«Nein, hier weiden keine Kühe mehr», sagt Madlen Saner. Die Bäuerin schaut nach rechts und links, dann überquert sie die Strasse und steigt ins Auto. Es ist ein stark befahrener Ort, die Hauptstrasse, welche über den Passwang SO führt und sich in einer Sanierung befindet. Es ist noch nicht so lange her, haben Saners die Kühe über die Strasse auf die Weide getrieben. Das ist aber nicht mehr möglich. Zu steil wäre der Einstieg für die Kühe jetzt und am Hang steht neu ein Steinschlagnetz. Weder davor noch dahinter ist irgendeine Bewirtschaftung möglich.
Steinschutznetze macht Land unbrauchbar
Madlen Saner weiss nicht, wie es jetzt weitergeht. Der Kanton habe in Aussicht gestellt, dass noch weitere Steinschutznetze auf ihrem Land gestellt werden sollen. Von Realersatz habe man zwar gesprochen. «Aber wir wissen nicht, wo dieser sein soll und auch nicht, wann es ihn geben könnte», sagt sie. Zusammen mit ihrem pensionierten Mann Thomas bewirtschaftet sie den Hof in Beinwil SO. Das Land, das aufgrund dieses Netzes nicht mehr nutzbar ist, hätten sie erst vor rund acht Jahren gekauft. Auf den kommenden ersten Januar will das Paar den Betrieb in Nachfolgehände übergeben. Die beiden bleiben aber dort wohnen und wollen dem Nachfolger weiter zur Hand gehen. So ist es geplant. Aber derzeit plagen die Saners noch schlaflose Nächte. «Wir wissen einfach nichts», sagt Madlen Saner voller Enttäuschung. So kämen auch versprochene Schreiben vom Kanton nicht zurück. «Da kann man irgendwo eine Unterschrift unter ein Dokument setzen, aber die versprochene Kopie erhält man nicht», sagt sie. Und auch vom Solothurner Bauernverband ist sie enttäuscht.
Die Solle des SOBV
Kurzzeitig war auch der Solothurner Bauernverband (SOBV) als Ansprechpartner für die unzufriedenen Landwirte involviert. Wie Bauernsekretär Peter Brügger erklärt, ist das nicht mehr der Fall, «da das nötige Vertrauen vonseiten der Bauern nicht vorhanden ist.» Man habe das Gefühl gehabt, dass Brügger in den Verhandlungen die Interessen des Kantons stärker vertrete, als die der Bauern, erklärt Christoph Saner, Ramiswil. Er hat von den insgesamt fünf betroffenen Landwirten eine Vollmacht für das weitere Vorgehen erhalten.
Zur Sicherheit wurde das Netz umplatziert
«Aus sicherheitstechnischen Gründen musste das Netz zirka 3 m hinter die Stützmauer gestellt werden», erklärt Simon Amsler, Abteilungsleiter Kunstbauten beim Amt für Verkehr und Tiefbau Solothurn (AVT), die Platzierung auf Anfrage der BauernZeitung. Bei einem Steinschlag würde sich das Netz in Richtung Lichtraumprofil der Strasse ausdehnen. «Wir planen ein Gespräch mit dem Landbesitzer und suchen eine Lösung, die für beide Seiten stimmt», führt Amsler weiter aus. Von einem solchen Gespräch weiss Madlen Saner allerdings nichts.
Nicht im Alleingang
Redaktorin Simone Barth erklärt in diesem Kommentar, was sie über die ganze Sache am Passwang denkt:
Wenn ein Landwirt während eines Neu- oder Umbaus feststellt, dass sich Probleme auftun, die zusätzliche Kosten verursachen oder eine Abänderung der Pläne erfordern, muss er den Bau stoppen. Er muss die Finanzierung klären oder aber die Änderungen «absegnen lassen». Nicht so der Kanton. Der kann anscheinend lockerer mit Unvorhergesehenem umgehen, wie der Fall am Passwang zeigt. Ein Sprichwort sagt, man soll die Rechnung nicht ohne den Wirt machen. Auch hier scheint der Kanton Solothurn eigene Regeln zu haben. Denn das Land, das er mit seiner Sanierung über den Passwang beansprucht, gehört den Bauern. Dass diese aber gutmütig sind, ist ein altbekanntes Phänomen. So gehen sie nicht selten gar auf eigene Kosten anderen zur Hand, wenn Not am Mann ist. Stellen Maschinen und Arbeitskraft zur Verfügung. Und sind zu alledem noch obrigkeitsgehörig und gutgläubig. Denn, wenn der Kanton baut, sollte es doch mit rechten Dingen zu und her gehen. Sollte. Unabhängig davon ist klar, Bauern dürfen nie als Einzelkämpfer agieren. Ob mit oder ohne Bauernverband im Boot, sie müssen ihre Interessenvertretung stets zusammen angehen.
