebenen gegen das Projekt. Sie hat eine eigene Homepage erstellt und das Land, auf dem die Anlage entstehen soll, mit Fahnen markiert. Sie plant diverse Aktionen und Begehungen des Gebiets und hat Kontakt zu Politikern aller Couleur sowie zu Vertretern von Natur- und Landschaftsschutzorganisationen geknüpft. Sie sucht aber auch das Gespräch mit Vertretern der SBB.
Gegen die geplante Abstell- und Serviceanlage kämpft nicht nur die IG Pro Brach Fuchsbühl, sondern auch die Gemeinde Bubikon. Sie setzt sich dafür ein, dass die Anlage an einem anderen Standort erstellt wird, der für Umwelt und Anwohner besser verträglich ist. Und die SVP Bubikon hält den Kanton in einer Mitteilung an, den aktuell geplanten Standort aufzugeben und nach einer geeigneten Alternative zu suchen.
Einwendungen bis 31. März
Und das ist der aktuelle Stand der Planung: Der Bund hat das Projekt bewilligt und die Eingabe durch den Regierungsrat in den kantonalen Richtplan ist erfolgt. Bis zum 31. März sind Einwendungen möglich. Diese fliessen in einen Auswertungsbericht ein, der zusammen mit der überarbeiteten Vorlage von der Kantonsregierung und anschliessend auch vom Kantonsrat beraten wird.