Der Stiftungsrat des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) ist weiblicher und französischsprachiger geworden: Seit Ende Mai gehören Anne Challandes, Bio-bäuerin sowie Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands, und Sofia de Meyer dazu. Während erstere in landwirtschaftlichen Kreisen keine Unbekannte ist, wollte die BauernZeitung wissen, wer Sofia de Meyer ist. Wir haben sie in ihrem Zuhause in Allaman VD besucht.

BauernZeitung: Sofia de Meyer, weshalb zogen Sie als international tätige Anwältin in die Schweiz und wurden Saftproduzentin?
Sofia de Meyer: Ich habe meine Tätigkeit als Anwältin bereits vor 17 Jahren aufgegeben, trotzdem wurde und wird mir diese Frage sehr oft gestellt. In meinem Erstberuf habe ich viele wertvolle Erfahrungen gesammelt, die mir auch jetzt weiterhelfen. Trotzdem, 30-jährig und nach sieben Jahren Berufstätigkeit musste ich eine Entscheidung fällen: Will ich Partnerin in der Kanzlei werden oder will ich noch etwas anderes?

Offensichtlich entschieden Sie sich für die zweite Variante.
Ich wollte ein ausgeglicheneres Leben führen und kündigte, ohne zu wissen, was kommt. Ich nahm mir bewusst Zeit, um herauszufinden, was ich will. Dieses Innehalten ist für unseren Verstand schwierig auszuhalten, die Ungewissheit macht Angst. Wir müssen schliesslich finanziell über die Runden kommen.

 

Zur Person

Die Waadtländerin Sofia de Meyer (47) arbeitete weltweit als Anwältin für multinationale Unternehmen. Nach der Rückkehr in die Schweiz gründete sie 2004 ein Öko-Hotel bei Monthey VS, 2009 die Firma Opaline. Seit Ende Mai 2021 ist sie FiBL-Stiftungsrätin. Sie ist Mutter eines 8-jährigen Sohns.

Kurz und knackig

Saft oder Wein? Ich mag beides, aber es kommt auf die Tageszeit an.

Gemüse oder Fleisch? Gemüse, manchmal sogar aus meinem eignen kleinen Garten.

Ferien in der Schweiz oder in der Ferne am Strand? In der Schweiz. Ich wandere gerne in den Bergen, interessant sind auch die Deutschschweiz und Museen.

Was ist immer in Ihrem Kühlschrank? Gemüse, Opaline-Saft, Rosé-Wein, Joghurt für meinen Sohnund Resten. Ich mag keinerlei Food Waste.

Sie dürfen eine Person zum Nachtessen einladen. Wer ist das und weshalb? Den Strassenkünstler Banksy. Was er sagt und durch Kunst ausdrückt, hat sehr viel Tiefgang.

Auf was sind Sie besonders stolz in Ihrem Leben? Auf meinen Sohn. 

 

Was hat Sie angetrieben?
Ich hatte die Vision von einer anderen Wirtschaft: Ich wollte weg vom System mit einem Topmanagement, das Druck auf Produzenten und Angestellte ausübt, bei dem aggressiv um Kunden geworben und alles optimiert oder sogar ins Ausland ausgelagert wird, nur, um den Gewinn auf Kosten von sozialen und ökologischen Werten zu maximieren. Ich wollte eine Wirtschaft, welche die Nachhaltigkeitsziele der UNO berücksichtigt und somit regenerativ ist. Während ich meine erste Firma, ein Öko-Hotel, aufbaute, kam mir die Idee zu Opaline.

 

Opaline: Saft von hier

Das 2009 gegründete Unternehmen Opaline hat sechs Angestellte und stellt Säfte aus Zweitklass-Früchten und -Gemüse her. Die Rohstoffe stammen zum grössten Teil aus dem Wallis. Unterdessen wurde das Angebot um Limonaden erweitert. Pro verkaufte Flasche fliessen 5 Rappen in eine firmeneigene Stiftung, die 2018 gegründet wurde. Bis 2030 will Opaline klimaneutral sein. Auf Werbung wird bewusst verzichtet.

In Zusammenarbeit mit der Firma Schenk SA (Weinproduzentin und Inhaberin der Marke Grapillon) lancierte Opaline die Traditionsmarke Grapillon (Traubensaft, seit 1944) neu. Bei der Herstellung des Safts wurde dabei auf 100 Prozent Schweizer Trauben umgestellt. 

Weitere Informationen: www.opaline-factory.ch

 

 

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Die Firma Opaline produziert Grapillon und Säfte aus mehrheitlich regionalen Rohstoffen.(Bilder zVg/et, Montage mi)

 

Ihre Firma arbeitet mit Bauern aus der Region zusammen. Wie funktioniert das genau?
Für den Saft, den wir unseren Hotelgästen anboten, holte ich die Früchte bei einem Bauern aus der Gegend. Dann startete ich mit Opaline. Ich machte im gleichen Stil weiter, einfach mit mehr Früchten und einer grösseren Menge Saft. Unterdessen arbeitet Opaline über Genossenschaften mit zahlreichen Bauern aus dem Wallis zusammen. Beim Aufbau von Opaline, und bis heute, haben uns einzelne Bauern sehr geholfen mit Know-how und beim Aufbau unseres Netzwerks.

Sind Ihre Rohstoffe alles Bioprodukte?
Wir kaufen so viel wie möglich Bioprodukte ein, aber nicht alle Walliser Bauern sind Biobauern. Es geht uns in erster Linie um die lokale Wertschöpfung.

Bezahlen Sie Ihren Bauern einen besseren Preis?
Das ist unser Ziel. Momentan bezahlen wir aber Marktpreise und nehmen den Genossenschaften ab, was der Grosshandel nicht will.

