«Jede bruucht si Insel», besang Peter Reber vor vielen Jahren. Für viele bedeutet eine Insel Urlaub und Erholung. Nicht so für Christine Schumacher und ihre Familie aus Twann. Seit acht Jahren bewirtschaften sie als Pächter den Landwirtschaftsbetrieb der Burgergemeinde Bern, der auf der St. Petersinsel im Bielersee liegt.
Ein Traum bringt viel Arbeit
«Wir leben hier unseren Traum. Der Umzug auf die Insel war ein grosser Lebensabschnitt für mich», erzählt die Bäuerin. Sie sitzt am langen Esstisch. Eine grosse Fensterfront gibt den grossartigen Blick auf den See frei. Die Sonnenstrahlen glitzern im Wasser, vereinzelt ist an diesem Morgen ein Boot sichtbar, das sich übers Wasser pflügt. Unweigerlich kommt da Ferienstimmung auf. Christine Schumacher lacht und erklärt, dass das Inselleben viel Schönes, aber auch viel Arbeit mit sich bringe. Noch ist es ruhig, doch schon zwei Stunden später bevölkern zahlreiche Touristen die Insel, die zur Gemeinde Twann, und nicht zu Erlach, gehört. Christine Schumachers Augen leuchten, und ihre Freude ist unübersehbar, wenn sie sich an den Umzug im Jahr 2012 zurückerinnert. Voller Glückshormone sei die ganze Familie gewesen, zu der Ehemann Markus und die erwachsenen Kinder Tamara (Jg. 88), Rahel (Jg. 90) und Jonas (Jg. 92) gehören. An einem Vormittag im April 2012 fuhren sie mit Sack und Pack über den rund 4,5 Kilometer langen Heideweg zum ersten Mal zu ihrem neuen Zuhause auf der Insel. Zuvor hatten noch der Vorpächter und dessen Frau die Tiere versorgt. Auf dem Hausplatz fand die Schlüsselübergabe statt. Die Einladung von Schumachers zum Kaffee lehnte das Paar ab und nahm ihrerseits zum letzten Mal den Heideweg zurück nach Erlach unter die Räder.
Freud und Leid sind nahe
Trunken vor Glück und Freude, realisierte Christine Schumacher erst später, wie schwierig der Abschied nach 30 Jahren Leben und Arbeiten auf der St. Petersinsel für das Paar gewesen sein muss. Heute verbindet die gemeinsame Erfahrung des Insellebens die beiden Paare in Freundschaft.
Bis es jedoch soweit war, dass Schumachers auf die Insel ziehen konnten, galt es vieles zu überlegen und Hürden zu nehmen. Die Bewirtschaftung des Betriebes in Gaicht, oberhalb des Bielersees, den das Ehepaar von den Eltern Schumacher übernommen hatte, gestaltete sich zunehmend schwierig.
Aus Spass wird Ernst
Auf drei Seiten des Hofs führen Strassen vorbei, auf der vierten Seite grenzt bereits der Nachbarhof an. Früh zeigte Sohn Jonas zudem Interesse an der Landwirtschaft. Daher befasste sich das Ehepaar Schumacher schon länger mit einer betrieblichen Veränderung, eine Lösung war nicht in Sicht. Doch eines Tages sahen sie den Pacht-Ausschrieb des Inselbetriebes. Der zunächst eher im Spass dahergesagte Satz: «Das wäre doch was für uns», reifte immer mehr und wuchs schliesslich zu einem Wunschtraum der ganzen Familie heran. «Plötzlich war der Gedanke, das ist genau das, was wir wollen und was uns entspricht, einfach da», erinnert sich Christine Schumacher.
Dennoch mussten einige Zweifel beseitigt werden. Werden die beiden jüngeren Kinder, die damals noch bei den Eltern wohnten, bei einem Umzug nicht entwurzelt? Wie würde die Bewirtschaftung des Hofes in Gaicht mit der Legehennenhaltung von der Insel aus machbar sein? Denn die Zufahrt zur Insel ist für die ständigen Bewohner zwar erlaubt, gestaltet sich durch die vielen Touristen auf dem Heideweg jedoch umständlich. Und: «Wollen wir wirklich vom Eigentümer zum Status des Pächters wechseln?», waren Fragen, die sich Schumachers stellten. Die Antwort war klar: «Ja wir wollen.» Viel Herzblut wurde in die Bewerbung und das verlangte Betriebskonzept gesteckt. Auch die erste Besichtigung der Insel an einem kalten, nebligen und grusigen Tag, tat der Euphorie keinen Abbruch. Schlussendlich setzten sich Schumachers gegenüber 70 Bewerber durch.
