Amanda Keller wirft einen Blick in den Kuhstall, der um die Mittagszeit leer steht. Die Kühe sind alle auf der Weide, ebenso die Kälber. Es tönt im ersten Moment nicht spektakulär, dass Kellers hier für das Label Natura-Veal von Mutterkuh Schweiz produzieren. Speziell ist jedoch ihr Haltungssystem: Die eine Herde besteht aus rund 30 Milchkühen, die für IP-Suisse Wiesenmilch produzieren, und die zweite Herde aus zehn Ammenkühen, welche die Kälber säugen.

Die Kälber bleiben bis zur Schlachtung auf dem Betrieb

Der Betrieb, den Amanda und Fabio Keller in Sitterdorf TG führen, ist ein Pachtbetrieb. Amanda Keller übernahm ihn im Jahr 2020. Davor arbeitete die gelernte Verkäuferin zwei Jahre in der Viehhandelsstallung der Vianco AG in Kradolf TG, wo sie mit Tieren und deren Haltungssystemen zu tun hatte. «Ich liebäugelte da schon mit Natura-Veal», erzählt die 30-Jährige, die nicht auf einem Landwirtschaftsbetrieb aufwuchs und in Zweitausbildung Landwirtin lernte. «Das Natura-Veal-Programm hat mich angesprochen, weil die Kälber von Geburt bis zur Schlachtreife auf einem Betrieb bleiben», sagt sie.

Aus der Not wurde eine Tugend

Im Jahr 2023 stieg Ehemann Fabio mit in den Betrieb ein. Er sei kein «Chüeni», scherzt Amanda Keller. Fabio Keller ist gelernter Landmaschinenmechaniker und kümmert sich mehrheitlich um den Acker- und Obstbau sowie die Maschinen auf dem Betrieb, während Amanda Keller die Tierhaltung managt.

Dass sie heute je eine Herde Ammen- und Milchkühe nebeneinander halten, hat aus Sicht der Betriebsleiterin einen einfachen Grund: «Ich wollte mehr melken, doch mein Milchabnehmer konnte nicht mehr Milch annehmen.» So machte Keller aus der Not eine Tugend und baute sich mit Natura-Veal einen weiteren Betriebszweig auf. Die Milchviehhaltung behielt sie bei und füllte den Stall mit Ammenkühen.

Viel Freude an den Tieren und eine grosse Portion Geduld

Im Stall arbeiten sie meistens zu zweit, Amanda Keller und ihr Vater Hans, der seit Anfang Jahr fest angestellt ist. Meistens melkt die dreifache Mutter die Kühe, während Hans Bösch die Kälber bei den Ammenkühen anhängt. «Wenn wir viele kleine Kälber haben oder bei vielen Wechseln, gibt das ziemlich Arbeit», räumt sie ein. Man müsse dafür viel Freude an Tieren haben und eine grosse Portion Geduld.

Weil die Kälber nicht nur bei der eigenen Mutter trinken, gehe die Milchleistung auch nicht zurück, wenn sie das Kalb nach knapp fünf Monaten absetzen, erklärt Keller. «Die Milch der Kuh gibt vor, wie viele Kälber wir halten.» Kellers Ausführungen lassen erahnen, dass ihr System anspruchsvoll ist. «Wenn wir eine Kuh zum Beispiel in zwei Monaten vergalten müssen, wissen wir, dass wir weniger Milch haben werden. Dann nehmen wir entweder eine Milchkuh in die Ammenherde oder wir verkaufen Kälber.»

Natura-Veal ist ein Label von Mutterkuh Schweiz. Um die Vorgaben zu erfüllen, ist es darum wichtig, dass die Kälber in Mutterkuhhaltung gemästet werden. Dazu müssen die Kälber allerdings nicht bei der eigenen Mutter saugen, sondern können wie bei Amanda Keller auch von einer Amme aufgezogen werden.

Der Wechsel zwischen Melkmaschine und Kalb ist kein Problem

Die meisten (Milch-)Kühe auf dem Betrieb von Amanda Keller haben eine von Mutterkuh Schweiz anerkannte Abstammung. In Kellers bunter Milchkuhherde dominieren Deutsches und Österreichisches Fleckvieh. «Diese Rasse zeichnet sich dadurch aus, dass die Kühe keinen starken Mutterinstinkt haben und viel Milch geben», erklärt Keller deren Vorzüge. Dies ermögliche, dass sie die Kühe je nach Bedarf zwischen den Systemen wechseln können. «Die allermeisten kommen mit dem Wechsel zwischen ‹Melken von der Maschine› und ‹Melken vom Kalb› zurecht», sagt sie.

30 Kälber produzieren Kellers pro Jahr

Bei der Herde läuft derzeit ein Angus-Stier mit. Angefangen hatten Kellers mit einem Limousin-Muni. «Die Kälber waren schnell schlachtreif, erreichten aber die Fettklasse 3 nicht», sagt Amanda Keller. Die Tiere seien viel draussen auf der Weide, würden herumspringen und deshalb weniger Fett ansetzen. Mit der Umstellung auf Angus dauere es bis zur Schlachtreife zwar etwas länger, dafür stimme aber die Fleischqualität. Pro Jahr produzieren Kellers mit den acht bis zehn Ammenkühen etwas über 30 Natura-Veal-Kälber. Dies bei einer durchschnittlichen Milchleistung von 6500 kg pro Kuh und Jahr. Die Kälber werden im Alter von rund fünf Monaten geschlachtet.

Eine sehr intensive und zeitaufwendige Produktionsart

Im Januar wurden Amanda und Fabio Keller das zweite Mal Eltern von den Zwillingen Salome und Leandra. «Da musste dann auch mein Mann in den Stall zum Melken», sagt Amanda Keller. Nebst ihrem Vater unterstützen auch die Mutter und Schwiegereltern die junge Familie, insbesondere bei der Kinderbetreuung und im Obstbau.

«So wie wir Natura-Veal produzieren, ist es sehr intensiv und zeitaufwendig. Das geht nicht einfach so nebenbei», betont Amanda Keller. Sie hofft jedoch, dass sie dies noch viele Jahre so ausüben dürfen. Die Natura-Veal-Produktion sieht sie auch als Imagefaktor: «Wir können den vielen Spaziergängern zeigen, dass Kälber kein Abfallprodukt der Milchproduktion sind und dass es unsere Kälber gut haben, weil sie naturnah gehalten werden, bis sie den Betrieb verlassen.»

Veal gesucht

Mutterkuh Schweiz sucht weitere Produzenten für Natura-Veal, Natura-Beef und Weiderind. Aktuell kann die Nachfrage nach Fleisch aus Mutterkuhhaltung nicht gedeckt werden.

Garantierte Preise
Unter dem Label Natura-Veal werden Bankkälber in Mutterkuhhaltung produziert. Weitere Betriebe, die für diesen Kanal Kalbfleisch produzieren möchten, sind gesucht – insbesondere bräuchte es in diesem Kanal von Frühsommer bis Spätherbst mehr Tiere. Zwischen Woche 25 und 43 ist ein Mindestpreis T3 von 17.- Franken je kg SG garantiert. Der ganzjährige Mindestpreis liegt bei 14.50 Fr./kg SG. Derzeit liegt der Preis für Natura-Veal T3 bei 18.90 Fr./kg SG.

Weitere Informationen
Wer in die Produktion von Natura-Veal einsteigen will, kann sich bei Mutterkuh Schweiz, Vianco oder Viegut beraten lassen. Die Produktionsreglemente und Lieferbestimmungen sind auf der Webseite von Mutterkuh Schweiz zu finden.

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