Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Ueli Bachmann (fiktive Person) hat Lust auf ein Sandwich zum Zmittag. Bei seinem vertrauten Detailhändler greift er in das Brotregal nach einem Laib Brot. Sein Blick fällt auf das Etikett – hergestellt im Ausland. Auf einem anderen Laib Brot prangt das Schweizer Kreuz. Er entscheidet sich für das Brot aus Schweizer Produktion.

Swissness und Nachhaltigkeit von Nahrungsmitteln gewinnen bei den Schweizer Konsumenten immer mehr an Bedeutung. Um die Herkunft Schweiz bei den Konsumenten transparent zu machen, setzt sich Swiss Granum für eine Verbesserung der Deklaration für Brot und Backwaren im Offenverkauf ein – zukünftig soll das Produktionsland sichtbar für den Kunden angegeben werden. Dies ist Bestandteil der neulich gestarteten Mehrwertstrategie für Getreide und Ölsaaten.

Herr Scheuner, was verbirgt sich unter dem Begriff «Mehrwertstrategie» überhaupt?

Stephan Scheuner: 2012 wurde die Charta zur «Qualitätsstrategie der Schweizerischen Land- und Ernährungswirtschaft» unterzeichnet, welche gemeinsame Werte der Akteure der Wertschöpfungskette enthält. Zur Förderung dieser Qualitätsstrategie wurde 2016 ein Verein gegründet. Swiss Granum hat die Charta mitunterzeichnet und zählt zu den Gründungsorganisationen dieses Vereins. Die Branche übernimmt damit eine Mitverantwortung in der Umsetzung der Ziele und gemeinsamen Werte der Charta. Jede Branche entwickelt dazu ihre eigene Mehrwertstrategie. Konkret gilt es aufzuzeigen, warum Schweizer Produkte wie z. B. Brot oder Rapsöl bevorzugt werden sollen. Es geht also darum, die in den Produkten steckenden Leistungen der Schweizer Wertschöpfungskette und die so geschaffenen Mehrwerte sichtbar zu machen. Mit «Suisse-plus» unterstützt der Verein «Qualitätsstrategie» die vielfältigen Anstrengungen und das Vorankommen der verschiedenen Branchen.

Sie sagen, dass den Konsumenten gezeigt werden soll, welche Werte in den einheimischen Produkten stecken. Welche wären das?

Die Vereine Schweizer Brot und Schweizer Rapsöl machen die Basiskommunikation für einheimisches Getreide, Mehl und Brot sowie für Rapsöl. Sie haben die Werte dieser Produkte identifiziert. Als Kernwerte beim Brot gelten etwa Herkunft und Verarbeitung Schweiz oder der Genuss. Beim Rapsöl sind die Kernwerte Natürlichkeit, Sicherheit sowie Gesundheit und Ausgewogenheit. Diese Werte werden in die Basiskommunikation der beiden Vereine integriert. Neben der Swissness ist auch die Nachhaltigkeit von Nahrungsmitteln ein zunehmend wichtiger werdendes Anliegen beim Kaufentscheid. Um dies gegenüber den Konsumentinnen und Konsumenten sichtbar zu machen, braucht es fundierte Inhalte und belastbare Argumente für die einheimischen Produkte. Dazu wurden in diesem Jahr zwei Projekte lanciert – die Nachhaltigkeitsstudie Raps und das Forschungsprojekt «nachhaltiger Rapsanbau».

Warum sind Arbeiten in dieser Hinsicht notwendig? Werden zu wenig einheimische Produkte gekauft?

Es geht darum, zu sagen, was wir heute schon gut machen und gemeinsam noch besser zu werden. Aber auch darum, sicherzustellen, dass die ganze Branche das heute schon hohe Niveau hält. Konkret muss die Branche einerseits die Aspekte sicherstellen und weiterentwickeln, bei denen wir heute gegenüber dem Ausland Vorteile aufweisen. Beispielsweise bei der pflanzlichen Produktion mit den ökologischen Richtlinien des ÖLN oder im Bereich Tierwohl. Andererseits sieht sich die Branche aber auch mit gesellschaftspolitischen Forderungen konfrontiert.

«Es geht darum, die in den Produkten steckenden Leistungen sichtbar zu machen.»

