Als Ende Juni 2022 in der Presse zu lesen war, ein Oberbaselbieter Kirschenproduzent habe seine 180 teils prall mit Früchten behangenen Bäume seiner ungedeckten Spindelkirschbaumanlage gefällt, horchte die Branche auf. Der Kahlschlag sei der Kirschessigfliege (KEF) anzulasten. Die BauernZeitung fragte einen anderen Baselbieter Produzenten, ob bei ihm die Kirschenernte noch im Gang sei. Er antwortete: «Darüber brauchen wir nicht zu reden; das ‹Viech› hat gestern das Ende unserer Ernte eingeläutet.»

Differenz wird importiert

Wir fragten weiter im Schwarzbubenland. «Der Schaden hält sich bei uns in Grenzen», sagte ein Produzent. Allerdings hätten sie zum ersten Mal ein paar Hochstammbäume nicht mehr ernten können. Ein anderer wollte mit seiner Familie ein paar Bäume retten. «Als die geernteten Früchte auf den Tüchern lagen», erinnert er sich, «rochen diese so penetrant nach Essig, dass wir sie wegschütteten.»[IMG 2]

Louis Doppler aus Witterswil im Kanton Solothurn, in dessen Plantagen 240 Niederstammbäume Tafelkirschen und 80 Hochstammbäume Schüttelkirschen stehen, ist frustriert. «Die KEF hat bei uns noch nie solche Schäden verursacht wie 2022. Sogar in den eingenetzten Anlagen beträgt der Verlust 30 Prozent», sagt er. Vor Zeiten der KEF seien jährlich 1000 Tonnen Konservenkirschen abgelesen und gehandelt worden, seit die KEF hier sei, keine mehr. Aber die Schweiz brauche diese Ware, also werde sie importiert. 6000 Tonnen Kirschen würden jährlich vermarktet, die geschätzte Erntemenge betrage rund 2500 Tonnen. Die Differenz zwischen 3000 bis 4000 Tonnen werde einfach importiert.

«Dem Zwischenhandel und den Grossverteilern entsteht kaum Schaden», ereifert er sich. Und fährt weiter: «Dort sollte die KEF zuschlagen, in deren Gestellen und Regalen.» Vielleicht würde dann das Problem endlich erkannt und von höchster Stelle geeignete Gegenmassnahmen ergriffen. Früher habe es nach der Ernte ein fröhliches Familienfest gegeben, dieses Jahr werde es zum «Frustfest».

Weniger freiwillige Helfer

«Zurzeit ist die Kirschenproduktion ein Trauerspiel in mehreren Akten, das vor einiger Zeit angefangen hat», erklärt Philipp Gut, Leiter Fachstelle Spezialkulturen am Wallierhof. Es sei immer mehr in den modernen, gedeckten Kirschenanbau investiert worden und die Hochstammbäume hätten ihre wirtschaftliche Bedeutung verloren. Auch weil immer weniger Verwandte und Bekannte auf hohe Leitern steigen und ihre Ferien oder freien Tage dafür opfern wollten.

Die Konsument(innen) seien anspruchsvoller und hätten sich an die uniforme Ware und grosse Früchte aus Niederstammkulturen gewöhnt, sagt Gut. Der Handel wolle deshalb die zu kleinen Kirschen der Hochstämme nicht mehr annehmen. Die gesetzlichen Pflegevorschriften wurden gleichzeitig härter und seien bei den verstreut stehenden Hochstammbäumen kaum realisierbar.

KEF als «Tüpfchen auf dem i»

[IMG 3]Die klimatischen Bedingungen veränderten sich derweil, hat Gut festgestellt. Es gebe vermehrt Spätfröste zur Blütezeit und anhaltende Nassperioden während der Ernte. Die Ernte an den Hochstammbäumen hänge von der jeweiligen Witterung ab und schwanke stark von Jahr zu Jahr. Konsumenten und Handel wollten eine sichere, vorhersehbare Erntemenge.

«Und dann kam diese KEF. Quasi als Tüpfelchen auf dem i», sinniert Philipp Gut. Es sehe so aus, als müssten wir mit dem Insekt leben. Bis auf totale Abdeckung und Einnetzung gebe es kaum wirksame Gegenmassnahmen. Bei Hochstämmen, die für das Landschaftsbild und die Förderung der Biodiversität weiterhin erwünscht wären, keine Option.

