«D'Migros ghört de Lüt» – dieser Werbespruch ist wahr, denn die Migros ist, wie auch die Fenaco-Landi-Gruppe oder die Mobiliar-Versicherung, eine Genossenschaft. Schweizer mögen Genossenschaften. Aber wie viel vom Geist einer Genossenschaft steckt noch im orangen Riesen?
Erste Genossenschaften in der Landwirtschaft
Man habe über zwei Millionen Besitzer und daher tue man mehr für sie, heisst es bei der Migros. Vor dem Hintergrund der Wurzeln einer Genossenschaft klingt das seltsam: Die ersten derartigen Bünde wurden als Hilfe zur Selbsthilfe gegründet. In der Landwirtschaft entstand bereits vor der Gründung der Eid- die erste Bauerngenossenschaft. Darin organisierte man sich, beispielsweise zur gemeinsamen Nutzung von Alpweiden.
Bedürfnisse decken, Kosten tief halten
Später gab es Konsumvereine als Genossenschaften. Diese hatten zum Ziel, ihre Mitglieder (Bauern, Arbeiterinnen und Handwerker) u. a. mit Lebensmitteln zu versorgen. Genossenschaften waren regional, es ging um die Vernetzung und das gegenseitige Decken von Bedürfnissen, bei dank Zusammenarbeit tiefen Kosten.
Mitglieder sollten einander helfen
Was ist seltsam am Werbespruch der Migros? Es ist nicht die Idee einer Genossenschaft, dass sie «etwas für ihre Besitzer tut». Vielmehr sollten die Besitzerinnen, die Mitglieder der Genossenschaft, einander zum gegenseitigen Vorteil unterstützen. So macht auch die Ausrichtung dieser Unternehmungsform Sinn: Anders als eine Aktiengesellschaft soll sie nicht primär Geld verdienen. Vielmehr geht es um die direkte Bedürfnisbefriedigung – indem z. B. Produkte oder Dienstleistungen zu für beide Seiten akzeptablen Preisen angeboten werden.
Genossenschafter reden mit
In einer Genossenschaft im ursprünglichen Sinn sollte es nicht passieren, dass z. B. Ware aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt wird. Als Mitglieder, als Besitzer, sollten Produzentinnen die Möglichkeit zur Mitbestimmung haben. Sind die Bedingungen nicht akzeptabel, könnten die Genossenschafter Änderungen erwirken, wenn eine Mehrheit dafür ist.
Langer Weg zum Einfluss
Das Problem moderner Genossenschaften ist ihre Grösse. Eine Generalversammlung mit allen Mitgliedern ist nicht möglich. Daher werden sie in der Regel von einer Delegiertenversammlung und der Verwaltung geführt. Als Genossenschafterin kann man sich in den regionalen Rat wählen lassen, aus dem Delegierte gewählt werden. Der Weg zum Einfluss ist lang. Der allgemeine Trend wachsender Genossenschaften geht weg vom Mehrwert für ein einzelnes Mitglied, der Wettbewerbsdruck steigt und die Kundenbindung durch Mitgliedschaften tritt in den Vordergrund.
Kollektive Interessen vertreten
Die Mitbestimmung sinkt mit zunehmender Grösse der Genossenschaft, trotzdem hat die Mitgliedschaft Vorteile: seien es günstigere Düngemittel (Fenaco) oder Beteiligungen an Gewinnen (u. a. bei der Mobiliar). Zwar profitieren so alle Genossenschafter von tiefen Preisen, es ist aber nicht mehr möglich, einzelne Bedürfnisse zu berücksichtigen. Der Kontakt ist nicht mehr eng. Dafür weiss man, was man bekommt und muss wenig bis gar nichts dafür tun – ausser die Genossenschaft mit seiner Mitgliedschaft zu stärken. Denn grosse Genossenschaften können die kollektiven Interessen ihrer Mitglieder besser vertreten, als eine Einzelperson. Sie haben mehr Marktmacht.
Marktmacht als Gefahr
Damit Grösse positiv wirkt, darf sich die Marktmacht einer Genossenschaft nicht gegen die Mitglieder richten. Eine Marktmacht kann auch zum Monopol auswachsen. Gerade, wenn die Mitbestimmung aus den bereits genannten Gründen eingeschränkt wird.
Preise im Wettbewerb festgelegt
Die Fenaco beispielsweise ist ein zuverlässiger Abnehmer, ihre Genossenschafter können aber nicht so einfach zu einem anderen wechseln, sollte dieser bessere Konditionen bieten. Die Margen müssen stimmen, damit es auch der Gewinn tut. Und die Fenaco bewegt sich in einem Marktumfeld mit Wettbewerb.
Quasi eine Solidarische Landwirtschaft
Migros-Genossenschafter sind Produzentinnen und Konsumenten. Hilfe zur Selbsthilfe würde bedeuten, dass man die Anbau-Risiken gemeinsam trägt und die Kundinnen so viel für gesunde Lebensmittel bzw. deren umwelt- sowie tierfreundliche Produktion bezahlen, dass Bauern gut davon leben können. Es wäre quasi eine grosse Solidarische Landwirtschaft. Aber eine sehr grosse, mit allen Vor- und Nachteilen. Womit wir mehr oder weniger bei der heutigen Migros sind. Zumindest in der Theorie.