Was sind Ihre Lehren aus dem Abstimmungskampf zu den Agrar-Initiativen?
Balz Strasser: Für mich gibt’s drei wichtige Lehren. Erstens hätten wir die beiden Parolen gleichzeitig und früher fassen müssen, da kam uns leider Corona in den Weg. Zweitens hätte man das Nein zur Trinkwasser-Initiative besser erklären müssen, also genauer festhalten, was für gewisse Biobetriebe nicht funktioniert. Meine dritte Lehre ist, jede Abstimmung ist irgendwann mal vorbei, aber die Herausforderungen bleiben. Mich interessieren die konkreten Lösungen dafür, das blieb mein Fokus auch während dem Abstimmungskampf.

«Die Produzent(innen) sollen das Sagen behalten, wenn es um die Weiterentwicklung geht

Balz Strasser, Geschäftsführer von Bio Suisse

Die Argumentation «Angst vor zu viel Bio und sinkenden Preisen», war das im Nachhinein die richtige Argumentation?
Das war ja nur eines von 20 Argumenten, das ein paar Journalisten herausgepickt und hochgeschaukelt haben. Da haben wir im Umgang mit Medien etwas dazu gelernt. Aber ich stehe schon dazu, wir haben Ruhe im Verband, wenn die Preise stimmen, und ich finde es wichtig dass unsere Produzentinnen und Produzenten faire Preise erhalten. Hier wurde leider die Margen und die Produzentenpreise vermischt.

Im Nachgang zum Entscheid der DV hat Bio Suisse nach scharfer Kritik aus Kundenkreisen laviert. Ist Bio Suisse ein Produzenten- oder Konsumentenverband?
Wir sind klar ein Verband der Bioproduzenten und -produzentinnen und werden das in unserer DNA auch immer bleiben. Unser Ziel ist es, auch die Lizenznehmer und später den Konsum als wichtige Bindeglieder zu integrieren. Die Produzent(innen) sollen jedoch das Sagen behalten, wenn es um die Weiterentwicklung geht. Aber wir haben natürlich ein enormes Spannungsfeld im Dreieck Verband, Label und Organisation im Dienst nachhaltiger Landwirtschaft.

Habt Ihr Euch im Abstimmungskampf etwas alleingelassen gefühlt?
Nein eigentlich nicht, wir waren in regelmässigem Kontakt mit Bauernverband, Initianten und Detailhandel und haben mit den Partnern immer auch wieder gesprochen. Der Detailhandel war sicher nicht besonders laut, die Gründe kenne ich nicht. Aber wir müssen uns vor allem an der eigenen Nase nehmen, wir waren einfach zu spät und vielleicht nicht scharf genug mit unseren Argumenten.

Manchmal entstand der Eindruck, dass die Geschäftsstelle etwas grüner ist als die Basis, ist die Distanz zu gross geworden?
Wir haben sicher eine eher urbane Belegschaft, aber das spielt im Arbeitsalltag keine Rolle. Wichtig ist, dass die Geschäftsstelle das macht, was der Verband will. Wie in der Öffentlichkeit gab es hier die eine oder andere Enttäuschung unter den Mitarbeitenden: Viele Leute arbeiten bei Bio Suisse, um die Welt nachhaltiger zu gestalten. Für mich war die Diskussion um die Initiativen positiv, weil klar wurde, dass wir in der Branche Differenzen haben und darüber reden müssen: Wohin wollen wir, Stichwort Ernährungspolitik oder sehr konkretere Frage, wie gehen wir beispielsweise mit dem Kükentöten um?

«Das Thema Spermasexing kommt im Herbst noch einmal an die DV, ein Antrag liegt bereits vor.»

Wenn wir grade beim Kükentöten sind: Welchen Weg will Bio Suisse da einschlagen?
Der Weg ist noch nicht definiert. Bruderhähne werden sicher ein Teil der Lösung sein, aber das Langfristziel Zweinutzungshuhn wird auch breit diskutiert. Der Umgang mit der Geschlechtserkennung im Ei dagegen wollen wir an unserer DV im Herbst geklärt haben, nur so gibt es die nötige Investitionssicherheit.

