Die Schweiz verbraucht dreimal so viel Plastik wie andere europäische Länder, rezykliert aber 30 Prozent weniger. Gemäss einem Bericht des Branchenverbandes Plastics Europe liegt sie damit deutlich hinter anderen Ländern.
Biogemüse in Plastik
Über 75 % des in der Schweiz verbrauchten Plastiks sind Einweg-Verpackungen. Besonders gerne in Plastik eingeschweisst werden ausgerechnet Biofrüchte und -gemüse. Die Detailhändler rechtfertigen das – etwa bei den Gurken – mit der Haltbarkeit. Nötig sind die Verpackungen, Sticker oder Banderolen aber auch, weil das Gesetz verlangt, dass Bioprodukte als solche markiert werden, um sie von konventioneller Ware abzugrenzen.
Längst wird fleissig an umweltfreundlicheren Lebensmittelverpackungen geforscht. «Es gibt verschiedenste spannende Forschungsgebiete», sagt Andreas Bühlmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Agroscope, der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt des Bundes. Er weist auf bioabbaubaren oder rezyklierbaren, nicht-fossilen Plastik und auf natürliche Wachse wie Apeel hin (siehe Kasten).
Avocados: Essbare Zusatzschicht
Eine pflanzliche Zusatzschicht soll Gemüse und Früchte länger haltbar machen: Als erster Schweizer Detailhändler testet Migros bei Avocados die Innovation des US-Unternehmens Apeel (die BauernZeitung berichtete). Die geschmacklose Schicht aus Lipiden könne ohne Bedenken konsumiert werden, teilte die Migros kürzlich mit. Ziel sei es, die eigene Feuchtigkeit der Lebensmittel drinnen und den Sauerstoff draussen zu halten. Die Avocados gibt es erst einmal nur bei Migros Ostschweiz zu kaufen. Bei einem erfolgreichen Verlauf werde eine Ausweitung auf weitere Genossenschaften und Früchte- und Gemüsesorten in Betracht gezogen, hielt Migros fest.
Das Tattoo für die Frucht
«Nicht neu, aber erwiesenermassen effizient wäre auch breiter einsetzbarer Monoplastik», so Andreas Bühlmann. Monoplastik bedeutet, dass er nur aus einer Art besteht. Bioabbaubarer Plastik werde zum Teil bereits eingesetzt, sagt Bühlmann, natürliche Beschichtungen wie Apeel und Smart Branding seien bei gewissen Lebensmitteln einsatzbereit.
Beim Smart Branding oder Natural Branding markiert ein hochauflösender Laser die Haut oder Schale von Früchten und Gemüse. Das Laserlicht löst dabei die Pigmente aus der Oberfläche. Der Vorgang schade dem Produkt nicht, auf dem Fruchtfleisch sieht man nichts.
Detailhandel ziert(e) sich
In Deutschland setzte 2018 die Rewe-Group als erster Detailhändlerin auf das Verfahren. In der Schweiz kommt Smart Branding bei Lidl seit zwei Jahren zum Einsatz. Bio-Kiwis, -Mangos, -Granatäpfel und -Avocados werden so gekennzeichnet. Bald sollen Grapefruits, Zitronen, Ingwer und Süsskartoffeln folgen, wie das SRF-Konsumentenmagazin «Espresso» am Mittwoch berichtete.
Hier den Radiobeitrag anhören.
Die beiden Branchenführer Coop und Migros taten sich lange schwer mit dem Verfahren. Jetzt kommen sie langsam in die Gänge. Coop testet Natural Branding aktuell bei Wassermelonen, Migros bei Avocados und Mangos. Die Ankündigung des orangen Riesen nahm Mitbewerber Lidl Schweiz gleich zum Anlass für einen spöttischen Seitenhieb auf Instagram: «Hey Migros, wir haben gelesen, dass ihr euch auch endlich zum Tätowierer getraut habt. Willkommen im Club.» Auch Aldi bleibt nicht untätig. Bei Granatäpfeln und Kiwis laufen Tests mit Smart Branding.
Ungenauer Strichcode
Warum tat sich der Detailhandel eher schwer mit dem neuen Verfahren? Man wolle bei den Tests Vorsicht walten lassen, damit man nicht plötzlich viele Früchte wegwerfen müsse, hiess es von Migros gegenüber «Espresso». Coop liess verlauten, die Lasertechnik sei schon gut, aber manchmal gebe es noch Probleme. Wenn der Strichcode zum Beispiel ungenau gelasert sei, gebe es Probleme an der Kasse.
Ein anderes Thema sind Aufkleber auf Früchten und Gemüse. «Was sollen diese unsinnigen Plastikkleber auf jeder einzelnen Frucht?», wollte der ehemalige Ständerat Werner Hösli (SVP/GL) 2018 in einer Interpellation wissen. Nach Auffassung des Bundesrates gibt es keine ausreichenden Gründe für ein Verbot dieser Kleber, wie er in seiner Antwort schrieb: «Ein Verbot wäre kontraproduktiv und wenig zielführend: Aufgrund der gesetzlichen Kennzeichnungspflicht nach der Bio-Verordnung bestünde das Risiko, dass die Produzentinnen und Produzenten aufwendigere, kostenintensivere und eventuell weniger umweltverträgliche Lösungen (zum Beispiel eine Plastikumhüllung) anwenden würden.»
