«Das wollen wir nicht mehr mitmachen.» Beat Baumgartner spricht von den Normen, die Landwirtschaftsprodukte für die Abnahme erfüllen müssen. Doch diese Aussage trifft für ihn und seine Mitstreiter auf vieles zu. Daher suchen sie sich ihre eigenen Wege – und haben sie mit der Sommerbeiz «Bogen 17» gefunden.

Genauste Herkunftsdeklaration

Als Gastronom steht Beat Baumgartner zwar auf der anderen, der Abnehmerseite. Die Landwirtschaft kennt er aber bestens. «Meine Grosseltern haben eine kleine Mühle betrieben und ich bin auf einem Milchwirtschafts-betrieb aufgewachsen», erzählt der Berner. Das sei schon eine prägende Kindheit, findet er. «Der Milchpreis war immer ein enormer Kampf.» Heute führt sein Bruder den Betrieb und hat ihn auf Demeter umgestellt. Das Fleisch seiner Mutterkühe liefert der Landwirt an das Team des Bogen 17 unter der Wohleibrücke in Wohlen BE, das es auf die Speisekarte gesetzt hat.

Diese Speisekarte hat es in sich. Wo andernorts knapp das Herkunftsland deklariert ist, lässt sich beim Bogen 17 nachlesen, von welchem Bauernhof oder Kleinbetrieb die Zutaten stammen. Viele davon sind in unmittelbarer Nachbarschaft zu finden. Um seinen Lieferanten Planungssicherheit zu geben, vereinbart das Team des Bogen 17 fixe Abnahmemengen. Obwohl das Geschäft in der Sommerbeiz ebenso stark vom Wetter abhängig ist wie die Erträge und Qualitäten auf dem Feld, hält er die zugesicherten Mengen ein. «Dieses Jahr werden wir auf viel Ziegenfrischkäse sitzen bleiben», bemerkt Beat Baumgartner. Die regenreichen Tage lockten wenig Besucher zum Bogen 17, der bis auf eine kleine Fläche unter der Brücke über keine gedeckten Sitzplätze verfügt. Den Frischkäse könne er auch in seinem Bekanntenkreis noch verkaufen, winkt Baumgartner ab.

Enge Zusammenarbeit wird einfacher

Die Garantie zur Abnahme beschränkt sich beim Bogen 17 nicht auf die Menge, sondern betrifft wie eingangs erwähnt auch die Qualität. «Gerade haben wir riesigen Mangold verarbeitet», schildert Beat Baumgartner. Die meisten Gastrobetriebe würden solche Ware nicht annehmen. Das Team der Sommerbeiz in Wohlen hingegen wird angesichts von Übergrösse und Überschuss kreativ, passt das Menü an und macht ein. So wird aus einer Tomatenschwemme Ende August jeweils Ketchup für das nächste Jahr.

«Die enge Zusammenarbeit mit Landwirtschaftsbetrieben ist nur die ersten zwei, drei Jahre aufwendiger», sagt Beat Baumgartner. Nach dieser Zeit würden beide Seiten die Bedürfnisse des anderen besser kennen. Seiner Erfahrung nach ist es sehr hilfreich, die Art Gemüse auf der Menükarte nicht zu detailliert anzugeben. Da steht beispielsweise einfach «Grünes und Gesundes». So wird nichts versprochen, was beim der-zeitigen Angebot nicht einzuhalten ist. Und es besteht Spielraum, um das verfügbare Gemüse kreativ zu verwerten.

Ein Ort aus der Kindheit

«Wir sind hier am Wohlensee aufgewachsen und die Wohleibrücke gehörte zu unserer Jugend», erzählt Beat Baumgartner. Mit seinem Freund Gino Gebauer und Skilehrer-Kollege Sacha Däppen habe er den Bogen 17 vor elf Jahren gegründet, der Name ist eine Anlehnung an die 16 Bögen der Wohleibrücke. Heute gehören zum Kernteam neben Baumgartner und Gino Gebauer auch Nina Ramseier und Aron Nick. Früher sei die Fläche unter der Wohleibrücke nach der Schliessung der Vorgängerbeiz ein schmutziger Ort gewesen, geprägt von Drogenhandel und Kriminalität. «Wir haben daher einen Verein gegründet, um das Naherholungsgebiet am Wohlensee aufzuwerten.» Heute bewegt sich Beat Baumgartner in zwei Welten. Denn er ist nicht nur Bauernsohn und Gastronom, sondern auch Food Designer und hat mit seinen regenerativ designten «Instelloni» kürzlich den Schweizer Designpreis gewonnen (siehe Kasten).

