Manchmal gibt es Sätze, die klingen auf den ersten Blick harmlos und stellen auf den zweiten Blick die Welt auf den Kopf. So ging es mir, als ich das Urteil des Thurgauer Obergerichts las, das begründete, weshalb eine Metzgerei, die Importfleisch als «Suisse Garantie» verkaufte, keine Strafe bezahlen muss. Es sei davon auszugehen, dass die Kundschaft die Produkte zum gleichen Preis und im gleichen Umfang gekauft hätte, wenn die Angeklagten die Produkte korrekt ohne «Suisse Garantie»-Logo zum Verkauf angeboten hätten, heisst es da. Darum wurden die Geschäftsführer nicht wegen Betruges verurteilt. Den Beschuldigten sei aus der Umdeklaration kein Gewinn oder Ertrag entstanden.
Irgendwer wird produzieren
Der Zufall wollte es, dass ich am selben Tag einen Rindermäster traf. Einen, der voller Motivation vor ein paar Jahren beschloss, aus bestem Weidegras Bio-Rindfleisch zu produzieren. Eine Nische, die stets unterversorgt ist; die Preise wären gut, die Tiere glücklich. Doch nun möge er einfach nicht mehr, überlege sich, den Tierbestand zu reduzieren, wenn nicht gar ganz aufzuhören. Stets neue Vorschriften führen dazu, dass er aktuell Tiere im Stall hat, die er vor Monaten teuer zugekauft hat und die nun niemand mehr will. Er wird viel Geld drauflegen, weil der Vermarkter während des Spiels die Regeln geändert hat. Einfach so. Weil man weiss: Irgendwo wird sich ein Produzent verbiegen und das Unmögliche möglich machen. Irgendwer wird es produzieren. Gewinnen wird vielleicht niemand daran, ausser das gute Gewissen des Konsumenten. Der Bauer als Opfer des eigenen Erfolgs.
Missernten auf dem Feld
Geld draufgelegt haben in diesem Jahr aber nicht nur die Fleischproduzenten, allen voran die Schweineproduzenten. Wetterkapriolen haben auf Feldern und Obstplantagen zu Missernten geführt. Es sei nicht einmal eine Frage des Preises, ob die Anbaubereitschaft bestehen bleibe, rechnete mir ein Ackerbauer vor.
Dem Konsumenten ist es egal
Die stete Ungewissheit nagt an der Motivation. Es macht die Landwirte wütend, dass sie stets mit neuen Beschränkungen und Vorschriften konfrontiert werden. Fällt ihre Ernte jedoch ins Wasser oder der Trockenheit zum Opfer, wird sie nahtlos mit Importen ersetzt. Dem Konsumenten ist es egal, das ist nun sozusagen schwarz auf weiss gerichtlich bestätigt. Ja, man merkt es nicht einmal mehr beim Preis.
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Gleich teuer im Ausland
Lange war das Argument für Importe ja der Preis. Wollte der Konsument nicht so tief ins Portemonnaie greifen, dann holte der Grossverteiler die Produkte dort, wo die Löhne, die Moral und die Vorschriften tief sind, was zu billigen Einkaufspreisen führte. Wie das Beispiel des umdeklarierten Importfleischs nun zeigt, kostet jedoch Qualität im Ausland nicht weniger. Nur sind hierzulande die Produktionskosten, Löhne und Vorschriften deutlich höher. Immer mehr Risiko wird auf die Landwirte abgewälzt. Dem Konsumenten und dem Handel ist es egal und für den Preis unbedeutend.
Jeden Wunsch erfüllt
Die Schweizer Landwirte haben in den vergangenen Jahren die Quadratur des Kreises geschafft: Sie sind gewachsen, rationeller
geworden, haben ihre Betriebe nach wirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet, nebenbei Hecken gepflanzt, Hasen-
gassen angelegt, Blümchen gesät, ihren Kühen das Protein und Antibiotika vorenthalten. Ganz nach dem Motto «Der Kunde und das Geld sind König» hat man das Unmögliche möglich gemacht.
So findet heute jeder im Laden, was ihn wichtig dünkt. Ohne Gluten, ohne Pflanzenschutzmittel, ohne Kuh, ohne Schwein, ohne Geschmack, mit exotischem Geschmack. Der Kunde findet eine Vielfalt, von der man vor ein paar Jahren noch nicht einmal träumen konnte.
Das Eine importieren, das Andere entsorgen
Und für eine gesunde, auf individuelle Wünsche abgestimmte Ernährung muss der Konsument weder denken noch kochen. Ihm wird alles mit den Halbfertiggerichten vorgekaut. Das führt aber auch dazu, dass es je nach Planetenkonstellation mal von einem zu viel und vom andern zu wenig hat. Ein paar Monde später, wenn der Trend sich geändert hat, ist es umgekehrt. Nur schade, dass die Natur nicht so schnell ist. Und so muss das Eine importiert und das Andere entsorgt werden. Dafür wird hier ein Fonds eröffnet und dort ein Franken abgezogen. Ein Fass mit immer mehr Löchern, die nach und nach gestopft werden müssen. Den Landwirten erscheint es zunehmend wie ein Fass ohne Boden, das ihnen Schlaf und Motivation raubt. Sie stehen einer Marktmacht gegenüber, die spätestens seit der Inflation weder Moral noch Erbarmen kennt. Und dann fällt der Satz: Der Konsument kauft gleich viel und gleich teuer, ob es ein Schweizerkreuz drauf hat oder nicht. Ende der Geschichte.