Wie ist der Stand beim Verbot für Spermasexing? Das würden viele Biobauern noch so gerne anwenden…
Auch dieses Thema kommt im Herbst noch einmal an die DV, ein Antrag liegt bereits vor. Es gab darüber Unklarheiten an der letzten elektronischen DV, deshalb wird diese Diskussion noch einmal aufgenommen.

Das niederschwellige Gentech-Modell Crispr-Cas ist im Moment kein Thema für Bio Suisse?
Nein, die Zulassung ist kein Thema.

Per Ende Jahr wird bei den Wiederkäuern ja auf 100 Prozent Schweizer Futter und maximal 5 Prozent Kraftfutter verschärft. Sind Sie da auf Kurs?
Ja, das kommt gut, wobei es sicher die eine oder andere Schwierigkeit geben wird bei der Umstellung. Wir hatten aber genug Vorlaufzeit, jetzt müssen wir’s einfach umsetzen, etwas Nervosität ist vor jeder Frist spürbar, das gehört dazu.

«Ich bin immer wieder überrascht, wie progressiv und mutig die Vorschläge der Produzenten sind.»

Gibt es eine Auseinandersetzung zwischen Pionieren und «Produzierenden» bei Bio Suisse?
Zuerst einmal: auch unsere Pioniere produzieren! Wenn wir als Verbandsziel das Bioland Schweiz haben wollen, werden wir heterogener. Wichtig ist, dass die Diskussionen in den Gremien wie bisher intensiv geführt werden. Ich bin hier immer wieder überrascht, wie progressiv und mutig die Vorschläge der Produzenten sind, z.B. bei der Wiederkäuer-Fütterung. Das Motto lautet: Ja, wir wollen die Herausforderungen angehen, und wir wollen das Problem in der Schweiz lösen.

Aber einem Grossteil der Konsumenten geht die Biolandwirtschaft offenbar immer noch zu wenig weit…
Wir haben es noch nicht geschafft, unsere Konsumenten und Konsumentinnen auf die Weiterentwicklungsreise der Bio-Landwirtschaft mitzunehmen. Das hat natürlich auch mit der Lebensmittelwerbung allgemein zu tun. Man verkauft dort schöne Erlebnisse, die nicht immer der Realität entsprechen, hier müssen wir einen Weg finden.

Wobei Eure neuste Fernsehwerbung macht da immer noch auf Idylle.
Erstens werden die Werbekampagnen einmal gemacht und bleiben vier Jahre. Die Kampagne strahlt eine klare Botschaft aus, Bio vom Feld bis auf den Teller. Das wollen wir rüberbringen. Zweitens ist Werbung auch nicht das geeignete Gefäss für die grossen problematischen Themen. Wenn es um die Weiterentwicklung von Bio geht, werden wir den Konsum stärker involvieren müssen, diesen jedoch auch fordern, noch stärker Teil der Lösung zu sein!

«In den nächsten Jahren brauchen wir sehr viele Mittel, um mit unseren strategischen Projekten weiterzukommen.»

Neu habt Ihr auch Migros an Bord, wie ist diese Zusammenarbeit zustande gekommen?
Wir arbeiten ja schon länger mit der Migros zusammen, wenn es um Rohprodukte aus der Schweiz geht. Wir waren in den letzten Jahren immer eng im Gespräch, die Migros kennt das Potential der Knospe gut. Ich gehe davon aus, dass es Migros-intern einen Entscheidungsprozess gab, wo plötzlich alles zusammenpasste.