Kompostierbare Kleber
Über die Aufkleber ärgerte sich nicht nur Politiker Werner Hösli, sondern auch ein «Espresso»-Hörer. Er habe Komposterde von einem Nachbarn erhalten und darin solche Sticker gefunden, obwohl der Kompost schon zwei oder drei Jahre alt sein, monierte er in der Radiosendung.
«So ein Kleber muss einiges aushalten. Er muss auf rauen Oberflächen kleben bleiben. Beim Transport ist er Kälte ausgesetzt, in der Filialen dann wiederum Wärme», sagte ein Migros-Sprecher dazu. Kompostierbare Kleber seien teilweise noch nicht all diesen Herausforderungen gewachsen, man arbeite aber an einer Lösung. Bis Ende Jahr werde man bei den meisten Früchten und Gemüsen die bisherigen Sticker durch kompostierbare ersetzen, hiess es derweil bei Coop.
Mitbewerber Migros setzt unterdessen öffentlichkeitswirksam auf das Recycling von Plastikverpackungen. Im Juni stellte der Grossverteiler seinen neuen Plastik-Sammelsack vor. Diesen findet man zuerst nur in den Filialen der Migros Luzern. Schritt für Schritt sollen schweizweit weitere Genossenschaften bis Frühjahr 2021 folgen. Das Ziel sei es, über 50 Prozent des gesammelten Plastikabfalls für Verpackungen und Produkte wiederzuverwenden, liess Migros wissen. Langfristig sollen es 70 Prozent sein.
Intelligente Verpackungen
Geforscht wird unterdessen auch an funktionellen Verpackungen, die etwa antimikrobielle Eigenschaften aufweisen oder bestimmte Eigenschaften des Produktes messen und anzeigen können. «Diese Verpackungen sind meines Erachtens noch weit von der Umsetzung entfernt, da die Entsorgungsfrage ungleich komplizierter wird», sagt Andreas Bühlmann von Agroscope.
Plastiksäckli-Verbot hatte Effekt - EU verbietet Wattestäbchen und Strohhalme
In Coop-, Migros- und Manor-Geschäften erhalten Kunden und Kundinnen seit Anfang Jahr keine Plastik-Tragetaschen mehr gratis. Gegen Bezahlung sind die Plastiktüten aber weiterhin zu haben. Grundlage ist eine freiwillige Branchenvereinbarung von Swiss Retail Federation und der IG Detailhandel. Die Detailhändler dehnen ihre freiwillige Branchenvereinbarung per Ende2020 von Einweg-Plastiksäcken auf Mehrweg-Säcke aus.
Kosten fünf Rappen
2012 hatten die eidgenössischen Räte die Motion «Stopp der Verschmutzung durch Wegwerf-Plastiksäcke» des ehemaligen Nationalrats Dominique de Buman (CVP/FR) überwiesen, die ein Verbot von Einweg-Plastiksäcken forderte. Die Swiss Retail Federation kam einem Verbot mit ihrer Branchenvereinbarung zuvor. Die sogenannten Raschelsäckchen kosten seit 2016 fünf Rappen.
Der Verbrauch der Säckchen habe in den beteiligten Lebensmittelläden um 86 Prozent oder 361 212 000 Säckchen gesenkt werden können, teilten die Verbände im Oktober 2019 mit. Coop hielt fest, selbst pro Jahr 850 Tonnen Neu-Plastik gespart zu haben, seit die Vereinbarung umgesetzt wird. Migros meldete einen Rückgang von 83 Prozent bei den Säckchen.
Wo die Plastikhülle aus hygienischen Gründen nötig ist und auch für den Offenverkauf von Gemüse und Früchten dürfen die Säcke oder Säckchen weiterhin gratis abgegeben werden. Bei Früchten und Gemüse bieten die Detailhändler als Alternative Mehrzwecknetze, so genannte Multibags, an.
EU verbietet Wattestäbchen
Schon weiter beim Kampf gegen den Plastikmüll ist die EU. Das Verbot etlicher Wegwerfprodukte aus Plastik ist im Mai 2019 endgültig verabschiedet worden. Die EU-Staaten stimmten in Brüssel für entsprechende neue Regeln. Das Europaparlament und die EU-Länder hatten die Änderungen zuvor bereits ausgehandelt und angenommen.
Ab 2021 werden ausgewählte Einwegprodukte verboten, für die es umweltfreundliche Alternativen auf dem Markt gibt: Wattestäbchen, Besteck, Teller, Strohhalme, Rührstäbchen, Stäbchen für Ballons sowie Becher, Lebensmittel- und Getränkebehälter aus expandiertem Polystyrol. Betroffen sind auch alle Produkte aus sogenanntem oxo-abbaubarem Kunststoff. Dieser soll sich nach Nutzung zwar zersetzen; jedoch zeigen Untersuchungen, dass dies offenbar nicht vollständig passiert.
2050 mehr Plastik als Fisch
Hintergrund der politischen Bestrebungen in der Europäischen Union ist die enorme Menge an Plastikmüll in den Meeren. Plastik kann Tieren gefährlich werden, weil sie sich etwa darin verheddern oder es mit Nahrung verwechseln. Über den Verzehr von Meerestieren kann der Kunststoff letztlich auch in den menschlichen Körper gelangen. Ohne eine Kursänderung könnte es laut EU-Kommission im Jahr 2050 bereits mehr Plastik als Fisch in den Ozeanen geben.