Unser Sohn ist sauer. «Mama, du nervst!», entrüstet er sich bei einer Auseinandersetzung mit mir. Und weiter motzt er lautstark: «Ständig sagst du: Mach dies! Lass das sein! Zieh eine Jacke an! Vergiss den Velohelm nicht! Versorg jenes an seinen Platz! Sind die Kaninchen gefüttert? Hast du Hausaufgaben? Mama, das nervt gewaltig.» Er verzieht sich schmollend und Türe knallend in sein Zimmer und zwar so, dass gefühlt das halbe Haus wackelt. Von wem er das wohl hat, das Türe knallen, meine ich? Von mir gaaarantiert nicht. Psst, aber bitte ja nicht meine Eltern danach fragen …
Die Ruhe nach dem Sturm
Jetzt herrscht Ruhe. Und ich, was soll ich jetzt tun? Wütend sein oder gar beleidigt? Warum auch? Wenn ich an meine eigene Kindheit zurückdenke, haben meine Eltern so manches Mal auch «genervt». Und wie häufig habe ich als Jugendliche gedacht: So nervig werde ich ganz sicher nie. Tja, weit gefehlt. Gaaanz weit gefehlt, wird mir klar, wenn ich des Öfteren einen Blick unserer Teenagertochter erhasche. Die bedürfen keiner Worte, die sprechen ganze Bibliotheken. Heute, mit mehr Lebenserfahrung und eigenen Kindern, kann ich meine Eltern und ihre Beweggründe verstehen. Und ich bin für unsere Kinder genauso nervig, wie meine Eltern damals für mich. Das Ziel meiner Eltern war stets, uns drei Mädels zu selbstständigen, verantwortungsbewussten, anständigen und hilfsbereiten Menschen zu erziehen. Ich behaupte jetzt mal ganz selbstbewusst: Das ist ihnen ganz gut gelungen. Daher: Danke Mam. Danke Paps.
Sein Gesichtsausdruck: unbezahlbar
Zurück zu unserem Junior, der da in seinem Zimmer hockt und vermutlich, trotz schönstem Herbstwetter, auf ein Donnerwetter wartet. Ich setze mich zu ihm und sage: Ja, du hast vollkommen recht, dass ich dich nerve. Ihm klappt die Kinnlade runter und die Gesichtszüge sind kurz vor dem Entgleisen. Ich muss mich abwenden, um nicht einen Lachkrampf zu bekommen. Offensichtlich hat er mit dieser Reaktion absolut nicht gerechnet. Als er sich vom Schreck erholt hat, schaut er mich fragend von der Seite an. Ja, mein Sohn, wenn es ein Stellenprofil, also eine Beschreibung für den Job als Mutter geben würde, stünde ganz sicher darin: Eine Mutter muss ihre Kinder ab und zu nerven, um sie zu tollen Menschen zu erziehen. Dabei soll die Liebe zu den Kindern immer unerschöpflich und bedingungslos sein. Dasselbe gilt natürlich auch für den Vater. Ich hoffe doch, dass uns das alles gelingt. Bis jetzt sieht es jedenfalls danach aus. Ausserdem ist Eltern, zumindest uns und den Allermeisten, die Unversehrtheit der eigenen Kinder das Wichtigste im Leben. Und so kommt halt das Thema Velohelm bei uns immer wieder auf den Tisch. Nicht nur beim Zehnjährigen, sondern auch bei der Grossen. Das Teil auf dem Kopf sieht ja so was von uncool aus, ich weiss. Zudem sitzt die Frisur danach nicht mehr.
Ich nerve schon wieder
Eines verstehe ich aber nicht. Das Tragen oder eben Nichttragen des Velohelms sowie der Leuchtweste während der dunkleren Jahreszeit, ist bei uns ständig ein Thema. Ob ein Skihelm oder der Töfflihelm getragen wird oder nicht, darüber gibt es keine Diskussionen, die werden ohne Murren getragen. Bei diesem Thema stehen nun mir die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. Auf die Gefahr hin, dass ich schon wieder nerve: Ich geh jetzt meine Kinder fragen. Bin mal auf die Antwort gespannt.