Bei der Buchhaltung dürften in nächster Zeit so mancher Bäuerin die Haare zu Berge stehen: 900 Millionen Franken – so hoch beziffert der Berner Bauernverband die Mehrkosten für die Landwirtschaftsbetriebe. Nachdem die Preise für Dünger, Pflanzenschutzmittel und Kraftfutter in luftige Höhen gestiegen sind, klettert ab 2023 auch der Strompreis. Laut der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom) steigen die Energietarife für die Grundversorgung bei Haushalten im Mittel um 27 Prozent. Aber was bedeutet das konkret?
Deutlich mehr für Futter
«Verglichen mit den Ausgaben für ausserhalb der Landwirtschaft gekaufte Futtermittel sind die Ausgaben der Landwirtschaft für Strom gering», ordnet das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) auf Anfrage ein. So hätten die Kosten für solches Futter gemäss landwirtschaftlicher Gesamtrechnung einen Anteil von 22,4 Prozent an den gesamten Ausgaben für Vorleistungen, Strom hingegen schlage mit nur 2,3 Prozent zu Buche. «Eine Erhöhung der Strompreise um 27 Prozent erhöht die Kosten für Vorleistungen um rund 0,6 Prozent», rechnet das BLW vor. In absoluten Zahlen bedeutet das eine Kostenerhöhung der Vorleistungen um insgesamt etwa 43 Millionen Franken, was statistisch für jeden Betrieb rund 982 Franken pro Jahr bedeutet.
Die Übersichtskarte der Elcom macht allerdings deutlich, dass längst nicht alle Gemeinden gleich betroffen sind. In Zwischbergen VS etwa bezahlt ein Haushalt mit einem Verbrauch von 25'000 kWh/Jahr (ein durchschnittlicher Landwirtschaftsbetrieb kommt auf rund 20'000 kWh/Jahr) im nächsten Jahr gerade mal 0,3 Rp./kWh mehr. In Niederhelfenschwil SG sind es hingegen rund 39 Rp./kWh, womit die Gemeinde einer Verdreifachung und einem der massivsten Preisanstiege im Land entgegensieht.
Auch das Sparen kostet
Beat Moser bewirtschaftet in Niederhelfenschwil einen gemischten Betrieb mit Milchproduktion, Ackerbau und einer Kundenmosterei. «Wir sparen schon Strom, wo es geht», meint er, «aber vielerorts geht es einfach nicht.» Moser ergänzt, dass Einsparungen beim Strom mit anderen Kosten verbunden wären: «Das Heu weniger zu belüften, würde dessen Gehalte senken», gibt er ein Beispiel. Ohne Beleuchtung im Stall sänken Tierwohl und Milchleistung, beim Melken und dem Kühlen der Milch gebe es kaum Einsparungsmöglichkeiten. Einen Plattenwärmetauscher für die Milchkühlung hat Moser bereits installiert. «Im Stall könnte man LED-Lampen montieren, aber ob sich das mit den eingesparten Stromkosten rechnet, weiss ich nicht.»
Für die nächste Woche ist eine Sonderdebatte im Parlament geplant zum Thema Strompreise. Es werden dem Bundesrat verschiedene Fragen gestellt, etwa zu möglichen Unterstützungsmassnahmen für KMU. In Deutschland diskutiert man unter anderem einen Energiepreisdeckel für die Landwirtschaft. Nach Angaben des BLW evaluiert derzeit die interdepartementale Arbeitsgruppe des Bundes Massnahmen zur Abfederung der gestiegenen Energiepreise. Die Ergebnisse sollen im kommenden Oktober vorliegen.
«Bei vielem kann ich keinen Strom einsparen.»
Beat Moser, Landwirt aus Niederhelfenschwil
Der Berner Bauernverband und auch der Schweizer Bauernverband (SBV) fordern angesichts höherer Produktionskosten entsprechend höhere Produzentenpreise. Das auch deshalb, weil die Betriebe regional sehr unterschiedlich von den höheren Strompreisen betroffen sind, schreibt der SBV auf Anfrage. «Für uns stehen deshalb höhere Produzentenpreise im Vordergrund. Wenn branchenübergreifende Massnahmen in Bezug auf die Stromkosten ein Thema sind, dann werden wir uns auf jeden Fall dafür engagieren, dass die Landwirtschaft auch profitieren kann», versichert SBV-Sprecherin Sandra Helfenstein.
