Früher sei die Qualität des aus Obwalden über den See in die Stadt Luzern gelieferten Getreides vom Ramersberg der Massstab gewesen für die Festlegung der Preise auf dem Kornmarkt Luzern, weiss Landwirt Simon Odermatt aus historischen Schriften. Das sei doch ein Beweis, dass der Getreideanbau in Obwalden früher viel verbreiteter war. Er selber wisse ja auch noch, dass zu seinen Kindszeiten auf dem elterlichen Betrieb in Alpnach und auch in der Nachbarschaft Gerste und Rüben angebaut wurden. Dann aber verschwand der Ackerbau, mit Ausnahme von Silomais, fast vollständig, machte der reinen Vieh- und Graswirtschaft Platz.

Junge Pioniere sorgen für die Renaissance

Nun aber erlebt der Getreidebau in Obwalden eine Wiedergeburt, auch begünstigt durch den Klimawandel und die vermehrte Nachfrage nach Regionalem und Natürlichkeit. Simon Odermatt absolvierte ein Lehrjahr auf einem Luzerner Betrieb, wo auch Weizen angebaut wurde. Das weckte sein Interesse. Und als er den elterlichen Betrieb Güetigen und gleichzeitig Flächen von einem Nachbarn übernehmen konnte, stand er vor der Wahl, die Viehwirtschaft aufzustocken oder Alternativen zur Flächennutzung zu suchen. Er entschied sich für den Einstieg in den Ackerbau. Heute bewirtschaftet er 20 Hektaren mit 25 Kühen und 15 Stück Jungvieh, dazu etwas Kälbermast. Unter dem Pflug sind rund 5,5 Hektaren mit Weizen, Gerste, und neu versucht er auch den Anbau von Lupine.

Bäcker als Partner

Im Sommer 2019 fragte er bei Bäckermeister Marco Berwert in Stalden an, ob dieser Interesse an Mehl aus Obwaldner Weizen habe. Dieser war sofort begeistert und so entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit . Das Weizenfeld von Odermatt weckte das Interesse von weiteren Bauern. Ein Jahr später säte Nachbar Markus Langensand ebenfalls erstmals Weizen. Sein erstes Erntejahr 2021 sei allerdings wie überall nicht so befriedigend gewesen. Für die kommende Ernte 2022 ist er allerdings zuversichtlich. Auf einer halben Hektare wächst derzeit die standfeste Biosorte Montalbano. Die Reaktionen aus der Bevölkerung seien sehr positiv, «die bisher hier unbekannten Getreidefelder stossen auf viel Sympathie.»

An einem Kurs der Obwaldner Landfrauen  wurde auf dem Betrieb Kleinmatt von Markus und Irene Langensand über das Projekt «Tschifeler Getreide» informiert. Daran nahmen rund ein Dutzend interessierte Bauern und Bäuerinnen teil. Es gehe auch darum, nicht nur das Potenzial für den Getreidebau in der Region aufzuzeigen, sondern auch die Grenzen.

Bäcker setzt auf  Tschifeler Brot
«Wir müssen den Lebensmitteln wieder einen Wert geben», sagt Marco Berwert, Bäckermeister aus Stalden. Er betreibt in vierter Generation (seit 130 Jahren) handwerkliche Backtradition mit heute 30 Mitarbeitenden. 

