Die Getreideernte ist eine logistische Mammutaufgabe. Alleine beim Brotgetreide gibt es zahlreiche verschiedene Posten, die separat gelagert werden müssen. Weizen verschiedener Qualitäten und Labels, Dinkel, Roggen, herbizidfrei, biologisch, konventionell. Oft kommen auch  noch spezifische ­Anforderungen einzelner Verarbeiter dazu. Die separate Lagerung all dieser Posten führt dazu, dass es schwierig wird, einen Überblick über die Lagersituation zu bekommen. So weiss denn auch Swiss Granum, die Schweizerische Branchenorganisation Getreide, Ölsaaten und Eiweisspflanzen, nicht genau, wo was in welcher Menge am Lager ist. Diese Datenerfassung nach der Ernte soll jedoch künftig verbessert werden, betont Stephan Scheuner, der Direktor von Swiss Granum.

Schwierige Marktprognose

Der Getreidemarkt ist keine exakte Wissenschaft, insbesondere seit Ausbruch des Ukraine-Krieges. Die Märkte schwanken, reagieren auf jede Prognose mit nervösen Preissprüngen. Swiss Granum hat in diesen Tagen die Aufgabe, in diesem schwierigen Umfeld eine Marktprognose zu machen. Dafür wird einerseits der Lagerbestand ermittelt, andererseits der Bedarf abgeschätzt. Was fehlt, wird beim BLW für den Import beantragt.

Viel billiger Dinkel

Doch nicht nur der Markt ist unberechenbar, auch die Natur und der Konsument sind grosse Unbekannte in dieser Rechnung. Hat der Konsument im Lockdown auf gesunde, nachhaltige Nahrungsmittel gesetzt, steht er nun auf der Sparbremse. Lebensmittel sind nach wie vor einer der ersten Budgetposten, bei dem gespart werden kann. So verlieren Label- und Nischenprodukte gegenüber 2020 an Marktanteilen. Das spürte auch der einheimische Dinkel, der im Lockdown noch händeringend gesucht wurde. Als im vergangenen Jahr die Importkontingente für Brotgetreide erhöht wurden und gleichzeitig europaweit viel billiger Dinkel auf den Markt kam, schlugen die Händler deshalb zu und füllten ihre Lager. Gleichzeitig überlegte sich der Konsument, dass er doch lieber billiges Weizenbrot essen möchte. So sehen sich die Landwirte bei der diesjährigen Ernte mit noch vollen Lagern und sinkenden Preisen konfrontiert. Dabei sei man auch ein wenig Opfer des eigenen Erfolgs geworden, betont Thomas Kurth, der Geschäftsführer der IG Dinkel. Gerade für den pestizidfreien Anbau eigne sich der Dinkel sehr gut, so dass die Erträge höher seien als erwartet.

Lockerungen sind einfacher

Und nicht nur der Konsument kam auf den Geschmack in Sachen billiger Alternativen. «Die Industrie stellte in den vergangenen Jahren teilweise aus Mangel an einheimischem Urdinkel auf Importware um und merkte, dass sich damit billiger Dinkelbrot herstellen lässt», weiss Alexandre Bardet von IP-Suisse, unter deren Label der einheimische Urdinkel vermarktet wird. Es sei immer gefährlich, wenn es von einem Produkt zu wenig auf dem Markt gebe. Hat die Industrie eine Alternative gefunden, sei es schwer, dies rückgängig zu machen. Auf die Frage, ob der einheimische Dinkel einen besseren Grenzschutz brauche, meint Bardet: «Auch hier ist es einfacher zu lockern als zu verschärfen.» Als man als Notlösung Dinkel importierte, um den einheimischen Urdinkel zu strecken, hat man wohl für längere Zeit ­einen Teil des Marktpotenzials aus den Händen gegeben.

Importantrag wenn nötig

Swiss Granum wird, wenn nötig, im Herbst zusätzliche Importmengen von Brotgetreide für das kommende Jahr beantragen. Ohne Antrag bleibt es beim normalen Zollkontingent von 70 000 t verteilt auf fünf Tranchen. Aufgrund der sehr schlechten Ernte wurde im vergangenen Jahr bereits im Herbst ein Zusatzkontingent von weiteren 40 000 t beantragt. Innerhalb dieser Kontingente kann Brotgetreide zur menschlichen Ernährung importiert werden. Was genau, welche Kultur importiert wird, das weiss man erst im Nachhinein, wenn die Importe getätigt sind. Dass der Handel und die Industrie jedoch scheinbar auf die im Jahr 2020 rasant gewachsene Nachfrage nach Dinkel reagiert hat, zeigen die stark gestiegenen Dinkelmehl-Importe (siehe Grafik).

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Kosten ändern sich schnell

Neben dem Konsum gibt es bei der Einschätzung der Importmengen eine weitere Unbekannte. Die Importkontingente werden für ein Jahr festgelegt. Dies, ohne zu wissen, wie viel angebaut wird und wie die Ernte ausfallen wird. Auch die Produktionskosten verändern sich neuerdings schnell. So wurde die diesjährige Ernte noch mit sehr teurem Dünger produziert, während nun international die Energie-, Getreide- und Düngerpreise sinken und die Ernte günstiger verkauft werden muss. Eindrücklich zu sehen ist dies beim Raps, dessen Preise vor einem Jahr einen wahren Höhenflug hinlegten, während sich die Märkte nun konsoli­dieren.