Regeneratives Design versus Toffifee

Beat Baumgartner hat für seine Masterarbeit an der École cantonale d’art de Lausanne (Écal) Teigwaren nach dem Ansatz von regenerativem Design entwickelt. «Dabei stehen nicht in erster Linie Kundenwünsche wie z. B. Mundgefühl oder Texturen im Vordergrund», erklärt er. Ein anschauliches Beispiel für die übliche Art der Lebensmittelentwicklung ist ein Toffifee: Die Nougatcreme muss weich, aber nicht flüssig sein. Sie soll etwas an den Zähnen kleben, aber nicht zu stark. Die Haselnuss in der Mitte sorgt für Abwechslung und Biss, der leicht bittere Schokoladenklecks oben drauf rundet den Geschmack ab.

Vom Boden her gedacht
Beat Baumgartner aber dachte seine neue Pasta vom Boden her. In einem ersten Schritt suchte er nach einer Getreidesorte, die auf den Äckern seines Bruders in Wohlen BE extensiv angebaut werden kann. So kam Baumgartner auf Emmer. Dessen Korn sollte vollständig verwertet werden. Daher musste der Designer eine Möglichkeit finden, die äusseren Teile schmackhaft zu machen. Das funktioniert mit dem japanischen Schimmelpilz Koji.

Inspiriert von Brezeli
Für die einfache Zubereitung als Instant-Pasta, die nur mit heissem Wasser übergossen werden muss, brauchte es eine weitere Verfeinerung des Teigs. Geringe Mengen Stabilisatoren wie Johannisbrotkernmehl sorgen dafür, dass die «Instelloni» sich nicht auflösen. Dank eines von Berner Brezeli inspirierten Musters aus Vertiefungen auf den etwa Handteller grossen, runden Instelloni lassen sie sich zerbrechen. Als Füllung enthält die runde Pasta getrocknetes Gemüse und Gewürze, die bei der Zubereitung zur Bouillon werden.
Beat Baumgartner plant, sie künftig in grösserem Massstab herzustellen und anzubieten. Das dauere aber noch eine Weile. 

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Spürbare Wertschätzung

Der Bogen 17 soll ein Begegnungsort sein, wo sich Menschen vom Land und aus der Landwirtschaft ebenso wohlfühlen wie Städter auf der Suche nach Ruhe oder Menschen aus der Kulturszene. «An manchen Abenden sitzen auf der einen Seite die Bauernkinder, mit denen ich aufgewachsen bin, sowie Trachtenleute», schildert Beat Baumgartner, «und auf der anderen Seite Bekannte aus der Stadt». Man tausche sich aus, die bäuerlichen Lieferanten erfahren direkt die Wertschätzung, die ihrer Arbeit und ihrer Produktion gegenüber zum Ausdruck gebracht wird. «Das ist auch schön für unsere Mit-arbeiter», ergänzt Baumgartner, «wir sprechen mit Gästen gerne über unsere Werte und unsere Zutaten».

«Wenn Boni, dann für die Bienen»

Mit dem Verzicht auf normiertes Gemüse und der Verwertung von Nebenprodukten wie Okara aus der Tofuproduktion sind Beat Baumgartner und sein Team gegen Food Waste aktiv. «Grosse Betriebe und Restaurantketten ver-stehen darunter in erster Linie mehr Effizienz in ihrer Küche», beobachtet Baumgartner. Durch weniger Rüstabfälle oder kleinere Portionen werde aber – neben einer Imagepolitur – beträchtlich Geld gespart. «Für uns stellte sich die Frage, wem dieses Geld gehört.» Dass Grossgastronomen es wie selbstverständlich in ihre eigene Tasche fliessen liessen, findet er fragwürdig.

