Der Fleischkonsum hat in den letzten sechs Jahrzehnten einen bemerkenswerten Wandel durchlaufen. Einst galt Fleisch als Inbegriff von Wohlstand und Fortschritt, doch wurde es zunehmend kritisch betrachtet – als Ausdruck ökologischer und sozialer Probleme. Agrarhistoriker Juri Auderset beleuchtete diese Entwicklungen anlässlich der Jubiläumsfachtagung der Proviande am 21. August 2024 in Bern. Er zeigte auf, wie komplexe gesellschaftliche und wirtschaftliche Mechanismen diesen Wandel beeinflusst hatten.

Der Aufstieg des Fleischkonsums

«Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte der Fleischkonsum einen unerwartet rasanten Anstieg», erklärte Juri Auderset. Er wies darauf hin, dass die sogenannte «Meatification» – also die zunehmende Bedeutung von Fleisch in der Ernährungskultur – in dieser Zeit eine explosionsartige Vermehrung des Angebots an tierischen Proteinen mit sich brachte. «Manche sprechen von einer ‹Demokratisierung› des Fleischkonsums», führte Auderset weiter aus, «das Fleisch verlor seinen Status als Privileg der Oberschicht und wurde zu einem Volksnahrungsmittel.»

Die Nachkriegszeit war zunächst stark geprägt von den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. «Rationierung, fleischlose Tage und Wochen hatten das Bewusstsein für den Wert von Fleisch geschärft», so Juri Auderset. In dieser Zeit hätten Kochbücher für fleischlose Ernährung, wie Albertina Hüni-Hünis «Das neue Kochbuch für die fleischlosen Tage für jedermann» von 1941, grossen Erfolg gehabt. Doch mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und der Industrialisierung der Fleischverarbeitung sei der Fleischkonsum rapide angestiegen. «Fleisch wurde zum Symbol für körperliche Stärke, Maskulinität und sozialen Aufstieg», betonte Auderset. [IMG 4]

Die Veränderungen im Konsumverhalten

[IMG 3] Mit dem Aufstieg der Supermärkte und der Selbstbedienung veränderte sich das Einkaufsverhalten der Konsumenten grundlegend. «Der Gang in die Metzgerei wurde zunehmend durch die Autofahrt in den Supermarkt ersetzt», erklärte der Agrarhistoriker. «Die Vision des immer verfügbaren und billigen Fleisches wurde Wirklichkeit, was zu einem erheblichen Druck auf die gewerblichen Metzgereien führte.» So sank die Zahl der Metzgereien von etwa 4000 in den 1950er Jahren auf rund 2000 in den 1990er Jahren. «Fleisch war nun fast immer und überall zu kaufen», fasste Auderset die damalige Situation zusammen.

Juri Auderset erläuterte, dass sich das Konsummuster ebenfalls geändert habe. «Die Konsumenten begannen, selektive Präferenzen zu entwickeln», sagte er. «Es wurde mehr Wert auf teurere Spezialstücke gelegt, die sich gut für die Schnellküche eigneten. Diese Veränderung führte zu einem Umbruch im Metzgergewerbe, das sich den ständig höheren Anforderungen der Konsumenten anpassen musste.»

Der Wandel der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung

«In den 1950er und 1960er Jahren erlebten wir eine dritte landwirtschaftliche Revolution», erklärte Juri Auderset. Diese habe dazu geführt, dass Tiere nicht mehr als polyvalente Arbeitswesen, sondern zunehmend als monofunktionale Fleischlieferanten wahrgenommen wurden. «Die räumliche, sinnliche und lebensweltliche Distanzierung zwischen der Haltung, Fütterung und Schlachtung lebendiger Tiere und dem Fleischeinkauf wurde immer grösser», so Auderset weiter.

Er erinnerte auch daran, dass bereits in den 1960er Jahren Kritik am hohen Fleischkonsum aufgekommen sei. «Diese Kritik hatte viele Stimmen und war unterschiedlich motiviert», sagte er. «Besonders der hohe Fleischkonsum des Westens wurde problematisiert: Das Vieh der Reichen frisst das Getreide der Armen.»

Fleisch als Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen

Der Agrarhistoriker hob in seinen Ausführungen hervor, dass der Wandel des Fleischkonsums nicht isoliert betrachtet werden könne. «Der Wandel des Fleischkonsums ist Teil eines umfassenden gesellschaftlichen Wandels», erklärte er. Dieser sei durch technologischen Wandel, veränderte Vermarktungsstrategien, neue Einkaufs- und Konsumverhalten sowie durch Veränderungen in der landwirtschaftlichen Tierhaltung geprägt worden.

«Die Nachkriegszeit markierte eine Epochenschwelle in der Geschichte des Fleisches», betonte Auderset. «Was einst als Symbol für Wohlstand galt, wurde heute oft als Zeichen einer Krise verstanden. Der Wandel im Fleischkonsum ist Ausdruck einer Problemgeschichte der Gegenwart, die mit den Nachkriegsjahren begann.»

Der Fleischkonsum war also mehr denn je ein politisches und gesellschaftliches Thema. Während der Konsum auf hohem Niveau stabil blieb, veränderte sich das Gespräch darüber: «Fleisch ist nicht mehr nur ein Nahrungsmittel», sagte Juri Auderset abschliessend, «sondern ein Symbol für grössere gesellschaftliche Zusammenhänge und Konflikte.» Der Wandel des Fleischkonsums, so betonte er, sei nicht nur eine Frage des individuellen Verhaltens gewesen, sondern tief in den strukturellen Veränderungen unserer Gesellschaft verwurzelt.

Was lief am Treffen der Fleischbranche in Bern?

Der Einladung zur Jubiläums-Fachtagung vom 21. August 2024 von Proviande in der Bern Expo folgten rund 125 Vertreterinnen und Vertreter der Wertschöpfungskette Fleisch und Partner der Fleischbranche, Behördenmitglieder und Politiker. Markus Zemp, Präsident von Proviande, begrüsste die Gäste und hob die Beliebtheit von Fleisch hervor: «Die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten lieben Fleisch ungebrochen und die Viehwirtschaft und ihre Produkte Milch, Fleisch, Käse und Eier sind in der DNA der Schweiz!» Die Landwirtschaft sei sehr bedeutsam und bleibe es weiterhin.
Gäste, wie Christian Hofer, Direktor des Bundesamt für Landwirtschaft, oder Balz Horber, ehemaliger Direktor des Schweizer Fleischfachverbandes, wie auch Lorenz Wyss, bis vor kurzem CEO der Bell Food Group betonten in ihren Referaten und Grussbotschaften die Wichtigkeit der Wertschöpfungskette Fleisch und blickten zurück und nach vorne. So stellte beispielsweise Lorenz Wyss die Frage: «Wie bereiten wir uns heute auf morgen vor?» Er wies darauf hin, dass der Fleischkonsum pro Kopf in der Schweiz insgesamt rückläufig sei und weiter sinken dürfte. Gleichzeitig steige aber die absolute Menge an verkauftem Fleisch wegen der wachsenden Bevölkerung. «Solange das Bevölkerungswachstum hoch bleibt, wird auch der absolute Fleischkonsum zunehmen», fasste Wyss den Blick in die Zukunft zusammen.