«Die Nachhaltigkeit wird im klassischen Marketing weniger Platz erhalten, stattdessen heben wir dort vermehrt unsere Preisvorteile hervor.» Mit diesem Satz im «Sonntagsblick» hat Christopher Rohrer, der seit Januar 2024 Leiter der Direktion Nachhaltigkeit der Migros-Gruppe ist, einen Sturm im Wasserglas verursacht.
Der Titel «nachhaltigste Detailhändlerin der Welt», mit dem sich das Unternehmen jahrelang stolz geschmückt habe, geniesse nicht mehr oberste Priorität: «Der Verzicht auf gewisse Massnahmen kann zur Folge haben, dass wir in Zukunft auf das Label als ‹nachhaltigste Detailhändlerin der Welt› verzichten müssen», sagt Rohrer im Interview und meint, damit müsse man leben. «Statt schöner Marketingkampagnen wollen wir lieber im Hintergrund tatsächlich auch etwas bewirken», lässt er sich zitieren.
Wenn zum Beispiel für importiertes Fleisch die gleichen Tierstandards verlangt würden wie in der Schweiz, klinge das toll. «Wenn die Konsumentinnen und Konsumenten ihr Importfleisch dann aber einfach bei der Konkurrenz kaufen, weil es dort billiger ist, nützt das dem Tierwohl rein gar nichts – die Migros verliert aber Marktanteile», so Rohrer.
Sinnlose Millionen für Applaus
Wie Christopher Rohrer im «Sonntagsblick» dann weiter ausführt, investiere man beim orangen Riesen aber nicht mehr sinnlos Millionen, um Applaus zu erhalten für populäre, aber wenig effiziente Massnahmen. Stattdessen setze man vermehrt auf Anpassungen im Hintergrund, die für die Klimabilanz auch tatsächlich entscheidend seien.
Getitelt wird im «Sonntagsblick» schliesslich mit «Preis- statt Plastikreduktionen: Migros-Führung sagt sich los von grüner Vorreiterrolle». In Zürichs Gassen zieht der «Tagesanzeiger» tagsdarauf nach: «Migros will nicht mehr ‹nachhaltigste Detailhändlerin der Welt› sein.» Die Migros ist die grösste Kundin der Schweizer Landwirtschaft. Geht es um Nachhaltigkeit, kommt zum einen mit dem kleineren Anteil die Knospe in den Fokus. Mit einem bedeutenden Umsatz von rund 1,4 Milliarden Franken dürften die IP-Suisse-Bauern von einer möglichen Abkehr der Migros von der Nachhaltigkeit stark betroffen sein.
Was sagt IP-Suisse?
Wir haben bei IP-Suisse-Präsident Andreas Stalder nachgefragt, wie diese Botschaft des Migros-Nachhaltigkeits-Chefs in Zollikofen BE gewertet wird. «Migros hatte über 20 Jahre grosse Sympathie mit einer nachhaltigen Produktion und war damit offensichtlich auch der Meinung, dass man in der Schweiz weiter gehen muss, als es von Bern her gefordert wird. Darum ist auch diese Zusammenarbeit entstanden», erklärt Stalder. Gefragt danach, ob ihm diese mögliche Abkehr der Migros nicht Sorgen bereite, verneint der IP-Suisse-Präsident. «In diesem Artikel stand nichts von einem Abbau im Bereich der Nachhaltigkeit. Rohrer hat lediglich mitgeteilt, dass man dieses Engagement nicht mehr in der bisherigen Form ausloben will. Ich empfange andere Signale von der Detailhändlerin als das, was der ‹Sonntagsblick› im Titel schrieb.»
Pro Tag würden weltweit rund 150 Arten sterben. Niemand werde sich dem verschliessen können, auch der Detailhandel nicht, sagt er. «Eine nachhaltige Produktion kann man nicht billiger machen, man kann sie schlimmstenfalls nicht wollen», erklärt Stalder und ergänzt: «Wir können diese Produktion nicht neu erfinden. Entweder finden wir Leute, die das verstehen und darum auch wollen, oder aber die Landwirtschaft wendet sich von der nachhaltigen Produktion ab.» Mehr Biodiversität und mehr Artenschutz, aber bitte schön billiger – das funktioniere nicht, sagt er.
Die Bewerbung indes dem Detailhandel zu überlassen, sei nicht mehr zielführend. «Und ‹Gut gibts die Schweizer Bauern› wird für einen Auftritt der inländischen Produktion nicht mehr ausreichen», meint er.
Stroh – ja oder nein?
So müsse man auch auf eine womöglich unangenehme Art darauf hinweisen, wie es die anderen machen – nämlich schlechter als die Schweiz. «Welches Tier hat Stroh und welches nicht? Solche Dinge müssen wir aufzeigen. Vielmehr wird der Konsument nicht aufnehmen können», ist der IP-Suisse-Präsident sicher. So werde man auch nicht drumherum kommen, anderen Produktionsweisen «an den Karren zu fahren». Gut 50 % der Nahrungsmittelproduktion für die Schweiz finde im Ausland statt. Laufend gingen Marktanteile verloren. «Wir importieren nicht das Nachhaltige, wir importieren das Billige. Es liegt auch an uns Bauern, das besser sichtbar zu machen», sagt er.
Jetzt dürfen die Bauernfamilien
[IMG 2]
Kommentar von Simone Barth
Tue Gutes und sprich darüber. Genau das scheint Migros nicht mehr machen zu wollen. Die nachhaltigste Detailhändlerin der Welt verzichtet künftig auf das Ausloben des eigenen Engagements. Diese Aussage lässt uns nun glauben, dass sich Migros auch inhaltlich von der Nachhaltigkeit abwenden könnte. Genau das dürfte aber nicht passieren.
Migros muss die Strategie ändern und Kosten senken. Sonst «groundet» sie, wie andere grosse Schweizer Marken vor ihr. Das ist mit Ein-griffen verbunden. Auch im Marketingbereich. Für die Schweizer Landwirtschaft ist genau das eine Chance. Es bringt ihr mehr, wenn Migros diese Unsummen für den Bezug von nachhaltigen Schweizer Produkten statt für ein Eigenlob ausgibt.
Die Bauern haben der Migros lange vorgeworfen, dass sie mit ihrer Werbung die Realität auf den Höfen nicht abbilde. Sich jetzt an diese teils unberechtigten Missbilligungen zu erinnern, dürfte nicht schaden. Migros wird künftig noch mehr die Preisvorteile wie Aktionen bewerben. Für inhaltliche Werbung werden dann vermehrt die Bauernfamilien zuständig sein. Dann wird es ihnen möglich sein, Realitäten abzubilden, Vorteile der inländischen Produktion auszuloben und die Zusammenhänge zwischen dem Stallgang und dem Ladengestell zu schaffen. Einfach machen muss man es.s.barth@bauernzeitung.ch
1