Wer unbegründet trächtige Rinder und Kühe zum Schlachter bringt, bezahlt ab dem 1. Januar 2020 hundert Franken pro Tier (wir berichteten). Diese Vorgabe ist eine Branchenlösung, welche im Jahr 2017 unter dem Zusammenschluss von Organisationen wie  Mutterkuh Schweiz, dem Schweizer Bauernverband und dem Schweizer Tierschutz entstanden ist. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) unterstützt die Branchenlösung ebenfalls.

1,3 % der Schlachttiere waren im 2020 trächtig

Gemäss einer BLV-Studie und Proviande, der Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft, ist der Prozentsatz von trächtigen Schlachttieren von 5,7  (2012) auf 1,1 % (2016) gesunken. Im laufenden Jahr 2020 stieg dieser Wert auf 1,3 % an. Die Zahl umfasst Tiere, die fünf oder mehr Monate trächtig waren. Die Reduktion sei gemäss Proviande unter anderem einer Sensibilisierungskampagne zu verdanken. Der Prozentsatz von 1,3 % sei aber immer noch nicht zufriedenstellend, so die Branche. Deshalb teilte die Branchenorganisation am 1. Juli 2020 die erweiterten Fachempfehlung zur Vermeidung des Schlachtens von trächtigem Rindvieh mit. So müssen Produzenten bei Rindern ab dem Alter von 15 Monaten und bei Kühen ab fünf Monaten nach dem letzten Abkalbedatum deklarieren, ob das Tier trächtig ist oder nicht.

Wann kommt es zum künstlichen Abort?

Es gibt Fälle, in denen eine Abtreibung eines Kalbes vollzogen wird. Natürlich entscheidet sich kein Landwirt freiwillig, eine künstliche Abtreibung einzuleiten.   Gründe, warum es zu Abtreibungen kommt, liegen gemäss Proviande in ­fehlenden oder falsch angezeigten negativen Trächtigkeitsdiagnosen. Auch kann die fehlende Information durch den Vorbesitzer ein Grund sein, das Kalb abtreiben zu müssen. Muss sich ein Tierhalter doch zu einer Abtreibung entscheiden, kommt das Hormon Prostaglandin zum ­Einsatz. Dafür braucht es eine gültige Tierarzneimittelvereinbarung, welche vom Bestandestierarzt ausgestellt wird, erklärt Andreas Raemy, Inhaber der Tierarztpraxis am Gantrisch in Schwarzenburg.

Prostaglandin kommt vor allem bei zu jungen trächtigen Tieren zum Einsatz

«Jeder Tierarzt kann entscheiden, ob er Prostaglandin abgibt oder nicht», fährt der Grosstierarzt fort. «Normalerweise geben wir das Hormon nicht einfach ab. Die Tiere werden vorher kontrolliert und nur im Notfall gespritzt.» Raemy erklärt weiter, dass der Eingriff Sinn mache, wenn Rinder viel zu jung bereits trächtig seien. «Diese sind dann neun Monate später körperlich noch zu wenig entwickelt und können das Kalb auf natürlichem Wege nicht zur Welt bringen». Grundsätzlich kann man während der gesamten Trächtigkeitsdauer abtreiben. «Die Abtreibung eines gesunden Tieres ist aber zu jedem Zeitpunkt abzulehnen», betont Andreas Raemy.

«Ab dem fünften Monat wird Abtreiben heikel»

Ab dem fünften Trächtigkeitsmonat kann es zu Komplikationen kommen. Das heisst die Nachgeburt löst sich selber nicht mehr gut. Eine mögliche Folge ist eine Gebärmutterinfektion, welche unbehandelt zu Fieber und einer Blutvergiftung führen kann. In den früheren Monaten der Trächtigkeit verläuft ein Abort komplikationslos ab, weiss Raemy.

Abtreibung als absolute Notlösung

Um das prophylaktische Abtreiben mit Prostaglandin zu vermeiden, rufen der Tierarzt sowie Proviande dazu auf, die Herde stets gut zu beobachten oder regelmässige Trächtigkeitskontrollen durchführen. Das Abspritzen kann der Tierhalter grundsätzlich selber vornehmen, so Andreas Raemy. Dies entscheidet der Bestandestierarzt situationsbedingt. Diese Methode ist natürlich nur als Notlösung zu wählen, betont Andreas Raemy. «Wenn ich als Tierarzt merke, dass ein Landwirt regelmässig mit Prostaglandin abspritzt, weil er seinen Bestand nicht im Griff hat, wird sicher kein Prostaglandin verschrieben.»

«Direkter Kontakt mit der Haut ist zu vermeiden»

Auch muss sorgfältig mit dem Mittel umgegangen werden: «Direkter Kontakt mit der Haut kann bei Asthmatikern zu Atemproblemen führen. Bei schwangeren Frauen kann eine Selbstinjektion mit Prostaglandin ebenfalls zum Abort führen», warnt der Tierarzt. Kortison führe ebenfalls ab dem dritten Trächtigkeitsmonat zum Abort, fügt Andreas Raemy hinzu. Auch das BLV reagiert zur Abort-Methode mit Prostaglandin besorgt: «Kürzlich haben wir von solchen Massnahmen gehört. Bisher existieren keine detaillierten Angaben zur Verbreitung dieser Praxis. Der Abbruch einer Trächtigkeit mit Prostaglandin ist mit Risiken für das Muttertier verbunden und ist deshalb aus ethischer und Tierschutzsicht nicht vertretbar.» Zusammen mit der Fleischbranche sucht das BLV aktuell nach Möglichkeiten, um Trächtigkeitstests einfacher zu machen.

 

Was ist Prostaglandin?

Die Gebärmutter bildet Prostaglandin. Das Gewebshormon bewirkt die Auflösung des Gelbkörpers, welcher beim Eisprung jedes Säugetieres entsteht und für die Aufrechterhaltung der Trächtigkeit sorgt. Synthetisches Prostaglandin wird teilweise bei der Brunstsynchronisation und der Geburts- oder Aborteinleitung eingesetzt. Ebenfalls kann Prostaglandin gegen Endometritis oder Zysten verabreicht werden, wie dies eine Studie aus Deutschland beschreibt.