Die KEF ist anpassungsfähig

Beat Sprenger betreibt mit seiner Frau Tanja auf dem Breitfeld in Wintersingen eine Intensiv-Kirschenanlage unter Regendach mit Bewässerung. Er sagt, der Kirschenmarkt unterliege in den letzten Jahren einem grossen Wandel. Der Aussage von Philipp Gut, die KEF sei das Tüpfelchen auf dem i, stimme er zu. Die Hochstämme seien besonders betroffen, da ein Schutz durch Netze oder Spritzungen in kurzen Abständen nicht umsetzbar sei.

Zudem sei die KEF anpassungsfähig und würde nach der Spritzung wieder zufliegen. Wirklich helfen könnte seiner Meinung nach nur ein natürlicher Gegner. Moderne, meist eingenetzte Anlagen, seien im Vorteil. «Ich behaupte sogar», fügt er überzeugt an, «wenn an allen Schrauben richtig gedreht wird, können wir die KEF in Schach halten.»

Abo Ernte Kirschen erhielten in der Schlusskurve «eins auf den Deckel» Monday, 25. July 2022 Das grössere Problem sieht er im Nacherntebereich. Schon in früheren Zeiten seien Schweizer Kirschen einer grossen Konkurrenz ausgesetzt gewesen, die zugenommen habe. Regional predigen und regional anbieten sei halt nicht das Gleiche. Nur der Umsatz zähle und der Profit müsse hoch sein.

Die Kunden würden manipuliert und so gelenkt, dass sie das kaufen, was am besten angepriesen werde. «Selbstverständlich tragen wir Produzenten eine Mitschuld», zeigt er auf sich selbst, «weil wir uns für unsere Früchte in letzter Zeit zu wenig stark gemacht haben.»

Handel im Frische-Zwiespalt

Werde die Ware unvorteilhaft präsentiert oder ist sie nicht schön, würden weniger Kirschen verkauft. Stagnierten die Verkäufe im Laden, würden die Einkäufer der Grossverteiler vorsichtig. Die Zwischenhändler hätten dann ein Problem, wenn in der Haupternte alle Lager voll seien, denn diese reagierten sensibel auf das Verhalten der Grossverteiler.

Anstatt den Verkauf anzukurbeln und die Früchte möglichst schnell beim Kunden zu haben – denn nur frische und gut aussehende Früchte liessen sich gut verkaufen – würden Strategien entwickelt, wie die Früchte am besten haltbar gemacht und eingelagert werden könnten. «Kurz gesagt», hält Beat Sprenger fest, «der Zwischenhandel ist heute in einem Frischevernichtungs-Zwiespalt.»

Importe «lüpfen» ihm den Hut

Abo Bei ihrer Betriebsübernahme vor 30 Jahren pflanzten Silvia und Xaver Schelbert Kirschbäume. Dieses Jahr mussten sie infolge der KEF einen Totalausfall an Tafelkirschen verzeichnen. Kirschen Die Kirschessigfliege gefährdet Hochstammbäume: Auf dem Hof Obermatt gibt es heuer keine Kirschen Monday, 18. July 2022 «Was mir den Hut ‹lüpft›», enerviert er sich, «ist wenn ich sehe, dass kurz oder bereits während der Ernte noch hunderttonnenweise Kirschen importiert werden, welche unsere Früchte konkurrenzieren. Gleichzeitig wird uns Produzentenfamilien ein Aktionsbeitrag abgezogen, weil der Abverkauf scheinbar stagniert.» Hinzu komme das Personalproblem: Freiwillige Kirschenpflücker seien rar geworden, Saisonpersonal schwer zu bekommen und überdies nicht billig.

Aus den oben erwähnten Gründen würden in den nächsten Jahren weitere Produzenten aufhören. Wohl Betriebe mit alten Anlagen, die nicht mehr investieren möchten. Professionelle Betriebe würden sich anpassen und weitermachen. Dies werde unser Landschaftsbild verändern. «Mir gefallen die schönen und modernen Anlagen aber auch», verrät er. Er frage sich, weshalb Touristen im Frühling während der Apfelblüte ins Tirol fahren würden. «Ich denke nicht der Hochstämme wegen …», schmunzelt e
r.