Bewert setzt auf Regionalität, naturbelassene Rohprodukte, so seit über 20 Jahren mit Naturel-Backwaren. Die Marke setzt auf Natürlichkeit, Bekömmlichkeit, Genuss und Verbundenheit mit einheimischem Boden in Zusammenarbeit mit IP-Suisse. Verzichtet wird auf industrielle Zusätze beim Backen. «Wichtig für ein gutes Brot sind schonende Verarbeitungsprozesse und genügend Teigruhezeit», erklärt Berwert. Für das Projekt «Tschifeler Weizen» sei er sofort offen gewesen. Die letztjährige Ernte habe zwar qualitativ eher Mühe bereitet, zumal es anspruchsvoll sei, mit naturbelassenen Rohstoffen immer die gleiche Qualität zu erreichen. Berwert weist darauf hin, dass industriell hergestellte Brote wegen vielen Zusatzstoffen voluminöser sind und stets den gleichen Geschmack aufweisen. Naturel-Brote seien etwas teurer, weil aufwendiger hergestellt. Allerdings sei der Getreidepreis nicht ausschlaggebend. Er müsse beim Brot wohl im August aber die Preise erneut erhöhen aufgrund der aktuellen Kostensteigerungen. Es seien aber vor allem die gestiegenen Strompreise und weniger die gestiegenen Weizenpreise dafür verantwortlich. Dieses Jahr sollen rund 40 t Tschifeler Weizen geerntet werden. Die beteiligten Bauern lassen die Körner im Lohn mahlen und vermarkten das Mehl selber. Das erhöhe die Wertschöpfung deutlich, erklärt Landwirt Markus Langensand. Während der konventionelle Weizenpreis letztes Jahr bei rund 45 Franken lag, bringt der Tschifeler Weizen umgerechnet 110 Franken pro Zentner, mehr als der Biopreis. Das Mehl werde für Fr. 3.70 das Kilo verkauft. «Da liegen etwas geringere Erträge und Verzicht auf Spritzen schon drin.» 

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Das Interesse wächst

Darauf wies Bruno Sticher von Samen Steffen hin, welcher über die Anforderungen informierte. Qualitativ guten Weizen oder auch Dinkel und Roggen anzubauen, sei in der Region möglich. Es brauche aber Spezialitäten, einen natürlichen, eher extensiven Anbau und gesicherte Abnehmer. Aufgrund der Strukturen und Preise in konventionelle Kanäle zu liefern, sei nicht wirtschaftlich, weiss auch Odermatt.

Inzwischen bauen in der Region bereits sieben Landwirte auf rund 8 Hektaren Tschifeler Weizen an. Für die gemeinsame Vermarktung wurde der Ackerbauverein Obwalden gegründet. Dieser schreibt unter anderem vor, dass je Betrieb maximal zwei Hektaren angebaut werden dürfen, um die Risiken zu verteilen. Mit dabei sind auch zwei Nidwaldner Betriebe und das Interesse wachse weiter. Zu regeln sei noch die Namensgebung, denn die Obwaldner als «Tschifeler» lägen in historischem Disput mit den Nidwaldner «Reissäcklern», schmunzelt Odermatt.

Standfestes Getreide
Weil Tschifeler Getreide pestizidfrei angebaut wird – nur das Saatgut ist noch gebeizt –, müsse der gesamte Anbau darauf ausgerichtet werden, erklärte Bruno Sticher von Steffen Samen. Ohne Herbizide, Fungizide und Insektizide könnten nicht maximale Erträge erwartet werden. Realistisch sei eine Ernte von 50 bis 55 Kilo pro Are. Mehr Ertrag würde mehr Stickstoff bedingen und somit Halmverkürzer und Fungizide, damit das Getreide gesund und standfest bliebe. Das sei aber für diese regionale naturnahe Spezialität nicht das Ziel. Er empfahl kurze und standfeste Sorten wie Montalbano. Pflügen und Eggen sei nötig, damit auf Herbizide verzichtet werden kann. Die Saat für Winterweizen sollte um den 10. Oktober erfolgen, rund 300 Körner pro m2, in Drillsaat rund 3 cm tief. Die Unkrautbekämpfung erfolgt mechanisch durch mehrmaliges Striegeln. Bei der Vorkultur Mais als Nährstoffzehrer sei der folgende Düngebedarf eher höher als bei der Vorkultur Kunstwiese, wo der Nährstoffvorrat im Boden höher sei. Der Stickstoffbedarf liegt insgesamt bei rund 140 kg, der Einsatz sollte in mehreren Gaben erfolgen. Einsetzbar seien auch Hofdünger wie Mist und Gülle. Wird in Hanglagen Weizen angebaut, sei der Mähdrescher der limitierende Faktor. Aber auch Erosion könnte zum Problem werden.