Ein zweites Mal packen
Nachdem sie davon per Telefon erfuhren, sind Christine und Markus Schumacher völlig überwältigt voreinander gestanden, haben sich angeschaut und vor Freude geweint, erinnert sich die Bäuerin an den emotionalen Moment zurück. Auch wenn es bis zum Umzug noch rund ein Jahr dauerte, ging es direkt los mit der Arbeit. Die Umsetzung des geplanten Betriebskonzeptes musste in die Gänge gebracht werden. Als der Tag des Umzugs dann endlich da war, ahnte niemand, dass Familie Schumacher nur rund eineinhalb Jahre später schon wieder alles Hab und Gut packen und umziehen würde. Die Burgergemeinde Bern entschied, das Wohnhaus des Hofes nicht nur zu renovieren, sondern abzureissen und neu zu erstellen. Das neue Haus wurde dann mit Fertigelementen während der Wintermonate 2013/ 2014 erbaut. In dieser Zeit lebte die Familie vorübergehend im Hotel der Insel, das über den Winter geschlossenen ist. Gekocht wurde in der riesigen Hotelküche, geschlafen in Hotelzimmern, der gotische Saal des ehemaligen Klosters wurde als vorübergehendes Wohnzimmer eingerichtet. Das sei schon ein spezielles Erlebnis gewesen, erinnert sich Christine Schumacher zurück.
Spontaner Besuch ist eher schwierig
Speziell ist auch der ganz normale Alltag auf der Insel, an den sie sich zuerst gewöhnen musste. Da sind die Touristen, die sich überall bewegen und auch schon mal den privaten Garten als Picknickplatz in Beschlag nehmen oder sich ungeniert auf dem ganzen Hofareal umsehen. Freunde und Verwandte können nicht einfach mal eben so kurz vorbeischauen, denn die Anreise beansprucht etwas mehr Zeit. Dafür gibt es auch keine Vertreterbesuche, freut sich Christine Schumacher.
Der Garten wurde schliesslich umzäunt und mit einem Privat-Schild versehen. Im ersten Jahr seien viele Bekannte in ihrer Freizeit als Touristen auf die Insel gekommen und hätten kurz bei ihnen vorbeigeschaut. «Das wurde uns manchmal fast zu viel», erinnert sich Christine Schumacher. «Die Leute haben oft vergessen, dass wir nicht einfach hier sind, um Ferien zu machen, sondern hier arbeiten.» Die Familie musste lernen, sich abzugrenzen und auch mal Nein zu sagen, wenn sie keine Zeit für die Besucher haben. «Das ist auch heute noch meine grösste Herausforderung, auch mal Nein sagen zu können», verrät die Inselbäuerin etwas verschämt.
Chance im Gespräch mit Touristen
Die vielen Touristen sieht Christine Schumacher mittlerweile als Chance und auch als Zusatzaufgabe an, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Es sei einfach, mit den Touristen ins Gespräch zu kommen und ihnen Sachverhalte der Landwirtschaft aufzuzeigen. Dabei dürfe aber nicht vergessen gehen, dass vieles, was für Bauernfamilien selbstverständlich ist, für die Konsumenten völlig unbekannt sei. Etwa, warum Mutterkühe nicht gemolken werden. Christine Schumacher gibt zu, dass sie auch mal Tage hat, an denen sie genervt ist, von Touristen, «die durch alles durch tschaupen». In diesen Situationen erzählt sie ihren Ärger ihrem Mann Markus und lässt den Frust wieder abklingen. Sie weiss, dass es besser wäre, auch in solchen Situationen das Gespräch mit den Leuten zu suchen. Doch damit tut sie sich schwer, wie sie gesteht. Dennoch hat Christine Schumacher es bislang noch keine Sekunde bereut, auf die Insel gezogen zu sein. «Das war nach meinem Mann, die beste Entscheidung meines Lebens», sagt sie und blickt lächelnd auf den See hinaus.
Was 2012 sonst noch geschah:
- Markus Ritter wird neuer Präsident des Schweizer Bauernverbandes.
- Jäger sichten erstmals seit 150 Jahren wieder ein Wolfsrudel in der Schweiz.
- Der Nationalrat streicht die Landwirtschafts-Subventionen für Tierhalter und erhöht im Gegenzug Direktzahlungen für die «Versorgungssicherheit» auf der Basis der bewirtschafteten Bodenfläche.
- Die Schweiz nimmt die Zweitwohnungsinitiative an.
- Die Schweizer Prominenten Walter Roderer, Walo Lüönd und Kurt Felix sowie Neil Armstrong, der
- erste Mensch, der den Mond betrat, sterben.
- Das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia sinkt vor der italienischen Insel Giglio.
- Jahrhundertdürre in den USA. Schwere Waldbrände auch im Süden Europas.
- Hurrikan Sandy wütet an der amerikanischen Ostküste. Gegen 300 Menschen sterben.
- Barack Obama wird für eine zweite Amtszeit als amerikanischer Präsident wiedergewählt.