Bei einem Glas Wein auf der Terrasse wurde Ivo Streiff zum Retter von Gemüse und Früchten. «Ein Freund erzählte mir, dass er zwei Tonnen erstklassiger Trauben vernichten müsse, da sie der Grosshandel nicht verkaufen könne.» Streiff glaubte seinen Ohren nicht zu trauen und gründete eine  Whatsapp-Gruppe. Zwei Wochen später waren die Trauben allesamt verkauft. 

Lebensmittelretten ist zum Vollzeit-Job geworden

Was eigentlich ein Hobby bleiben sollte, hat sich unterdessen zu einem Vollzeit-Job entwickelt. Seit September 2020 hat Ivo Streiff 130 Tonnen Gemüse und Früchte vor dem Abfall gerettet. Tendenz steigend. Verkauft werden Produkte mit Mängeln oder aus Überproduktion ab einer Menge von 500 Kilogramm. «Da gehören auch Produkte mit Hagelschäden oder Birnen mit Wanzenstichen dazu», erzählt der Lebensmittelretter. 

Fakten zu Food Waste

Food Waste ist die Verschwendung von Lebensmitteln. In der Schweiz fallen laut Bundesamt für Umwelt jährlich 2,8 Millionen Tonnen vermeidbare Lebensmittelverluste an. Dies entspricht etwa 330 Kilogramm pro Person und Jahr.

Rund 38 Prozent, also mehr als ein Drittel, fällt in den Privathaushalten an. Hauptgründe sind die fehlende Wahrnehmung der eigenen Lebensmittelabfälle, mangelndes Bewusstsein für den Wert von Nahrungsmitteln sowie unzureichendes Wissen über die Haltbarkeit, Lagerung und Methoden zur Resteverwertung.

Weitere Verlustquellen sind die Landwirtschaft (13 %), die Verarbeitung (27 %), der Gross- und Detailhandel (8 %) sowie die Gastronomie (14 %).

Mehr Informationen zumThema Food Wastesavefood.ch

Die meiste Ware kauft er Grosshändlern oder Grossverteilern ab. Es gehören aber auch Landwirte zu seinen Lieferanten. «Letztes Jahr verkaufte ich für einen Bauern sieben Tonnen Kartoffeln. Da sein Absatz über den Gastrokanal Corona-bedingt zusammenbrach, wäre er auf ihnen sitzen geblieben.» 

Wer Ware hat, muss sie zu Ivo Streiff in ein professionelles Kühllager in Dozwil  am Bodensee liefern. «Dort überlegen wir uns dann, in welchen Verkaufsgrössen wir die Produkte anbieten.» Das können bei mehreren Tonnen angelieferter Karotten auch mal Pakete à fünf Kilogramm sein. «Besser ist natürlich, wir können kleinere Einheiten anbieten. Gerade habe ich eine Vegi-Box im Angebot. Da sind vier Gurken, zwei Avocados und zwei Zucchetti drin.» Die Kunden seien jedoch kreativ und würden bei «Grossmengen» die Lieferung einfach mit Freunden oder Nachbarn teilen.

Kunden können Früchte und Gemüse 30 bis 50 Prozent günstiger einkaufen

Vom Gemüse oder den Früchten erfahren die Kunden von Ivo Streiff per Whatsapp-Chat. «Sie müssen mir bis Mitternacht ihre Bestellungen melden.» Am liebsten mag er, wenn per Warenkorb-Funktion bestellt wird. «Einige schicken mir aber auch ein Bild ihrer Einkaufsliste.» Meist werde es zwei Uhr morgens bis er die Bestellungen in einer Excel-Liste beisammen und den Leuten ihre Bestellnummer zugestellt hat. Um sechs Uhr geht es dann wieder los mit dem Ausliefern an die verschiedenen Standorte.

Nicht alles, was produziert und geerntet wird, wird schlussendlich auch gegessen. Am Food Waste sind alle Stufen der Lebensmittelkette beteiligt. (Bild Pixabay) Food Waste Food Waste: Lebensmittelverluste aus Sicht der Landwirtschaft Thursday, 2. April 2020 Zurzeit beliefert Ivo Streiff neun Standorte, an denen die Kundinnen ihr Produkte, die 30 bis 50 Prozent weniger als im Laden kosten, abholen können. Die meisten liegen in der Region Thurgau, St. Gallen und Appenzell. Am entferntesten sind Tuggen und Elsau. Streiffs langfristiges Ziel ist es, schweizweit Standorte zu haben. «Doch wir wollen in einem vernünftigen Tempo wachsen», meint der Unternehmer. Mit dem Erlös deckt Streiff die anfallenden Kosten und investiert ins Geschäft. Weitere Standorte würden mehr Infrastruktur bedingen und natürlich auch Personal, das kostet. 

Soeben hat das Unternehmen begonnen, Früchte und Gemüse zu verarbeiten. «Alles, was wir nicht verkaufen können, wird zu Produkten wie Konfi oder Saft verarbeitet.» Diesen neuen Betriebszweig ist Streiff gerade am Aufbauen.

Der Unternehmer hat eine steile Lernkurve hingelegt

Ivo Streiff ist im Gemüse- und Obsthandel ein Quereinsteiger.  «Davor war ich Jurist und Unternehmer, ebenfalls bringe ich Erfahrungen im Bereich Onlineplattformen mit. In meinem jetzigen Job habe ich eine steile Lernkurve hingelegt», meint er mit einem Schmunzeln. «Ich hatte keine Ahnung von Lagerhaltung.» Das will meinen, dass er nicht gewusst hätte, dass Melonen ihre Konsistenz verändern, wenn man sie zu kalt lagert oder dass gewisses Obst den Reifungsprozess von anderen Früchten beschleunigen könne. 

Den Umstieg in die neue Branche bereut Ivo Streiff nicht. «Ich verdiene zwar massiv weniger als zuvor, dafür tut es mir gut.» Er habe 15 Kilogramm Gewicht verloren, das Fitnesscenter könne er sich also sparen. Jede Kiste, die bei ihm in den Verkauf gelangt, habe er mindestens zweimal in der Hand gehabt.

Weitere Informationen: www.foodchat.ch