Der Markt verlangt einheitliches Gemüse.», «Für übergrosse Kartoffeln gibt es keinen Markt.», «Die Corona-Pandemie hat den Markt in Schieflage gebracht.» – andauernd wird vom Markt gesprochen, beinahe so, als handle es sich um ein denkendes, fühlendes Wesen mit allerlei Bedürfnissen. Aber worum handelt es sich eigentlich dabei?
Wo Angebot und Nachfrage sich treffen
Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert den Markt als das «Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage, aufgrund dessen sich Preise bilden». Der klassische «Märit», wo sich eine Kundin und ein Verkäufer am Stand begegnen, hat heute Seltenheitswert. Zwar treffen immer noch Angebot und Nachfrage auf dem modernen Markt zusammen, aber nicht mehr unbedingt Kunde und Käuferin. Und genau das macht dieses Konstrukt «Markt» heute undurchsichtig und schwer zu fassen.
Der Markt verbindet und trennt gleichzeitig
Da sich Produzenten und Konsumentinnen nur noch selten tatsächlich treffen, ist der Markt zu einer Art Blackbox geworden, innerhalb derer verschiedene Akteure wie beispielsweise Zwischenhändler oder Verarbeiter bei der Preisgestaltung mitmischen. Landwirtinnen und Landwirte liefern Milch, Karotten, Getreide und Fleisch in die Blackbox und bekommen daraus ein Entgelt. Wie dessen Höhe festgelegt wird, ist oft schleierhaft. Jüngstes Beispiel für diese Undurchsichtigkeit ist die Kritik des Schweizer Tierschutzes an der Preisbildung von Label-Produkten. Die Detailhändler halten ihre Margen nach eigenen Angaben aus Konkurrenzgründen geheim. Ausser Sichtweite auf der anderen Seite des Marktes stehen die Konsumenten, die den angeschriebenen Preis im Laden bezahlen und Informationen über Herkunft und Produktion höchstens auf der Verpackung lesen. Was an Arbeit und Mühe in einer Lebensmittelverpackung steckt, ist im Supermarktregal weit weg.
Nachfrage ad absurdum
Die Krux zeigt sich schon in den Begrifflichkeiten: Produzenten machen ein Angebot, Konsumenten (oder die Marktakteure dazwischen) stellen die Nachfrage. Ohne engen Kundenkontakt können Landwirtinnen und Landwirte das Angebot nur bedingt steuern, denn in den Regalen des Detailhandels müssen ihre Waren mit importierten konkurrieren. Für Konsumenten wiederum ist es nicht einfach, die Nachfrage auf die Schweizer Produktion auszurichten. Anstatt sich einfach bedienen zu können, muss man sich zuerst z. B. mit einer Saisontabelle einen Überblick verschaffen, welches Gemüse gerade sinnvollerweise nachgefragt werden sollte. Tut man das nicht, gibt man dem Detailhandel ein Import-Argument in die Hand («Erdbeeren zu Weihnachten werden von der Kundschaft nachfragt»), auch wenn die Nachfrage, ohne dass diese Erdbeeren importiert worden wären, gar nicht hätte entstehen können.
Wer bestimmt hier wen?
Die Nachfrage bestimmt das Angebot – oder umgekehrt? Und wer bestimmt die Nachfrage, wer das Angebot? Es handelt sich um eine Huhn-Ei-Problematik, wobei das Huhn unbekannt und das Ei nicht identifiziert ist. Umso schwieriger wird es, die Produktion auf den Markt auszurichten: Auf welchen Markt überhaupt, und wer bestimmt, wie dieser funktioniert?
Nicht alle denken rein wirtschaftlich
Der Markt ist wirtschaftlich, kalt und berechnend. Das passt nicht zur landwirtschaftlichen Arbeit mit der Natur und mit Tieren. In der Theorie besteht die Funktion des Marktes darin, die verschiedenen Interessen von Angebot und Nachfrage über den Preis auszugleichen: Die Angebotsseite möchte den höchstmöglichen Preis erzielen und die Nachfrager möglichst wenig für ein Gut bezahlen. Dass gewisse Leute bewusst mehr Geld für Produkte in die Hand nehmen, die ihren Werten entsprechen, hat in diesem Modell – von Labels abgesehen – keinen Platz. Auch sind nicht alle immer auf den höchstmöglichen Preis aus. Geld ist schliesslich nicht alles.
Was die Corona-Krise geändert haben könnte
Die Corona-Krise könnte dazu beitragen, dass die Blackbox des Marktes vermehrt überbrückt und das Problem von Angebot und Nachfrage anders angegangen wird: Der Wert von Lebensmitteln und Versorgungssicherheit rückten in den Mittelpunkt, Hofläden im ganzen Land hatten Hochkonjunktur, und plötzlich verkauften sich Knollensellerie in Übergrösse und für die Gastronomie bestimmter Salat bei Coop und Migros. Kunden würden «normabweichende» Ware in «Ausnahmesituationen» kaufen, wenn dies begründet und «kommunikativ mitgeteilt» werde, heisst es bei der Migros dazu. Wie Markt und Nachfrage funktionieren, ist scheinbar nicht in Stein gemeisselt.
Mehr Nähe schafft Verständnis und Kundentreue
Der 1. August steht vor der Tür und mit ihm vielerorts Brunchs auf dem Bauernhof. Da können sich Gelegenheiten bieten, sich «kommunikativ mitzuteilen» und damit eine Brücke über den Markt zu schlagen. Wer weiss, welcher Bauer den Apfel hat wachsen lassen, ihn gepflegt und geerntet hat, und warum die Frucht vielleicht klein und Schorf-gefleckt ist, wird ihn eher kaufen. Auch wenn daneben die Importware gross und glänzend zum tieferen Preis angeboten wird. Wen man kennt, lässt man ungern hängen.