Ohne irgendeine Form von Pflanzenschutz ist landwirtschaftliche Produktion nicht möglich. Gewisse durch die Nachfrage bestimmte Kulturen oder Sorten, Normenvorstellungen und Abnahme-Vorschriften machen es zusätzlich schwieriger, «marktgerecht» zu produzieren. Derweil scheinen Konsumenten – die den Markt zumindest zu einem Teil mitbestimmen – vor allem eines zu sehen: Da werden giftige Substanzen freigesetzt und das wollen wir nicht. Was wollen sie dann?
Weniger für Lebensmittel, mehr Geld «fürs Leben»
«Mehr fürs Leben», so heisst die neue Werbekampagne von Aldi. Ein Teil des Werbeversprechens sind hohe Qualität und viel Regionalität zu möglichst tiefen Preisen. Wer also wenig für Lebensmittel ausgeben muss, der hat mehr Mittel – sprich Geld – zum Leben. Trotz ihrer Bezeichnung gehören Lebensmittel in dieser Logik nicht mehr wirklich zum Leben dazu. Eine bedenkliche Sichtweise, denn das «Leben» besteht dann wahrscheinlich primär aus Freizeit-Beschäftigungen und teuren Anschaffungen wie Autos oder Schuhen. Die Ernährung muss zurückstehen, dafür gibt man scheinbar ungern Geld aus. Das bleibt nicht ohne Folgen, denn billige Produktion kommt der Umwelt und der Allgemeinheit teuer zu stehen. Bei unwahrscheinlich tiefen Preisen hat immer jemand darunter zu leiden.
Lebensmitteltests gehts um Ökologie, bei der Seife nicht
Ein Anspruch von Konsumentenseite sind tiefe Preise. Ein anderer ist hohe Qualität. Dabei wird leider nicht immer mit gleichen Ellen gemessen. So sucht man in einem Konsumenten-Magazin in Pommes-Chips nach Dutzenden von Pflanzenschutzmitteln, während in ähnlichen Tests zu Kosmetikartikeln Umweltfaktoren keine Rolle spielen. Die Seife sollte gut riechen, geschmeidig sein und die Haut nicht zu stark austrocknen. Inhaltstoffe werden nicht diskutiert, obwohl beim Händewaschen über den Abfluss und die ARA das nächste Gewässer nicht weit ist.
Die Empörung trifft die Ausführenden
Früher war es bei Früchten und Gemüsen ähnlich, man wollte primär schöne, grosse Äpfel und Rüebli. Immer mehr erkannten aber Wissenschaft und Gesellschaft, dass Pflanzenschutzmittel Nebenwirkungen haben können. Aufgrund neuer Erkenntnisse wurden einige Wirkstoffe verboten. Die Empörung der Bevölkerung richtet sich heute wie damals gegen jene, die Pflanzenschutzmittel einsetzen: Die Landwirtinnen und Landwirte. Warum sie das tun, hinterfragen (zu) wenige.
Es geht, wenn alle mitmachen
Man kann es nicht oft genug sagen: Niemand spritzt zum Spass. Und ein Mittel, das Schädlinge töten soll, kann nun mal nicht gerade gesund sein. Zwar kann man ähnliche Effekte beim Schutz landwirtschaftlicher Kulturen auch mit biologischen Mitteln erreichen, sie sind aber meist weniger wirksam, aufwändiger und teurer. Das kann man so lange hinnehmen, wie es alle Beteiligten mittragen und nicht der Norm entsprechendes Gemüse genauso akzeptieren, wie kleinere Ernten (ohne die Ware 1:1 mit Importen zu ersetzen). Dazu braucht es mehr Wertschätzung und weniger Food Waste, dann können wir Ertragsausfälle ausgleichen. Und nach einem Hagelsturm gibt es eine Weile keinen Blattsalat aus dem Freiland – Not macht erfinderisch und man kann diverses Gemüse als Salat zubereiten.
Die Landwirtschaft in der Defensive
In der Pflanzenschutzdebatte sind landwirtschaftliche Akteure meist in der Defensive. Auf Tafeln am Feldrand stehen Sätze wie «Wir schützen was wir lieben», «Wir schützen dein Essen» oder schlicht «geschützt» bzw. «ungeschützt» auf den Parzellen der IG Bauern Unternehmen. Könnte man die Sache anders angehen, um die Konsumenten direkt in die Pflicht zu nehmen? Tatsächlich geht die Kampagne «Agrarlobby stoppen» diverser Umweltorganisationen in diese Richtung. Dort heisst es nach den Forderungen des Appells, den man unterschreiben soll, «Als Konsumentinnen und Konsumenten schützen wir Boden, Wasser und die Bauernfamilien, indem wir ökologisch einkaufen und konsumieren.» Das wirkt aber eher wie ein Nachsatz. Auf den Plakaten sind tote Bienen, kein Einkaufskorb.
Alleine geht es nicht
Pflanzenschutzmittel, die ein Risiko für Umwelt und Gesundheit darstellen oder mit Hirntumoren bei Kindern in Verbindung gebracht werden, sind ein Problem. Aber sie sind ein gesamt-gesellschaftliches Problem, das nur gesamt-gesellschaftlich gelöst werden kann. Bäuerinnen und Bauern müssen sich auf die Zulassungsstelle verlassen können, damit keine hochgefährlichen Wirkstoffe auf die Felder gelangen. Sie müssen sich aber auch der Unterstützung von Abnehmern, Händlern und Konsumenten sicher sein können, wenn ein weiteres chemisches «Werkzeug» wegen neuer Erkenntnisse gestrichen werden muss. Zudem braucht es die Forschung, um neue Alternativen zu finden.
Es wäre eine gute Investition
Das Ganze läuft auf die Frage hinaus, wofür man sein Geld ausgeben will. Womit wir wieder bei Aldi sind. Die Unterstützung der Bemühungen für schmackhaftes Essen ohne Nebenwirkungen auf Mensch und Umwelt, ist eine gute Investition – eine Investition in die Zukunft, also in «mehr Leben».