Die Schweizer Detailhandelslandschaft steht vor einer möglichen Revolution. Wie das Online-Portal «20 Minuten» berichtet, plant Migros, kultiviertes Fleisch in die Regale zu bringen. Als Partnerin des israelischen Unternehmens Aleph Farms baut sie in Kemptthal ZH eine Produktionsstätte für sogenanntes In-vitro-Fleisch auf – Fleisch, das aus Tierzellen gezüchtet wird, ohne dass ein Tier geschlachtet werden muss.
Aleph Farms, Pionier in der Laborfleisch-Technologie, ist seit 2019 strategischer Partner der Migros. Gemeinsam haben sie bereits vor zwei Jahren beim Bund eine Verkaufsbewilligung für kultiviertes Fleisch beantragt, da solches in der Schweiz bisher noch nicht zugelassen ist.
Akzeptanz des Labor-Produkts ist fraglich
Das Fleisch entsteht ausserhalb des Tierkörpers in Zellkulturen und wächst zu Muskelgewebe heran. Auf den ersten Blick klingt dies nach einem ökologischen Gewinn: weniger Tierleid, mögliche Reduktion von Importfleisch. Doch Kritiker weisen darauf hin, dass die Produktion von Laborfleisch nach aktuellen Studien nicht unbedingt umweltschonender ist. Die Energie- und CO₂-Bilanz liegt teilweise über derjenigen der konventionellen Fleischproduktion, und die breite Akzeptanz in der Bevölkerung ist noch fraglich – eine Umfrage der NGO Swissveg zeigt, dass lediglich rund 30 Prozent der Schweizer Bevölkerung Laborfleisch essen würden.
Und was bedeutet das Ganze nun für die Bäuerinnen und Bauern? Die Schweiz ist ein Grasland. Immer wieder wird in Debatten betont, wie wichtig die tierische Produktion hierzulande ist. Zum einen, um das Grünland «sinnvoll» zu verwerten zum anderen aber auch, weil die Schweiz historisch gesehen eine Stärke in der Milch- und Fleischproduktion hat.
Was bedeutet das für Produzenten und Preise?
Migros betont auf Anfrage der BauernZeitung, dass kultiviertes Fleisch in erster Linie als Ergänzung zum bestehenden Sortiment gedacht ist, um die Abhängigkeit von Importfleisch zu reduzieren. Ob es die einheimischen Fleischproduzenten verdrängen wird, hängt stark von der Marktentwicklung, der Akzeptanz bei Konsumentinnen und Konsumenten sowie der Preisgestaltung ab.
Langfristig könnte kultiviertes Fleisch den Druck auf die Preise für herkömmliches Fleisch erhöhen, insbesondere bei importiertem Fleisch. Prognosen deuten jedoch darauf hin, dass die Preise für konventionelles Fleisch aufgrund globaler Trends wie Bevölkerungswachstum, steigender Futtermittelkosten und limitierter landwirtschaftlicher Flächen langfristig eher steigen könnten.
Migros sieht zudem Chancen, Schweizer Bauern in die neue Wertschöpfungskette einzubinden. Beispielsweise könnten sie Nährstoffe für die Zellkulturen liefern oder erneuerbare Energie für die Produktionsanlagen bereitstellen. Damit könnte eine Art Win-win-Situation entstehen, ähnlich wie bei Pilotprojekten in den Niederlanden, heisst es bei Migros.
Migros sucht Dialog mit verschiedenen Seiten
Die Migros engagiert sich aktiv, um die Zulassung von Laborfleisch in der Schweiz voranzutreiben, arbeitet eng mit Aleph Farms zusammen und sucht den Dialog mit allen relevanten Interessengruppen, einschliesslich der Bauernverbände. Gleichzeitig legt die Migros laut eigenen Aussagen Wert auf Transparenz: «Produkte mit kultiviertem Fleisch sollen klar deklariert werden, sodass Konsumenten bewusst entscheiden können.»
Obwohl Studien die Umweltbilanz des Laborfleischs kritisch sehen, setzt Migros auf technologische Weiterentwicklung: Ziel ist es, Produkte anzubieten, die nachweislich nachhaltiger sind als herkömmliches Fleisch. Auch preislich solle kultiviertes Fleisch langfristig konkurrenzfähig werden – insbesondere gegenüber Importfleisch.
Kritische Fragen bleiben
Trotz aller positiven Absichten wirft das Projekt Fragen auf: Wird Laborfleisch wirklich die Schweizer Landwirtschaft stärken oder sie eher unter Druck setzen? Kann eine breite Akzeptanz bei Konsumenten erreicht werden, obwohl die Skepsis hoch ist? Und wie nachhaltig ist die Technologie wirklich, wenn Studien derzeit noch von hohem Energieverbrauch sprechen? Die Antworten werden wesentlich davon abhängen, wie schnell sich die Technologie entwickelt, wie die Regulierungsbehörden entscheiden und wie sich der Markt tatsächlich entwickelt.
Für Kemptthal und den Kanton Zürich bedeutet die Ansiedlung von Aleph Farms jedenfalls einen strategischen Schritt. Die Region soll sich als Hub für Food-Innovation etablieren, mit möglichem wirtschaftlichem und wissenschaftlichem Nutzen für die gesamte Schweiz. Doch für die einheimische Landwirtschaft gilt es, die Balance zwischen Innovation und traditioneller Produktion zu wahren.
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