Mehraufwände bestens gedeckt
Der Bogen 17 gibt Einsparungen durch billige Zutaten wie Okara daher via günstige Preise an die Kundschaft weiter. Auch, weil die Sommerbeiz für alle Bevölkerungsschichten erschwinglich und keine abgehobene Hipster-bude sein soll. Mehraufwände bei der Zubereitung von unförmigem Gemüse seien finanziell dank Food Save und wenig im Ankauf teurem Fleisch auch bestens gedeckt. Zusätzlich hat das Bogen-17-Team vor einem Jahr das Projekt «BieniBoni» ins Leben gerufen. Unter dem Motto «Wenn jemand Boni verdient hat, dann die Bienen» fliesst via Food Save eingespartes Geld in Biodiversitätsflächen auf einem nahen Landwirtschaftsbetrieb.

Betroffen von der Agrarpolitik
«BieniBoni» ist für Beat Baumgartner auch eine Reaktion auf die Agrarpolitik, von der er sich als Gastronom durchaus betroffen fühlt. «Die Aussagen von Markus Ritter zur Biodiversität sind schlicht gefährlich und die Politik geht in die falsche Richtung.» Daher sei er selbst aktiv geworden.

Sauce aus Auswuchsgetreide

Eine diverse Kundschaft bringt verschiedene Ansprüche mit an die Tische des Bogen 17. Womit man wieder auf die Menükarte zu sprechen kommt. «Obwohl bei uns das Meiste Bio oder Demeter ist, bieten wir Menüs zu moderaten Preisen an», versichert Beat Baumgartner. Es gibt Klassiker wie Pommes frites, verschiedene Salate und auch Bratwurst. Generell ist Fleisch aber rar auf der Karte, dafür gibt es Okara-Nuggets, vegane Alternativen zu Milchprodukten und Spezialitäten wie Kimchi, frittierte Zitronenseitlinge oder Miso. «Die Miso-Sauce stellen wir selbst aus Auswuchsgetreide her», erläutert der Gastronom. Die Demeter-Bratwurst soll buchstäblich eingefleischte Kundschaft ansprechen. Die frittierten Seitlinge oder Bärlauch-Kapern – «selbst gesammelt und eingelegt statt importiert» – seien aber auch als kleine Provokation gedacht: «Wir möchten zeigen, dass diese Pilze für sich allein so gut sind, dass es gar kein Fleisch oder Fleischersatz braucht.»

Eingeschliffene und erlernte Strukturen hinterfragen

Als Weltverbesserer fühlt sich Beat Baumgartner nicht. «Man muss sich fragen: Was kann ich beitragen, damit es der Umwelt etwas weniger schlecht geht?», erklärt er seine Haltung. Damit verbessere er nicht die Welt, aber vielleicht einen Ort. Dazu brauche es aber den Mut, die seit 50 Jahren eingeschliffenen und erlernten Strukturen zu hinterfragen – gerade auch für die junge Generation. «Hofübergaben sind oft hart», weiss Baumgartner aus eigener Erfahrung. «Da sagt man nicht so einfach zu den Eltern: Die Art, wie ihr gearbeitet habt, ist nicht zukunftsfähig». Der Gastronom ist sich aber auch bewusst, dass nicht alle so denken wie er und führt bisweilen Diskussionen über grosse Traktoren mit Junglandwirten. Ein Argument sei dann jeweils, schon der Vater habe es so gemacht. «Ja, und der Grossvater war mit dem Pferd auf dem Acker – ab wann gilt eine Anbauart als Tradition?», entgegnet Baumgartner.

Die enge Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Gastronomie fordere beide Seiten. Andere Landwirte konzentrieren sich lieber auf die Produktion und liefern an Grossabnehmer. «Das braucht es auch», findet Beat Baumgartner, «ich gehe privat ja auch ab und zu in die Migros einkaufen.» Industrie und Landwirtschaft würden seiner Meinung nach schon viel unternehmen, um den Sektor nachhaltiger zu machen. Gleichzeitig sei die Politik aber «sehr enttäuschend und handlungsunfähig». Das motiviere ihn, eigene Initiativen zu starten.