Stephan Scheuner, Direktor der BranchenorganisationSwiss Granum

So stellen sich etwa im Pflanzenbau heute und in Zukunft verschiedene agronomische Herausforderungen. Dazu zählen z. B. die Reduktion des Hilfsstoffeinsatzes, die Auswirkungen des Wegfalls der Saatgutbeizung oder auch die Hitzetoleranz von Sorten. Auch die Herkunft der Futtermittel für unsere Nutztiere ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen, weshalb sich die Branche bemüht, im Futter noch mehr Schweizer Getreide einzusetzen. Daneben ist die Branche in den letzten Jahren von massiv angestiegenen Backwarenimporten betroffen.

Die Schweiz kann aufgrund des tiefen Zollschutzes für die unter Tarifnummer 1905 importierten Produkte mit dem Preisniveau des Auslandes nicht mithalten. Um die Herkunft Schweiz bei den Konsumentinnen und Konsumenten transparent zu machen, setzen wir uns für eine Verbesserung der Deklaration für Brot und Backwaren im Offenverkauf ein. Zukünftig soll bei diesen Produkten an einem für Kunden sichtbaren Platz das Produktionsland angeben werden müssen.

Wie finanziert Swiss Granum ihre Mehrwertstrategie?

Die Mehrwertstrategie ist Bestandteil des Tätigkeitsprogramms von Swiss Granum.Für Forschungsprojekte suchenwir die Zusammenarbeit mit den Branchenpartnern sowie dem Bundesamt für Landwirtschaft, welche beispielsweise das erwähnte Forschungsprojekt «nachhaltiger Rapsanbau» finanziell unterstützen.

Während des Lockdowns beobachtete Swiss Granum einen Trend für regionale Produkte und kurze Transportwege. Wie hat sich dieser Trend nach Öffnung der Grenzen weiterentwickelt?

Wie in anderen Branchen war auch bei uns eine Rückkehr zu alten Verhaltensmustern zu beobachten. Ein Teil der befragten KonsumentInnen äusserte sich z. B. in einer Studie der Hochschule Luzern jedoch dahingehend, dass sie eine Änderung ihres Konsumverhaltens auch nach dem Lockdown beibehalten möchten. Das Marktforschungsunternehmen Nielsen Company erwartet, dass zukünftig die Herkunft der Produkte an Bedeutung gewinnen und die lokale Produktion von den Konsument(innen) deutlicher bevorzugt wird. Ob sich diese geäusserte oder erwartete Verhaltensänderung längerfristig beobachten lässt, wird sich erst zeigen.

Über welchen Zeitraum erstrecken sich die Arbeiten der Mehrwertstrategie?

Der konkrete Zeitplan ist noch nicht festgelegt, denn der Prozess wurde erst angestossen. Die Mehrwertstrategie wird auch nicht zu einem fixen Zeitpunkt abgeschlossen sein. Denn wir befinden uns in einem kontinuierlichen Prozess, in dem wir uns als Branche an sich verändernde Bedürfnisse oder Rahmenbedingungen anpassen müssen. Der Swiss-Granum-Vorstand wird sich an seinen Sitzungen im Frühjahr 2021 weiter mit der Thematik beschäftigen.

Wann rechnen Sie mit ersten Erfolgen?

Erste Erfolge sind bereits heute da. So wird etwa die Auslobung der Herkunft von Brot diskutiert und vom Verein Schweizer Brot konkret weiter vorangetrieben. Der Ständerat hat dazu die Motion seiner Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur angenommen. Sowohl Ständerat wie auch der Bundesrat unterstützen die Einführung einer Deklarationspflicht für Brot und Backwaren im Offenverkauf. Oder es wurden Diskussionen zur Herkunft der Futtermittelrohstoffe geführt, um mehr Schweizer Getreide einzusetzen.

Denn, um das Schweizer Fleisch glaubwürdig zu halten, brauchen wir inländische Futtermittelrohstoffe. Auch die initiierten Forschungsprojekte beim Raps zeigen, dass die Branche die aktuellen Herausforderungen aktiv angeht. Als Erfolg werten wir auch, dass die ganze Branche ihr Commitment zur Erarbeitung einer Mehrwertstrategie abgegeben hat. Das ist als Branchenorganisation nicht selbstverständlich. Denn wir vertreten drei Wertschöpfungsketten Brotgetreide, Futtergetreide und Eiweisspflanzen sowie Ölsaaten, in denen 17 Mitgliederorganisationen mit heterogenen Interessen organisiert sind.

Interview (schriftlich)