Beziehen Sie alle Rohstoffe aus der Region?
Der grösste Teil stammt aus dem Wallis. Bei Himbeeren und Holunderbeeren müssen wir in Deutschland einkaufen. Schweizer Himbeeren gelangen nämlich als Erstklassprodukt in den Verkauf und Holunderbeeren sind hierzulande immer noch ein Nischenprodukt. Der Ingwer für die Ingwer-Apfelsaft-Limonade stammt ebenfalls nicht von hier, ist aber aus fairem Handel.

Ab 2022 wollen wir auch in anderen Gegenden der Schweiz Fuss fassen und mit unserem Angebot mehr Schweizer Früchte und Gemüse in Wert setzten. Wir möchten Netzwerke mit Bauern kreieren.

Sind Ihre Produkte durch die lokale Wertschöpfung nicht teuer für die Kunden?
Ich stelle fest, die Konsument(innen) wollen wieder einen Bezug zur regionalen Landwirtschaft und sind gewillt, dafür zubezahlen. Sie wissen, dass sie beim Kauf unserer Produkte eine hohe Qualität bekommen und lokale Unternehmer unterstützen.

Wie wirkte sich die Corona-Pandemie auf Ihre Firma aus?
Im Lockdown brach der Absatz um 80 Prozent ein. Ende 2020 waren wir beinahe wieder auf dem Vorjahresniveau.

Sie sind seit Mai im FiBL-Stiftungsrat. Weshalb wurden Sie für dieses Gremium ausgewählt?
Als die Anfrage kam, fragte ich natürlich sofort: ‹Weshalb ich?› Ich bin keine Bäuerin und das FiBL war für mich eher eine deutschsprachige Institution. Anscheinend findet das FiBL das Opaline-Modell der regionalen Kreislaufwirtschaft spannend. Auf diesem Gebiet kann ich sicher viel einbringen. Ausserdem freue ich mich, mehr über die Aktivitäten des FiBL zu erfahren.

Wie stehen Sie zur Schweizer Agrarpolitik?
Ich denke, sie widerspiegelt ein gewinnorientiertes Wirtschaftssystem. Obwohl, glücklicherweise finden Entwicklungen statt. Das Bundesamt für Landwirtschaft ist gewillt, innovative Projekte zu unterstützen, ist aber noch im alten System, mit einem hohen administrativen Aufwand, gefangen.

Ich wünschte, wir könnten davon wegkommen, uns immer mit dem Ausland zu vergleichen. Die Angst vor den Importprodukten lähmt uns. Wenn wir gute Produkte herstellen und innovative Modelle vorstellen, sind wir erfolgreich. Wir müssen ganz einfach daran glauben und gemeinsam das Risiko eingehen.

Zwei Initiativen, die stark in die Produktionsweise der Bauern eingreifen wollten, wurden am 13. Juni abgelehnt. Was sagen Sie zu den Abstimmungsresultaten?
Ich denke, man kann nicht von einem Extrem ins andere wechseln. Die beiden Initiativen zielten aufs Individuum (die Bauern) und nicht auf das System. Wir müssen das gesamte System ändern; nicht nur die Landwirtschaft als solche, sondern auch die Vertriebskanäle und das Konsumverhalten.

Wir müssen Initiativen lancieren, die verbinden, anstatt sie abzulehnen. Das braucht Zeit. Genau so einen Veränderungsprozess möchten wir mit unserer Opaline-Stiftung anstossen. Ich lade alle interessierten Bäuerinnen und Bauern aus der ganzen Schweiz ein, sich bei uns zu melden.

 

Opaline-Stiftung: Vision einer anderen (Land-)Wirtschaft

Die Opaline-Stiftung will die Regenerative Landwirtschaft und den Austausch zwischen lokaler Bevölkerung und Bauern fördern. «Wir möchten z. B. eine Vielfalt bei den Obstsorten oder Landwirtschaftsformen, die Boden und Biodiversität regenerieren. Dadurch gewinnen unsere Lebensmittel an Qualität», sagt Sofia de Meyer.

Kultur bringt zusammen

 

Durch kulturelle Veranstaltungen auf Acker- und Wiesland will die Stiftung die regionalen Produzent(innen) mit den lokalen Konsument(innen) zusammenbringen. «Dadurch erhoffen wir uns kleine, regionale Wirtschaftskreisläufe. Diese sind viel resilienter und auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort abgestimmt», erklärt Sofia de Meyer. «Jede Bäuerin und jeder Bauer aus der ganzen Schweiz kann sich bei uns melden. Gemeinsam schauen wir, wie wir vielleicht erstmals auf einem Stück Land gemeinsam eine Regenerative (Land-)Wirtschaft samt Netzwerk aufbauen können.»

Ein Fest im Herbst

 

Am 25. September wird die Opaline-Stiftung auf einer Versuchsfläche in Bex VD eine kulturelle Veranstaltung durchführen. 

Weitere Informationen: www.lafondationopaline.org

 

Nach den Abstimmungen sagen viele, man müssevon der Agrar- zu einer Ernährungspolitik übergehen. Wie sieht so ein SystemIhrer Ansicht nach aus? 
Ich denke, das Modell von Opaline könnte die Antwort darauf sein. Darin sind alle eingebunden vom Produzenten über den Verarbeiter bis hin zum Konsumenten. Wir arbeiten in regenerativen Kreisläufen und in Netzwerken. Wir möchten als Inspiration für viele weitere solche Systeme dienen und neue Partnerschaften eingehen, denn darin steckt ein Riesenpotenzial.