Die Walliser Gemeinde Gampel kennt man schweizweit wegen des Open Airs, das alljährlich abertausende Gäste aus dem Mittelland ins Rhonetal zieht. Zur grossen Munizipal-Gemeinde Gampel gehört neben Niedergampel auch das Bergdorf Bratsch. Dieses kämpft seit längerer Zeit gegen die Abwanderung seiner jüngeren Einwohnerinnen und Einwohner, die immer häufiger in die Nähe ihrer Arbeitsstellen im Tal ziehen.
Problem vieler Bergdörfer
Gampel-Bratsch ist kein Einzelfall; viele Bergdörfer in der Schweiz sehen sich mit den gleichen Problemen konfrontiert. Fehlende Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche, wenige Arbeitsmöglichkeiten und somit fehlende Zukunftsperspektiven sorgen dafür, dass die Dorfjugend nach und nach in grössere Zentren abwandern muss, obwohl sie das unter Umständen gar nicht will. Das führt zu einem Kreislauf, der sich selbst verstärkt: Die gewünschten Angebote rentieren nicht und werden schliesslich eingestellt, während niemand mehr in ein Dorf ziehen will, das seinen Bewohnern nur wenig bieten kann.
Für bessere Perspektiven
Um diese Spirale aufzubrechen und Bergdörfer auch für potenzielle Neuzuzüger attraktiver zu machen, hat die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) 2015 das Label «Jugendfreundliche Bergdörfer» ins Leben gerufen. Damit will die SAB die Abwanderung bremsen und Jugendliche aktiv in die Entwicklung ihrer Dörfer mit einbinden. Das Label wird vom ebenfalls 2015 initiierten SAB-Jugendforum vergeben. Einsitz in diesem politisch unabhängigen Gremium nehmen Jugendliche aus den Label-Gemeinden. Die Probleme und Anliegen, die sie diskutieren, geben die Jugendlichen an die SAB weiter, die sich dann auf der nationalen politischen Ebene für ihre Interessen stark macht. Neben anderen Aufgaben organisiert das Jugendforum jährlich Thementage unter dem Titel «Meine Zukunft in den Bergen».
Konkrete Vorschläge
Auf der Basis von Umfragen unter Jugendlichen aus dem Berggebiet haben die SAB und ihr Jugendforum eine Liste von konkreten Massnahmen zur Verbesserung der Perspektive in Bergdörfern erarbeitet. Unterschieden wird dabei zwischen obligatorischen Themenbereichen und optionalen (siehe unten). Wer das Jugend-Label erhalten will, muss mindestens die Hälfte der optionalen Kriterien erfüllen. Die obligatorischen Kriterien umfassen:
- Die Vertretung im Jugendforum durch mindestens eine jugendliche Person aus dem Dorf
- Ein jährliches Gespräch zwischen der Gemeinde und der Vertreterin im Jugendforum
- Das Thema «Jugendliche im Berggebiet» muss alljährlich in der Schule aufgegriffen werden
Ob ein Bergdorf diese Kriterien erfüllt und sich auch langjährig um die Schaffung und Erhaltung von Zukunftsperspektiven bemüht, beurteilt der leitende Ausschuss des Jugendforums.
Vergabe des Labels
Möchte sich eine Gemeinde mit dem Jugend-Label schmücken, muss sie den Anforderungskatalog erfüllen und bei der SAB einen entsprechenden Antrag stellen. Dabei werden die kandidierenden Bergdörfer kosten-los von der SAB unterstützt. Schliesslich prüft der leitende Ausschuss des Jugendforums die einzelnen Anträge und verleiht den Dörfern das Label. Am 27. August 2020 hat das Jugendforum das Label «Jugendfreundliches Bergdorf» an folgende Gemeinden vergeben: Plaffeien, Evolène, Isenthal, Poschiavo und Guttannen.
Eigenes Dorf beleben
Gampel-Bratsch gehörte zu den ersten Dörfern, die das Label 2015 erhielten. Seither habe sich einiges getan, berichtet Noelle Seiler, die in Bratsch als Oberstufenlehrerin arbeitet. So hätten Kinder und Jugendliche etwa einen Spielplatz geplant und gebaut. Im Sinne des Generationenaustauschs hätten sich die Teenager im Dorf erkundigt, wo die Bevölkerung aktuell Wissenslücken habe. Als häufig Computer- und Informatikkurse nachgefragt worden seien, hätten sie Dossiers zu einzelnen Themen erarbeitet und dann entsprechende Kurse durchgeführt, erzählt Seiler. Dabei seien sie von der Schule unterstützt worden. Auch der Erhalt der Dorfschule in Bratsch ist ein Erfolg: Der Walliser Pädagoge Damian Gsponer führt sie seit rund fünf Jahren nach einem alternativen Schulkonzept und hat damit grossen Erfolg. So gehen heute wieder rund 70 Kinder in Bratsch zur Schule und es sind sogar neue Familien zugezogen.
Optionale Kriterien fürs Label
Gemeinden, die das Jugend-Label erhalten möchten, müssen neben den drei obligatorischen Massnahmen auch mindestens die Hälfte der folgenden Kriterien berücksichtigen.
- Schulwesen: Gefordert wird der Einsatz für den Erhalt der Dorfschule. Wenn das nicht möglich ist, soll sich eine Gemeinde für kurze Schulwege einsetzen.
- Jobsituation: Massnahmen sollen getroffen werden zur Verbesserung der Jobaussichten durch das Schaffen von Lehrstellen oder Praktikumsplätzen.
- Kinderbetreuung: Verbesserung des Angebots zur externen Betreuung der Kinder. In Frage kommen etwa Tagesmütter oder Kinderkrippen.
- Mobilität: Engagement für gute ÖV-Verbindungen
- Wohnsituation: Das Wohnangebot für junge Erwachsene muss verbessert werden.
- Freizeit und Erholung: Gemeinden müssen sich um ein Freizeit- und Erholungsangebot bemühen.
- Generationenaustausch: Schaffung eines Rahmens zur Begegnung zwischen Jung und Alt, die beide gleichermassen ansprechen (etwa ein Café oder ein Anlass)