Das bedeutet für Euch jetzt einen Sprung bei den Lizenzeinnahmen?
Für die Knospe ist es vor allem ein Riesen-Meilenstein und eine Anerkennung, dass auch unsere Verarbeitungsrichtlinien einen hohen Wert haben. Und, das vergisst man oft, wir unternehmen bei Importprodukten enorme Anstrengungen, um im Ausland die gleiche Produktequalität zu gewährleisten. Natürlich nehmen wir jetzt auch mehr Geld ein, aber der Schritt löst vorerst zunehmende Kosten aus, nicht nur kurzfristig. Und wir beteiligen uns ja z.B. auch an Promotionen in den Läden. Aber am wichtigsten ist, in den nächsten Jahren brauchen wir sehr viele Mittel, um mit unseren strategischen Projekten weiterzukommen: Lösungen fürs Klima, das Tierwohl, die soziale Verantwortung, oder Beiträge für die Sortenzüchtung. Und mit Biomondo.ch haben wir soeben einen digitalen Marktplatz für die Bio-Landwirschaft lanciert, das kostet, ist aber gut investiertes Geld.

Ein Landwirt will nun einen Antrag an die DV lancieren, um Lizenzgebühren und Produzentenbeiträge um 10 % zu senken, das lehnen Sie ab?
Ich meine, das macht für den einzelnen Produzenten einen sehr kleinen Unterschied. Investieren wir das Geld in zukunftsträchtige Projekte, bringt das der Mehrheit viel mehr. Falls der Antrag kommt, soll die DV entscheiden. Wir werden dies dann selbstverständlich mittragen.

«Wir wollen eine mehrheitsfähige Klima-Lösung, sonst endet das wie beim CO2-Gesetz.»

Fühlen Sie sich bedrängt von IP-Suisse?
Ich habe sehr viel Respekt für die Arbeit von IP-Suisse. Wir pflegen einen sehr guten Austausch und schauen, wo wir voneinander lernen können, so etwa im Bereich Klima. Ich empfinde das nicht als Konkurrenz, ebenso wenig wie z.B. mit Demeter. Alles was die Landwirtschaft in der Schweiz nachhaltiger macht, ist für mich positiv. Der nächste Schritt eines IP-Betriebs ist die Überlegung, ob er Bio machen will. Aber ich sage auch immer: IP ist nicht Bio. Bei IP kann jeder auslesen, wo er aktiv sein will, Bio funktioniert aber nur als ganzheitliches System.

Was setzt Bio Suisse dem Klimapunkteprogramm von IP-Suisse entgegen?
Dazu kann ich noch nicht viel sagen. Wir sind intern mit Hochdruck daran, unsere Klimaziele zu debattieren, Entscheide fallen erst im kommenden Frühjahr an der DV. Es sollen aber konkrete Ergebnisse und Massnahmen daraus resultieren.

Ist CO2-Neutralität ein Thema?
Ja, Klima-Neutralität wird ein Thema sein, die Frage ist dann auch, bis wann so ein Ziel erreicht sein soll. Wir wollen eine mehrheitsfähige Lösung, sonst endet das wie bei der Abstimmung über das CO2-Gesetz. 

 

Reorganisation der Geschäftsstelle

Die Bio Suisse verändert derzeit die Organisationsstruktur der Geschäftsstelle in Basel. Vor einem Jahr wurde die Abteilung strategische Projekte gegründet, welche die thematische Weiterentwicklung der Knospe zum Ziel hat. Derzeit liegt der Fokus auf den Themen Tierwohl (vor allem Kükentöten), Klima und internationale, soziale Verantwortung.

Gleichzeitig werden in einer neuen Abteilung die Kommunikation und das Marketing zusammengeführt. Hier hat man auch einen sogenannten Newsroom geschaffen, in dem die Marketing- und Unternehmenskommunikation in sämtlichen Bereichen zentral verwaltet wird.

Das Produktmanagement wird aus dem Marketingbereich herausgenommenund zusammen mit dem Key Account in eine neue Abteilung Märkte eingegliedert. Hier will man sich vermehrt umfassend um neue Ernährungsthemen kümmern und diese Trends so herunterbrechen, dass die Produktion diese Nachfrage decken kann. Umgekehrt soll dafür gesorgt werden, dass bei der Nachfrage auch die Nebeneffekte stärker berücksichtigt werden, wie Balz Strasser sagt. «Wenn am Markt mehr Milch verlangt wird, dann müssen wir dafür sorgen, dass auch das vermehrt entstehende Kalbfleisch gewinnbringend vermarktet werden kann».