Die Regierung hat Fehler eingestanden
Der Strassenbau am Passwang geriet schon früher in Kritik. So berichtete das SRF bereits vor drei Jahren im Zusammenhang mit der Sanierung der Passstrasse von einer «luschen Planungsarbeit». Grund war der damals im Solothurner Kantonsrat stark kritisierte Antrag der Regierung für einen Nachtragskredit von 8 Mio Franken. Die Regierung gestand damals zwar Fehler ein, der Antrag wurde aber bewilligt. Alle Parteien im Kantonsrat übten seinerzeit Kritik an der neuen Vorlage zur Sanierung der Strasse, wie das SRF berichtete. Nicht nur die Mehrkosten, sondern auch die Erweiterung des ursprünglichen Projekts wurden kritisiert. Der Zusatzkredit wurde dennoch gutgeheissen, einzig die SVP sprach sich dagegen aus. Schnee von gestern, der aber noch heute an den Hängen des Passes klebt, denn die Bauern aus der Region reden ebenfalls von undurchsichtiger Planung und damit während des Baus verbundenen Anpassungen. Die bereits ausgeführte erste Phase kostete rund 20 Millionen Franken, wie es beim AVT heisst. Die Bauarbeiten seien abgeschlossen. «Es sind noch Beanstandungen eines Landwirts zu bereinigen», so Simon Amsler. Sie stammen von Ulrich Lisser, Ramiswil SO. Die BauernZeitung hat ihn besucht.
Tiere können nicht mehr geweidet werden
Aus einem Loch im Boden ragen grobe Eisendrähte. Hier stand ein Kran, dessen Fundament zurückgelassen wurde. Ein beinbrecherischer Fund, der es verunmöglicht, an diesem Ort Tiere zu weiden. An verschiedenen Stellen auf Ulrich Lissers Land entlang der Strasse ist der Boden zudem mit Netzen bedeckt, das den Hang befestigen soll. Irgendwann wird hier wohl Gras darüber gewachsen sein, aber dafür müsste nach Ansicht des Landeigentümers erst einmal anständig aufhumusiert werden. Und genau das hätte Lisser eigentlich erwartet: «Dass man mir mein Land so zurückgibt, wie es vor dem Bau dieser Strasse war.» Denn er habe sie nicht gewollt, sie sei breiter, als nötig und lade zum vermehrten Verkehr geradezu ein. Nun steht sie. Aber die Bauern wissen nicht, ob sie abgegolten werden für die Federn, die sie lassen mussten, für das Land, das sie verloren haben, für die Zeit, in der es nicht genutzt werden kann und für den sichtbaren Minderwert, den gewisse Flächen jetzt haben.
Weitere «Baustellen» wegen ungenügender Schutzmassnahmen
Der junge Landwirt hat noch weitere Mängel zu beklagen. Während der Strassensanierung kam es zu einem Erdrutsch, der auf seinem Land grossen Schaden anrichtete. Das Material, das seine Wiesen überschwemmte, stammte vom offenen Strassenabschnitt. Lisser ist sicher, der Rutsch ist nur passiert, weil ungenügende Schutzmassnahmen im Bereich der Entwässerung während der Bauphase zum Abrutsch des Materials in sein Land führten. Der Kanton Solothurn sieht das aber anders und stützt sich dabei auf ein von ihm in Auftrag gegebenes geologisches Gutachten. Mit der Folge, dass Ulrich Lisser einen Selbstbehalt der Räumungskosten von rund 22000 Franken berappen musste. Und damit ist er nicht einverstanden. Auch nicht, dass ihm vom Kanton ein Zaun entfernt wurde, den er später selber wieder ersetzen musste. Der Kanton übernahm die Kosten von 24 der insgesamt 240 Pfähle, also 10 % und begründete, die anderen wären ja «noch gut» gewesen. Aber das schluckt Lisser nicht.
Wie wurde informiert?
Die Unzufriedenheit der Bauern am Passwang wirft unweigerlich die Frage auf, welche Verträge mit den Landbesitzern vor Beginn der Sanierung getätigt wurden. «Das Projekt wurde vom 23. November bis am 22. Dezember 2012 öffentlich aufgelegt. Innerhalb der Auflagefrist sind gegen den Erschliessungsplan drei Einsprachen eingegangen. Diese wurden nach den Erwägungen zurückgezogen. Den Regierungsratsbeschluss (Genehmigung Erschliessungsplan) vom 26. August 2013 haben die Landbesitzer per Einschreiben erhalten. Mit den Landbesitzern wurden einheitliche mündliche Abmachungen getroffen», erklärt das AVT dazu.