Hohe Solarvergütungen
Im Weiteren verweist das BLW auf die Fördermassnahmen des Bundes zur Steigerung der Energieeffizienz, von denen auch die Landwirtschaft profitiert habe: Etwa 10 bis 25 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe besässen Solaranlagen. «Betriebe, die vorausschauend in die Photovoltaik investiert haben, können den selbst produzierten Strom nun für den Eigengebrauch nutzen oder bei der Einspeisung ins Netz sogar noch von den hohen Preisen profitieren.» Das wird vonseiten Vese, dem Verband unabhängiger Energieerzeuger, bestätigt. Die Vergütungen für Solarstrom werden 2023 um 55 Prozent auf durchschnittlich 15,5 Rp./kWh steigen, heisst es in einer Mitteilung. Die erfreuliche Entwicklung habe allerdings einen Haken, da sie nur eine Reaktion der Netzbetreiber auf das Risiko sei, Stromproduzenten wegen zu tiefer Vergütungen auf dem freien Markt zu verlieren. Ein weiterer Nachteil: Die hohen Vergütungen werden laut Vese weitergegeben, was den Strompreis weiter in die Höhe treibt. Um ihre Kosten zu decken, wären 8 bis 12 Rp./kWh für Besitzer von Solaranlagen genug, findet der Verband. Bei diesem Tarif könnte die Solarenergie dazu beitragen, die Strompreise im Inland zu stabilisieren. Daher schlägt der Vese schon länger ein neues Vergütungsmodell vor, das in den Diskussionen des Mantelerlasses zur Energieversorgung im Parlament auf offene Ohren stösst.
Melkzeiten anpassen
Beat Moser hat keine Solaranlage. Dass der Strom für ihn mehr als dreimal teurer wird, werde ihn wohl mehrere Zehntausend Franken kosten, so seine Schätzung. «Die Bereitstellung von Lebensmitteln braucht Strom, und die Preise müssen daher steigen – das haben viele Konsument(innen) leider noch nicht begriffen», bedauert er.
Die Strommangellage bzw. die Aussicht, dass als absolut letztes Mittel zeitweise Abschaltungen von Teilen des Stromnetzes angeordnet werden könnten, macht dem St. Galler aber keine Sorgen. «Ich denke positiv», erklärt er. Wenn z. B. für zwei Stunden kein Strom verfügbar wäre, würde er die Melkzeiten verschieben. «Ich habe einen Melkstand, da bin ich flexibler als mit einem Roboter», bemerkt Moser. Allerdings müsste auch die Käserei mitziehen. Dauerte der Stromausfall länger, vielleicht sogar einen Tag, gäbe es Probleme mit den Kühen – «dann müsste ich schnellstens etwas organisieren». Sich Gedanken über den Notfall zu machen, findet Moser zwar sinnvoll. Sie sollten aber seiner Meinung nach nicht den Alltag belasten. «Noch ist in der Schweiz beim Strom alles in Ordnung», gibt er zu bedenken.
Warum so unterschiedlich?
Die prognostizierten Strompreise für 2023 variieren je nach Netzbetreiber zum Teil stark, mancherorts wird man das Dreifache bezahlen müssen. Laut der Elcom liegt das an grossen Unterschieden bei der Energiebeschaffung und dem Anteil der Eigenproduktion. Auf dem Grosshandelsmarkt, auf dem international Strom gehandelt wird, sind die Preise laut einem Artikel von Keystone-SDA bereits Ende 2021 gestiegen. Jene Netzbetreiber, die viel Energie zukaufen und weniger selbst produzieren, geben mehr für ihren Strom aus und wälzen das auf die Konsument(innen) ab. Der Konsumentenschutz hat Anfang September kritisiert, die Stromversorger würden sich auf Kosten ihrer Abnehmer bereichern und müssten von der Elcom genauer kontrolliert werden.
Strompreis-Übersichtskarte: www.strompreis.elcom.admin.ch

